Wölfe im Norden: Ein Abschuss ist möglich
Niedersachsens Umweltminister reist höchstpersönlich in den Landkreis Cuxhaven um mit Deichschäfern zu sprechen, die Wolfsrisse beklagen.
Und man sieht ihn sofort vor sich: Wie er über den Deich stiefelt, jedem die Faust oder den Ellenbogen hinstreckt, weil er keine Hände mehr schütteln darf, zuhört und nickt und Sätze sagt wie „Ich verstehe Sie, absolut.“ und: „Da bin ich ganz bei Ihnen.“ Er kann das wirklich gut, der Herr Lies, freundlich und zugewandt sein, selbst wenn seinem Gegenüber vor Frust und Wut schon sichtbar die Halsschlagader pocht.
Anlass sind wieder einmal Wolfsrisse. In der Region gab es in kurzem Abstand zwei Angriffe auf Schafherden auf dem Deich, die für großes Aufsehen gesorgt haben. Das lag zum einen daran, dass viele Tiere starben, darunter zahlreiche trächtige Mutterschafe. Mehr als 30 waren es insgesamt, die Föten nicht mitgerechnet. Die Zahl klettert noch, weil es oft Tage dauert, bis alle Tiere gefunden sind. Die meisten sterben nicht unbedingt an Bissverletzungen, sondern weil sie sich auf ihrer panischen Flucht verletzen oder ins Wasser fallen.
Dass der von Niedersachsen im Rahmen eines Pilotprojekts gesponserte Elektro-Schutzzaun nichts half, ist der zweite Grund für das Entsetzen. Passive Herdenschutzmaßnahmen gelten vielen Naturschützern als das A und O und zwar von Anfang an: Die Zahl der Risse steigt, wenn die Wölfe neu im Revier sind. Wenn sie von Anfang an lernen, dass die Jagd auf Weidetiere mühsam und riskant ist, konzentrieren sie sich auf andere Beutetiere. Wenn sie auf der Weide zu oft Erfolgserlebnisse haben, wird es schwierig.
Am Deich sind allerdings die Möglichkeiten begrenzt: Zum Beispiel können oft keine Schutzhunde eingesetzt werden, weil zu viele Touristen die Weiden passieren. Gleichzeitig ist die Beweidung durch die Schafe für die Stabilität der Deiche wichtig.
Stimmung droht zu kippen
In der Region droht die Stimmung in Sachen Wolf schon länger zu kippen: Erst vor zwei Wochen warf dort einer der zuständigen Wolfsberater hin, weil er meinte, die Probleme würden nicht ernst genug genommen. Hermann Kück, der das Amt seit 2012 ehrenamtlich ausübte, erklärte in lokalen Medien, die zunehmenden Wolfssichtungen in Dorfnähe und zwei Ponyrisse machten ihm Sorgen. Er habe früher sehr für die Rückkehr des Wolfs geworben, aber mittlerweile hält er die Zahl im Cuxland für zu hoch.
Die Analyse der DNA-Spuren ist bei den beiden aktuellen Fällen noch nicht abgeschlossen, aber wenn sich beide Ereignisse dem gleichen Wolf zuordnen lassen, wird dort vermutlich die nächste Ausnahmegenehmigung zum Abschuss eines Problemwolfs fällig. Mit allen Problemen, die das dann wieder mit sich bringt: Klagen, vergebliche Jagden, Fehlabschüsse.
Lies wirbt deshalb schon seit ein paar Jahren für einen anderen Ansatz. Er wünscht sich regionale Ober- und Untergrenzen für den Bestand. Auch für die Forderung der Deichverbände nach „wolfsfreien Zonen“ zeigte er sich aufgeschlossen.
EU geht gegen Niedersächsische Wolfsverordnung vor
Bisher war das durch die Bundesgesetzgebung allerdings ausgeschlossen. Unter der Ampel könnte sich das ändern. Im Koalitionsvertrag, den Lies mitverhandelt hat, steht nun, man wolle „europarechtskonform ein regional differenziertes Bestandsmanagement ermöglichen“. In dem Wort „europarechtskonform“ steckt aber die nächste Tücke: Experten streiten noch, wie viel Spielraum das EU-Recht überhaupt lässt.
Erst im Juni war bekannt geworden, dass die EU-Kommission auch die niedersächsische Wolfsverordnung in ein sogenanntes Pilotverfahren einbezogen hat, das ist die Vorstufe zu einem Vertragsverletzungsverfahren.
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