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Wirtschaftsflaute in DeutschlandKein Grund für Alarmismus

Simon Poelchau
Kommentar von Simon Poelchau

Die Lage der Wirtschaft ist im Vergleich zur Finanzkrise undramatisch. Steuersenkungen sind unangebracht – und bringen oft auch nichts.

Weiterhin beim Export erfolgreich: Containerverladung im Hamburger Hafen Foto: Chris Emil Janssen/imago

D ie Energiepreise im Höhen-, die Wirtschaft im Sinkflug, die Deindustralisierung klopft angeblich schon an die Tür. Die Situation scheint vertrackt. „An dieser Stelle haben wir die größten Befürchtungen in Deutschland in eine dauerhafte Stagflation hineinzurutschen“, warnte auch Friedrich Merz diese Woche Immerhin hat der CDU-Chef auch gleich die Problemlösung parat: Etwa bessere Abschreibungsregeln für Unternehmen und niedrigere Steuern auf einbehaltene Gewinne.

Niedrigere Steuern für Unternehmen? Hört sich das nicht bekannt an? Und zwar nicht erst seit gestern? Das kommt nicht von ungefähr: „Deutschland muss für unsere Unternehmen langfristig attraktiv bleiben. Es muss darum gehen, den Standort Deutschland im internationalen Steuerwettbewerb überlebensfähig zu halten“, forderte zum Beispiel der Industrieverband BDI bereits im Jahr 2018.

Damals schien die Welt im Großen und Ganzen in Ordnung. An Corona war nicht zu denken und Putins Einmarsch in die Ukraine war auch noch in weiter Ferne. 2018 wuchs die deutsche Wirtschaft immerhin noch um 1 Prozent.

Daran ist dieses Jahr gar nicht zu denken. Der Internationale Währungsfonds IWF prognostiziert ein Schrumpfen der Wirtschaftsleistung von 0,3 Prozent. Da kann man sich fragen, ob es jetzt nicht höchste Eisenbahn wäre für Steuersenkungen, wenn sie bereits vor fünf Jahren gefordert wurden, als die Lage noch deutlich besser war. Man kann sich aber auch fragen, ob der Unternehmenslobby nichts Besseres einfällt, als nach niedrigeren Steuern zu rufen, sobald sich die Prognosen mal ein bisschen eintrüben – getreu dem Motto „Man kann ja mal versuchen, etwas für sich herauszuschlagen“.

Dabei arbeitet die Bundesregierung bereits an Vergünstigungen für die Unternehmen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck wirbt schon länger für einen subventionierten Industriestrompreis, um energieintensiven Unternehmen unter die Arme zu greifen, auch wenn Lobbyisten wie Gesamtmetall-Chef Stefan Wolf lieber Steuerentlastungen hätten. Diese verspricht wiederum Bundesfinanz­minister Christian Lindner. Insgesamt sechs Milliarden Euro will der sonst so knausrige FDP-Politiker mit seinem Wachstumschancengesetz für die Unternehmen springen lassen.

Der vorhergesagte Rückgang relativiert sich, wenn man ihn mit richtigen Wirtschafts­einbrüchen vergleicht

Ob das Geld damit gut angelegt ist, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Zumindest sollte man immer skeptisch sein, wenn Regierungen pauschal Unternehmenssteuern senken ­wollen. Denn das führt meist nicht automatisch zu mehr Investitionen. So entpuppte sich zum Beispiel die Steuerreform des damaligen US-Präsidenten Donald Trump als Flop. Die Konzerne nutzten das Geld lieber für Aktienrückkäufe und höhere Dividenden als für Investitionen in die Produktion.

Gleichzeitig ist fraglich, ob die Lage tatsächlich so dramatisch ist. So prophezeit Merz nicht weniger als die Deindustralisierung Deutschlands – als ob morgen schon alle Unternehmen ins Ausland abwandern, wenn die Regierung nicht sofort gegensteuert. Zugegeben: In der Tat machen sich auch die Industriegewerkschaft schon länger Sorgen. Unter dem Motto „Fairwandel“ geht die IG Metall bereits seit Jahren für die Zukunftssicherheit der Industriejobs auf die Straße. Doch geht es ihr dabei weniger um Energiepreise, als dass Staat und Unternehmen die ökologische und digitale Transformation nicht verschlafen.

Mehr Exporte als Importe

Die gestiegenen Energiepreise mögen nun zwar tatsächlich manch energieintensive Unternehmen zusätzlich unter Druck setzen. Doch muss man die aktuelle Lage differenzierter betrachten: So ging die Produktion in Deutschland im Juni zurück. Gleichzeitig stiegen aber im selben Zeitraum die Auftragseingänge im verarbeitenden Gewerbe, was ein kleines Zeichen der Hoffnung ist, dass es bald wieder aufwärts gehen könnte. Manch eine Statistik, die die Wirtschaftsredaktionen derzeit als neue Hiobsbotschaft vermelden, kann sich also schnell als bloße Momentaufnahme entpuppen.

So exportiert die deutsche Industrie auch noch immer kräftig. Die Ausfuhren übersteigen weiterhin die Einfuhren. Ganz so schlecht kann es um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen also nicht bestellt sein.

Auch der vom IWF prophezeiten 0,3-Prozent-Rückgang der Wirtschaftsleistung für 2023 wäre nicht wirklich dramatisch. Er relativiert sich sogleich, wenn man ihn mit wirklichen Wirtschaftseinbrüchen vergleicht: 2009 ging das deutsche Bruttoinlandsprodukt infolge der Finanzkrise um 5,7 Prozent zurück, im Jahr 2020 waren es aufgrund der Coronakrise 3,7. Jetzt ist also keine Zeit für Alarmismus seitens der Wirtschaftslobby.

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Simon Poelchau
Redakteur
ist für Ökonomie im taz-Ressort Wirtschaft und Umwelt zuständig.
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22 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Leider ist es bei den Grünen als vollkommen wirtschaftsfremde Partei noch nicht angekommen, dass insbesondere Deutschland, das einmal so unheimlich abhängig von seiner Exportwirtschaft war, durch die Abwanderung und Produktionsverlagerung der großen Konzerne inzwischen kein reiches Land mehr ist. Je abhängiger die Wirtschaft einmal war, umso tiefer der Fall, wenn plötzlich alle Errungenschaften kaum noch zählen, z.B. weil China seine Leute besser ausbildet und auf einen viel höheren Produktivitäts-Level einsteigen konnte, während bei uns noch die nicht mehr benötigten Halden weggeräumt werden müßten (was wir uns aber nicht leisten können, weil die Entsorgung meist nie mit eingepreist wurde). Woher nehmen, wenn nicht leihen über Zentralbanken, die dabei an der Inflation eigentlich verzweifeln müssten. Nur wer die Leitwährung betreuen darf -und dabei ist der Euro eher die Leidwährung-, kann hoffen, mit dem Drucken von Dollars noch eine Rolle spielen zu können. Die einzige Chance für uns besteht datin, den noch aktiven Mittelstand zu bewahren und zu fördern und auf Eigenwirtschaft zu setzen, was aber nur funktioniert, wenn wir die Importe radikal reduzieren und zunächst einmal die Recykling-Wirtschaft anwerfen und die Lebensmittel-Produktion an den Bedürfnisssen hierzulande ausrichten, damit niemand hungern muss.

  • Man muss im Auge behalten, warum Merz solchen Unsinn verbreitet: das ist Alarmismus, eine emotionale Aktion um den Menschen Sand in die Auge zu streuen und das dann für die eigenen Ziele zu nutzen. Staatsmännisch und weise ist das ganz und gar nicht. Es ist billigster Populismus. Und gefährlich ist so etwas obendrein. So redet man Krisen herbei. Doch das ist diesem Scharlatan vollkommen gleichgültig. Und die Wirtschaft? Wie in dem Beitrag gut beschrieben, gab es deutlch schlimmere Szenarien und auch die wurden gemeistert. Das Geheule dient der Gewinnmaximierung, man will die Gießkanne aka Stuersenkungen. Und unser famoser Finanzminister merkt das nicht mal...

    • @Perkele:

      Kann es sein, dass Sie die jetzige Lage vor allen Dingen aus ideologischer Sicht betrachten? Leider hat nun einmal auch ein Merz manchmal recht. Schauen Sie sich doch an, dass die Abwanderung längst im Gang ist! Wann hat es in der letzen Kriesen ähnliches gegeben? Stimmt es sie nicht bedenklich, wenn selbst Habeck warnt?

      www.spiegel.de/wir...-acbe-c0fa2ff9e05d

      • @Alexander Schulz:

        Natürlich ist es bedenklich wenn die Wirtschaft dahinsiecht. Doch sollte sich Herr Merz mal umsehen und erkennen, dass dieser Zustand dem Starrsinn, der Gleichgültigkeit und vor allem der kritiklosen Profitgier geschuldet ist. Die Ursachen liegen weit zurück und sind ganz und gar nicht der Grünen anzulasten sondern den sog. "Altparteien", ausdrücklich auch der SPD. Ideologische Sicht ist das ganz gewiss nicht. Eher umgekehrt...

      • @Alexander Schulz:

        Bzgl Einordnung der Finanzkrise im Vergleich zur jetzigen aufkommenden Krise muss man differenzieren zwischen lokalen und globalen Auswirkungen. Global gesehen lässt sich kein Vergleich ziehen, aber lokal auf Deutschland gesehen werden uns die Auswirkungen viel härter treffen als die der Finanzkrise.



        Das hat leider mit der verfehlten Ukrainepolitik der Bundesregierung zu tun. Solidarität und Unterstützung der Menschen in der Ukraine ist richtig! Auch bin ich der letzte der den russischen Angriffskrieg nicht auf Schärfste verurteilt, aber blinder idoligischer Aktionismus, wie wir ihn teilweise erleben hilft weder wirklich den Menschen in der Ukraine noch uns.



        Andere Länder haben bei den Sanktionen darauf geachtet, dass ihre Kerinteressen berücksichtigen wurden. Bei uns war das leider nur bedingt der Fall. Es ist richtig sich nicht nochmal in eine totale Abhängigkeit von russischen Gas zu begeben, aber ökonomisch gesehen wäre es mittelfristig vernünftig genauso Gas von Russland zu importieren wir von Aserbaidschan, Katar usw. Unter moralischen Aspekten gesehen sind letztere auch nicht hochwertiger als russisches (Armenien-Aserbaidschan Krieg, Ausbeutung von Gastarbeiten usw).



        Gäbe es unter Berücksichtigung von moralischen und ökonomischen Aspekten Alternativen sollte man sich natürlich auf diese konzentrieren. Die Realität sieht aber nun einmal anders aus!

    • @Perkele:

      Es ist halt kein Unsinn.

      Der Fehler von Merz ist es hier, sinnvolle Maßnahmen vorzuschlagen, die so im Detail sind, dass das Volk nicht folgen kann.

      Wenn Merz sagt, dass lediglich "nicht entnommene Gelder" niedriger versteuert werden sollen, dann handelt es sich nicht um eine Steuerkürzung, sondern lediglich um eine Verschiebung. Und die ist schon sinnvoll. Das Geld wird dann nämlich, wenn es nicht entnommen wird, regelmässig investiert.

      • @Mangahn:

        Ach so, das heisst also, das Volk ist zu doof um die Mätzchen dieses Polemikers zu durchschauen?! Und noch mal "ach so": Gewinne nicht zu entnehmen bedeuten Investitionen? So, so. Wie lange denn? Ist die Knete dann dem Beitzer entzogen, gehört ihm/ihr der ganze Kram dann nicht mehr? Solch einen Vorschlag kann der Lohnsteuerzahler gerne mal den Finanzämtern machen: Das Geld bleibt auf meinem Konto, ich nehme es nur nicht, jedenfalls nicht jetzt. Wem gehört denn das Konto?

        • @Perkele:

          Die "Knete" verbleibt in der GmbH. Und ja, damit ist sie dem Gesellschafter entzogen, so lange er sie nicht entnimmt oder per Darlehen sich auszahlen lässt. Ein entsprechendes Darlehen kostet Zinsen, die an die GmbH gezahlt werden und sind langfristig auch keine gute Lösung für den Gesellschafter.

          Wenn dann bei einer GmbH das Geld an die Gesellschafter ausgeschüttet wird wird erneut eine Steuer fällig.

          Der Merzvorschlag in Zahlen (Beispielhaft)



          Bisherige Steuer GmbH: 30 Prozent (verkürzte Darstellung). Bei Ausschüttung noch einmal Kapitalertragsteuer auf den bereits versteuerten Gewinn. Der Merzvorschlag lautet jetzt die erste Steuer zu senken und wenn man dem Wortlaut folgt den zweiten Steuersatz zu erhöhen.

          Wie gesagt, komplex. Sowas werden Sie von Scholz nicht vorgeschlagen bekommen.

  • Wirtschaft ist im Wandel. Immer. Wir waren mal die Apotheke der Welt, jetzt haben wir keinen Kinderschmerzsaft mehr, wir waren mal Nr. 1 in vielen Branchen. All das ist natürlich überflüssig. Fragen wir doch mal England oder den amerikantischen Rostgürtel, ob Industrie einen Wert an sich hat, man kann ja auch ein ganzes Volk gut über die Londoner City versorgen... Wer Ironie findet, hat sich versehen. Es handelt sich um Sarkasmus.

    Tatsächlich hat der Autor, vermutlich qua Jobbeschreibung, nicht genau genug hingesehen, bei dem Merzvorschlag. Wenn er sagt, dass lediglich "nicht entnommene Gelder" niedriger versteuert werden sollen, dann handelt es sich nicht um eine Steuerkürzung, sondern lediglich um eine Verschiebung. Und die ist schon sinnvoll. Das Geld wird dann nämlich, wenn es nicht entnommen wird, regelmässig investiert.

    Genau wie bei den Abschreibungen handelt es sich um relativ gezielte Maßnahmen, die durchaus Effekte zeigen können. Gleichzeitig geht dem Staat nicht ein Euro verloren.

    Aber, siehe oben, wir können auch gern eben "lediglich die paar Energieintensiven Betriebe" auch drauf geben.

  • es verstoert mich sehr wie die taz die gegenwaertige oekonomische Situation und damit auch ihre sozialen Folgen verharmlost, weil sie der Ampelkoalition Treue geschworen hat. Ich bin kein Fan der CDU und ihren Loesungsvorschlaegen, aber die Politik der Regierung andauernd mit Samthandschuhen zu kommentieren empfinde ich als Realitaetsverlust. Eine linke Politik, die der Wirtschaft und den Menschen gut tut muss moeglich sein. Dies erfordert allerdings eine kritische Auseinandersetzung mit unserer Regierung. Dass es nicht so schlimm sei wie die globale Finanzkrise laesst mich nur den Kopf schuetteln. Was ist das fuer ein Maßstab?

    • @Ohnegott:

      "Dass es nicht so schlimm sei wie die globale Finanzkrise laesst mich nur den Kopf schuetteln."



      Diese Aussage wird ja konkret mit dem Verweis auf die Zahlen zur Wirtschaftsleistung (-5,7% vs. -0,3%) gestürzt. Auf welcher Grundlage kommen sie zu einer anderen Einschätzung?

      • @Ingo Bernable:

        sie missverstehen mein kopf schuetteln. natuerlich ist es nicht so schlimm wie die globale finanzkrise. mich stoert der maßstab, den der autor bemueht. wenn es so schlimm waere wie die globale finanzkrise, dann haetten wir ein riesiges problem.

  • Steuer senken für Arbeiter und Steuern erhöhen für Erben wäre schon gut. Wird aber nicht kommen. Die Reichen haben die Macht.

    • @Heidi Schneider:

      Keine Steuern senken, aber Steuern für Reiche anheben und Steuersparmodelle streichen. Vermögenssteuer endlich reparieren. Mit den Mehreinnahmen das Land wieder auf Vordermann bringen.