Wirtschaftsflaute in Deutschland: Kein Grund für Alarmismus

Die Lage der Wirtschaft ist im Vergleich zur Finanzkrise undramatisch. Steuersenkungen sind unangebracht – und bringen oft auch nichts.

Container an einem Kran hängend.

Weiterhin beim Export erfolgreich: Containerverladung im Hamburger Hafen Foto: Chris Emil Janssen/imago

Die Energiepreise im Höhen-, die Wirtschaft im Sinkflug, die Deindustralisierung klopft angeblich schon an die Tür. Die Situation scheint vertrackt. „An dieser Stelle haben wir die größten Befürchtungen in Deutschland in eine dauerhafte Stagflation hineinzurutschen“, warnte auch Friedrich Merz diese Woche Immerhin hat der CDU-Chef auch gleich die Problemlösung parat: Etwa bessere Abschreibungsregeln für Unternehmen und niedrigere Steuern auf einbehaltene Gewinne.

Niedrigere Steuern für Unternehmen? Hört sich das nicht bekannt an? Und zwar nicht erst seit gestern? Das kommt nicht von ungefähr: „Deutschland muss für unsere Unternehmen langfristig attraktiv bleiben. Es muss darum gehen, den Standort Deutschland im internationalen Steuerwettbewerb überlebensfähig zu halten“, forderte zum Beispiel der Industrieverband BDI bereits im Jahr 2018.

Damals schien die Welt im Großen und Ganzen in Ordnung. An Corona war nicht zu denken und Putins Einmarsch in die Ukraine war auch noch in weiter Ferne. 2018 wuchs die deutsche Wirtschaft immerhin noch um 1 Prozent.

Daran ist dieses Jahr gar nicht zu denken. Der Internationale Währungsfonds IWF prognostiziert ein Schrumpfen der Wirtschaftsleistung von 0,3 Prozent. Da kann man sich fragen, ob es jetzt nicht höchste Eisenbahn wäre für Steuersenkungen, wenn sie bereits vor fünf Jahren gefordert wurden, als die Lage noch deutlich besser war. Man kann sich aber auch fragen, ob der Unternehmenslobby nichts Besseres einfällt, als nach niedrigeren Steuern zu rufen, sobald sich die Prognosen mal ein bisschen eintrüben – getreu dem Motto „Man kann ja mal versuchen, etwas für sich herauszuschlagen“.

Dabei arbeitet die Bundesregierung bereits an Vergünstigungen für die Unternehmen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck wirbt schon länger für einen subventionierten Industriestrompreis, um energieintensiven Unternehmen unter die Arme zu greifen, auch wenn Lobbyisten wie Gesamtmetall-Chef Stefan Wolf lieber Steuerentlastungen hätten. Diese verspricht wiederum Bundesfinanz­minister Christian Lindner. Insgesamt sechs Milliarden Euro will der sonst so knausrige FDP-Politiker mit seinem Wachstumschancengesetz für die Unternehmen springen lassen.

Der vorhergesagte Rückgang relativiert sich, wenn man ihn mit richtigen Wirtschafts­einbrüchen vergleicht

Ob das Geld damit gut angelegt ist, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Zumindest sollte man immer skeptisch sein, wenn Regierungen pauschal Unternehmenssteuern senken ­wollen. Denn das führt meist nicht automatisch zu mehr Investitionen. So entpuppte sich zum Beispiel die Steuerreform des damaligen US-Präsidenten Donald Trump als Flop. Die Konzerne nutzten das Geld lieber für Aktienrückkäufe und höhere Dividenden als für Investitionen in die Produktion.

Gleichzeitig ist fraglich, ob die Lage tatsächlich so dramatisch ist. So prophezeit Merz nicht weniger als die Deindustralisierung Deutschlands – als ob morgen schon alle Unternehmen ins Ausland abwandern, wenn die Regierung nicht sofort gegensteuert. Zugegeben: In der Tat machen sich auch die Industriegewerkschaft schon länger Sorgen. Unter dem Motto „Fairwandel“ geht die IG Metall bereits seit Jahren für die Zukunftssicherheit der Industriejobs auf die Straße. Doch geht es ihr dabei weniger um Energiepreise, als dass Staat und Unternehmen die ökologische und digitale Transformation nicht verschlafen.

Mehr Exporte als Importe

Die gestiegenen Energiepreise mögen nun zwar tatsächlich manch energieintensive Unternehmen zusätzlich unter Druck setzen. Doch muss man die aktuelle Lage differenzierter betrachten: So ging die Produktion in Deutschland im Juni zurück. Gleichzeitig stiegen aber im selben Zeitraum die Auftragseingänge im verarbeitenden Gewerbe, was ein kleines Zeichen der Hoffnung ist, dass es bald wieder aufwärts gehen könnte. Manch eine Statistik, die die Wirtschaftsredaktionen derzeit als neue Hiobsbotschaft vermelden, kann sich also schnell als bloße Momentaufnahme entpuppen.

So exportiert die deutsche Industrie auch noch immer kräftig. Die Ausfuhren übersteigen weiterhin die Einfuhren. Ganz so schlecht kann es um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen also nicht bestellt sein.

Auch der vom IWF prophezeiten 0,3-Prozent-Rückgang der Wirtschaftsleistung für 2023 wäre nicht wirklich dramatisch. Er relativiert sich sogleich, wenn man ihn mit wirklichen Wirtschaftseinbrüchen vergleicht: 2009 ging das deutsche Bruttoinlandsprodukt infolge der Finanzkrise um 5,7 Prozent zurück, im Jahr 2020 waren es aufgrund der Coronakrise 3,7. Jetzt ist also keine Zeit für Alarmismus seitens der Wirtschaftslobby.

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ist für Ökonomie im taz-Ressort Wirtschaft und Umwelt zuständig.

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