Wirtschaft gegen Biotopkartierung: Angst um den Asphalt
Schleswig-Holstein möchte die Biotope im Land dokumentieren. Vertreter von Wirtschaft und CDU fürchten, dass dadurch der Straßenbau erschwert wird.
Biotope sind natürliche Lebensräume wie zum Beispiel Tümpel oder auch nur Baumgruppen. 60 Kartierer sollen in den nächsten Jahren solche schützenswerten natürlichen Flächen im Land dokumentieren und in einer Geo- und Sachdatenbank zusammenfassen. Das hat die Landesregierung schon im vergangenen Jahr beschlossen. Die Kosten schätzt das Kieler Landwirtschaftsministerium auf rund acht Millionen Euro. Die Daten sollen als Entscheidungsgrundlage für Bauplanungen und Infrastrukturmaßnahmen dienen.
Unternehmervertreter Schulze vermutet jedoch, dass die neuen Daten gerade die Planung und den Bau neuer Infrastruktur erheblich behindern werden: Es sei zu erwarten, dass bei der Erhebung neue Biotope ausgewiesen würden: „Dann wären viele Flächen im Vorhinein für Entwicklungen tabu.“ Auch könnten Investoren von steigenden Kosten durch zu leistenden Ausgleichsflächen abgeschreckt werden, sagt er.
Unterstützung bekommt Schulze vom agrarpolitischen Sprecher der CDU-Fraktion, Heiner Rickers. Die Biotopkartierung sei „nur eine millionenschwere Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für den Grünen nahestehende Umweltingenieurbüros auf Kosten des Steuerzahlers“, sagte der Christdemokrat dem Flensburger Tageblatt. Die Kosten stünden in keinem Verhältnis zum Nutzen der Daten. „Alle naturbelassenen Flächen sind schon heute quadratmetergenau bekannt.“
Als Biotop wird ein abgrenzbarer Lebensraum bezeichnet, in dem eine Gemeinschaft verschiedener Arten lebt: die Biozönose. Biotop und Biozönose bilden ein Ökosystem.
Es gibt unterschiedliche Biotoptypen wie Wasser-, Land- oder Feuchtbiotope.
Moore, Sümpfe, Röhrichte und andere Biotope sind durch das Bundesnaturschutzgesetz geschützt und dürfen in der Regel nicht zerstört werden.
Das Land Schleswig-Holstein versucht seit 1993 ein "Biotopverbundsystem" aufzubauen, um die Lebensräume der heimischen Tier- und Pflanzenarten zu schützen. Dieses Netz besteht aus kleineren, zusammenhängenden Biotopen.
Dem widerspricht Umweltminister Robert Habeck (Grüne): „Die Kartierung ist kein Selbstzweck.“ Gerade die Büros, die Infrastrukturmaßnahmen planten, benötigten Daten über schützenswerte Biotope. Somit sei das Vorhaben nicht nur eine notwendige Grundlage, um die richtigen Schwerpunkte im Naturschutz zu setzen, sondern auch um Planungsprozesse rechtssicher zu gestalten.
Auch die Grünen-Abgeordnete Marlies Fritzen ist davon überzeugt, dass die Kartierung am Ende der Planungssicherheit von Bauprojekten zugute käme - und damit auch der Wirtschaft. „Bisher arbeiten wir mit Daten aus den 1990er-Jahren“, sagt Fritzen. Und die seien so veraltet wie in keinem anderen Bundesland.
Zuspruch für das Projekt kommt von den Naturschutzverbänden: Tobias Langguth vom BUND hat für die späten Einwände der Wirtschaft kein Verständnis: „Man kann doch nicht allen Ernstes fordern, nicht so genau hinzuschauen, weil man dann ja Unschönes entdecken könnte.“
Ingo Ludwichowski vom Nabu schlägt in die gleiche Kerbe: Für kein Wirtschaftsunternehmen sei es vorstellbar, auf eine Inventur zu verzichten. „Beim Naturschutz aber gibt es einen Aufschrei.“ Er vermutet, dass die Begehung der Flächen „einen dramatischen Rückgang naturnaher Strukturen, wie Teiche, Tümpel oder Feuchtwiesen“ offenlegen wird. Ludwichowskis Folgerung: „Wir müssen die Normallandschaft deshalb noch stärker schützen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!