Wirtschaftsinteressen und Politik: Deutsche befürchten Lobby-Einfluss
Fast zwei Drittel der Bürger:innen glauben, dass Wirtschaftsverbände politische Entscheidungen steuern. Dennoch vertrauen fast 80 Prozent der Bundesregierung.
Für die repräsentative Umfrage wurden von Oktober bis Dezember 2020 in den 27 EU-Mitgliedstaaten 40.600 Bürger befragt, davon 4.801 Personen in Deutschland. Die telefonische Umfrage im Auftrag von Transparency führte das Marktforschungsunternehmen Kantar durch.
Demnach haben zwar knapp vier von fünf Bürger:innen (79,1 Prozent) grundsätzlich Vertrauen in die Bundesregierung. Gleichzeitig halten aber ein Drittel (34,3 Prozent) „Korruption innerhalb der Bundesregierung für ein Problem“.
Hartmut Bäumer, Vorsitzender von Transparency Deutschland, sagte in einer Online-Pressekonferenz, die Zahlen verdeutlichten einmal mehr, dass „nach diversen Lobbyskandalen wie Cum-Ex oder auch Wirecard“ das Vertrauen vieler Menschen in die Unabhängigkeit der Bundesregierung erschüttert sei. Nötig seien mehr Transparenz und Kontrollmöglichkeiten. Dabei verwies er darauf, dass die Umfrage vor Bekanntwerden der Affären im Zusammenhang mit der Beschaffung von Atemschutzmasken und der möglichen Vorteilsnahme durch einzelne Abgeordnete erfolgte.
Europaweit wächst das Misstrauen gegen Politik:innen
So müsse das erst im März vom Bundestag verabschiedete Lobbyregister nachgebessert werden, sagte Bäumer: „Wir brauchen den legislativen und exekutiven Fußabdruck, damit jeder nachvollziehen kann, wer wann wie genau an der Entstehung von Gesetzen beteiligt ist.“ Außerdem sollte der nächste Bundestag das Amt eines unabhängigen Lobbybeauftragten zur Überprüfung der Nebentätigkeiten von Abgeordneten schaffen. Weiter sprach er sich für ein Unternehmensstrafrecht, einen besseren Hinweisgeberschutz und eine Reform des Informationsfreiheitsgesetzes aus.
Laut Barometer glauben in Deutschland ein Viertel (26,4 Prozent) der Bürger:innen, dass die Korruption im Land im vergangenen Jahr zugenommen hat. 3,2 Prozent gaben an, in den vergangenen zwölf Monaten für eine öffentliche Dienstleistung Bestechungsgeld gezahlt zu haben. 21,1 Prozent haben nach eigenen Angaben für den Erhalt einer öffentlichen Dienstleistung persönliche Beziehungen eingesetzt.
Mit Blick auf Europa sagte Bäumer, rund ein Drittel der EU-Bürger:innen gehe davon aus, dass Korruption in ihrem Land zunimmt. Im europäischen Durchschnitt glaubten erschreckende 62 Prozent der Befragten, dass Korruption in ihrer Regierung ein großes Problem darstelle. Am niedrigsten liegen die Zahlen in Dänemark (12 Prozent) und Finnland (16 Prozent), am höchsten in Bulgarien (90 Prozent) und Kroatien (92 Prozent).
Fast die Hälfte der Befragten gab an, ihre Regierung gehe nicht ausreichend gegen Korruption vor. Sieben Prozent erklärten, in den vergangenen zwölf Monaten Bestechungsgelder gezahlt zu haben, um Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen wie Gesundheitsversorgung oder Bildung zu erhalten.
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