Wirtschaftsflaute in Deutschland: Kein Grund für Alarmismus
Die Lage der Wirtschaft ist im Vergleich zur Finanzkrise undramatisch. Steuersenkungen sind unangebracht – und bringen oft auch nichts.
D ie Energiepreise im Höhen-, die Wirtschaft im Sinkflug, die Deindustralisierung klopft angeblich schon an die Tür. Die Situation scheint vertrackt. „An dieser Stelle haben wir die größten Befürchtungen in Deutschland in eine dauerhafte Stagflation hineinzurutschen“, warnte auch Friedrich Merz diese Woche Immerhin hat der CDU-Chef auch gleich die Problemlösung parat: Etwa bessere Abschreibungsregeln für Unternehmen und niedrigere Steuern auf einbehaltene Gewinne.
Niedrigere Steuern für Unternehmen? Hört sich das nicht bekannt an? Und zwar nicht erst seit gestern? Das kommt nicht von ungefähr: „Deutschland muss für unsere Unternehmen langfristig attraktiv bleiben. Es muss darum gehen, den Standort Deutschland im internationalen Steuerwettbewerb überlebensfähig zu halten“, forderte zum Beispiel der Industrieverband BDI bereits im Jahr 2018.
Damals schien die Welt im Großen und Ganzen in Ordnung. An Corona war nicht zu denken und Putins Einmarsch in die Ukraine war auch noch in weiter Ferne. 2018 wuchs die deutsche Wirtschaft immerhin noch um 1 Prozent.
Daran ist dieses Jahr gar nicht zu denken. Der Internationale Währungsfonds IWF prognostiziert ein Schrumpfen der Wirtschaftsleistung von 0,3 Prozent. Da kann man sich fragen, ob es jetzt nicht höchste Eisenbahn wäre für Steuersenkungen, wenn sie bereits vor fünf Jahren gefordert wurden, als die Lage noch deutlich besser war. Man kann sich aber auch fragen, ob der Unternehmenslobby nichts Besseres einfällt, als nach niedrigeren Steuern zu rufen, sobald sich die Prognosen mal ein bisschen eintrüben – getreu dem Motto „Man kann ja mal versuchen, etwas für sich herauszuschlagen“.
Dabei arbeitet die Bundesregierung bereits an Vergünstigungen für die Unternehmen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck wirbt schon länger für einen subventionierten Industriestrompreis, um energieintensiven Unternehmen unter die Arme zu greifen, auch wenn Lobbyisten wie Gesamtmetall-Chef Stefan Wolf lieber Steuerentlastungen hätten. Diese verspricht wiederum Bundesfinanzminister Christian Lindner. Insgesamt sechs Milliarden Euro will der sonst so knausrige FDP-Politiker mit seinem Wachstumschancengesetz für die Unternehmen springen lassen.
Ob das Geld damit gut angelegt ist, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Zumindest sollte man immer skeptisch sein, wenn Regierungen pauschal Unternehmenssteuern senken wollen. Denn das führt meist nicht automatisch zu mehr Investitionen. So entpuppte sich zum Beispiel die Steuerreform des damaligen US-Präsidenten Donald Trump als Flop. Die Konzerne nutzten das Geld lieber für Aktienrückkäufe und höhere Dividenden als für Investitionen in die Produktion.
Gleichzeitig ist fraglich, ob die Lage tatsächlich so dramatisch ist. So prophezeit Merz nicht weniger als die Deindustralisierung Deutschlands – als ob morgen schon alle Unternehmen ins Ausland abwandern, wenn die Regierung nicht sofort gegensteuert. Zugegeben: In der Tat machen sich auch die Industriegewerkschaft schon länger Sorgen. Unter dem Motto „Fairwandel“ geht die IG Metall bereits seit Jahren für die Zukunftssicherheit der Industriejobs auf die Straße. Doch geht es ihr dabei weniger um Energiepreise, als dass Staat und Unternehmen die ökologische und digitale Transformation nicht verschlafen.
Mehr Exporte als Importe
Die gestiegenen Energiepreise mögen nun zwar tatsächlich manch energieintensive Unternehmen zusätzlich unter Druck setzen. Doch muss man die aktuelle Lage differenzierter betrachten: So ging die Produktion in Deutschland im Juni zurück. Gleichzeitig stiegen aber im selben Zeitraum die Auftragseingänge im verarbeitenden Gewerbe, was ein kleines Zeichen der Hoffnung ist, dass es bald wieder aufwärts gehen könnte. Manch eine Statistik, die die Wirtschaftsredaktionen derzeit als neue Hiobsbotschaft vermelden, kann sich also schnell als bloße Momentaufnahme entpuppen.
So exportiert die deutsche Industrie auch noch immer kräftig. Die Ausfuhren übersteigen weiterhin die Einfuhren. Ganz so schlecht kann es um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen also nicht bestellt sein.
Auch der vom IWF prophezeiten 0,3-Prozent-Rückgang der Wirtschaftsleistung für 2023 wäre nicht wirklich dramatisch. Er relativiert sich sogleich, wenn man ihn mit wirklichen Wirtschaftseinbrüchen vergleicht: 2009 ging das deutsche Bruttoinlandsprodukt infolge der Finanzkrise um 5,7 Prozent zurück, im Jahr 2020 waren es aufgrund der Coronakrise 3,7. Jetzt ist also keine Zeit für Alarmismus seitens der Wirtschaftslobby.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen