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„Wir haben es satt!“-DemonstrationKritik an Özdemir

Am Samstag demonstriert ein breites Bündnis aus Landwirtschaft und Zivilgesellschaft in Berlin. Das Ziel: eine sozial- und klimagerechte Agrarwende.

Kleinbauer mit Message, auf dem Weg zur „Wir habe es satt!“-Demo 2022 in Berlin Foto: Florian Boillot

Berlin taz | Nach zweijähriger Coronapause demonstriert das Bündnis „Wir haben es satt!“ an diesem Samstag im Berliner Regierungsviertel für eine sozial und ökologisch gerechte Ernährungswende. Die rund 60 Organisationen, die dem Bündnis angehören, kritisieren die zögerliche Politik von Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne).

Bäuerinnen und Bauern wollen am Samstagmorgen noch vor dem Beginn der Demonstration mit rund 50 Traktoren vor das Auswärtige Amt ziehen und eine „bäuerliche Protestnote“ an Özdemir übergeben, der dort an einem internationalen Agrarministergipfel teilnehmen wird.

„Die aktuellen Agrar- und Ernährungssysteme sind krisenanfällig, ungerecht und nicht nachhaltig“, sagte Inka Lange, Sprecherin des Bündnisses am Montag in Berlin. „Ohne Agrar- und Ernährungswende verfehlen wir krachend das 1,5-Grad-Ziel.“ Ökologische und soziale Fragen müssten zusammengedacht werden: „Viel zu viele Menschen in Deutschland können sich gesundes und umweltverträgliches Essen nicht leisten“, so Lange.

Die Bundesregierung müsse deshalb die Rahmenbedingungen für faire Erzeuger:innenpreise, angemessene Löhne und eine tier- und umweltgerechte Herstellung von Lebensmitteln schaffen. Gleichzeitig dürfe es nicht sein, dass Armutsbetroffene mit ungesundem und klimaschädlichem Essen abgespeist werden – Menschen mit wenig Geld sollten mehr Unterstützung erhalten. Diese Forderungen sind Teil eines 6-Punkte-Plans, den das Bündnis der Regierung vorlegen will.

Regierung redet, handelt aber nicht

Greenpeace-Geschäftsführer Martin Kaiser sagte, dass Cem Özdemir die Herausforderungen der Agrarwende erkannt und klar benannt habe – im Gegensatz zu vorherigen Landwirtschaftsminister:innen. Konsequente Maßnahmen, etwa der Abbau steuerlicher Begünstigungen für tierische Produkte in der Landwirtschaft, ließen bisher jedoch auf sich warten.

Kaiser nahm außerdem Bezug auf die Situation in Lützerath: Sie zeige, wie weit die Ankündigungen und Handlungen der Regierung auseinanderliegen. Die Demonstration beginnt am Samstag um 12 Uhr vor dem Brandenburger Tor.

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12 Kommentare

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  • „Viel zu viele Menschen in Deutschland können sich gesundes und umweltverträgliches Essen nicht leisten.“ wird gebetsmühlenartig behauptet. Die Aussage trifft nur zu, wenn damit gemeint ist, im Biomarkt oder im schicken Stadtviertel am Biobauernstand einkaufen. Wenn „gesund und umweltverträglich“ einfach mehr frisches saisonales Gemüse und Hülsenfrüchte statt Convenience Food, Fleisch und importiertes Nichtsaisonales wie Erdbeeren im Januar bedeutet, dann können auch Menschen mit geringem Einkommen sich das leisten. Supermärkte haben öfters regional angebautes Gemüse und Obst und mittlerweile auch einige Bio-Alternativen für konventionell erzeugte Lebensmittel im Sortiment. Die Discounter-Bioware ist allerdings ausländischen Ursprungs, verursacht also höhere Transport-(Umwelt)-Kosten.

    Selbst wenn Waren vom Bio-Bauer in der Region für alle erschwinglich wären, dann könnten mangels Angebot gar nicht alle versorgt werden. Es muß attraktiver sein, von konventionellem Anbau auf bio umzustellen, und der konventionelle Anbau muß umweltverträglicher werden: weniger Chemie, weniger Dünger, weniger Monokultur usw. Und weniger Verschwendung durch Einheitsgrößen-Ebenmaß-Wahnsinn. Zukunftsmusik… Aber Saubohne statt Schweinekotelett und Apfel statt Mango wäre ein Anfang.

  • Meiner Meinung nach geht es dem Özdemir ähnlich wie Habeck: Sie strampeln sich ab, es bleibt aber nichts Anderes übrig als in Trippelschritten vorzugehen.



    Zum Einen haben wir nun 16 Jahre Regierung hinter uns, bei der Umweltschutz ziemlich weit hinten kam, ich denke da zum Beispiel an die letzte Landwirtschaftsministerin, die ja sogar kostenlose Fernsehwerbung für Nestle veranstaltet hat.



    Zum Anderen haben sowohl Habeck als auch Özdemir die "Blockierpartei" FDP gegen sich, und vom Kanzler bzw der Kanzlerpartei kommt zumindest mal keinerlei Unterstützung Wie auch, die SPD müsste dann ja erklären, warum sie so viele Jahre lang genau das Gegenteil getan haben.



    Zudem weht aus dem Eutopaparlamant auch nicht gerade ein süßer Umweltschutzwind.



    Siehe auch das Interview mit Özdemir hier in der TAZ vom 16.01. taz.de/Cem-Oezdemi...rtschaft/!5908655/



    Also ich bin mit Habeck und Özdemir zufrieden. Sie tun das Mögliche, angesichts der geringen Möglichkeiten, die sie haben. Vielleicht zeigen bei den nächsten Bundestagswahlen mehr als nur 14,8% der Wähler Interesse am Umweltschutz, das gäbe den Grünen auch mehr Möglichkeiten zu agieren.

  • 3G
    31841 (Profil gelöscht)

    Die Art und Weise, wie Produktion und Ertrag bisher "gesichert" werden, führt in eine Falle, aus der nur sehr schwer wieder herauszukommen ist.

  • Man könnte schon so viel mit der Mehrwertsteuer regeln.....klimaschädliche, ungesunde Nahrung steuer rauf, klimafreundliche und gesunde Nahrung Steuer runter.....würde schon einen riesen Effekt haben denke ich

    • @PartyChampignons:

      Eine finanzrechtliche Fantasie und Unmöglichkeit ist das. ALso bitte neuen Vorschlag.

      • @Tom Farmer:

        Warum unmöglich? Ist doch schon in der Praxis so: niedrige Mwst auf Milchprodukte, Fleisch, Obst Gemüse (7%), seltsamerweise aber 19% Mwst auf Pflanzendrinks, Fleischersatzprodukte, laktose- und glutenfreie Produkte. Warum das so ist weiß niemand. Also das was sie für unmöglich halten ist schon Realität, Überraschung! Man muss das ganze nur ewas Abändern und man muss es vor allem wollen. Mit ihrer Einstellung kommt man da natürlich nicht weit.

      • 9G
        90946 (Profil gelöscht)
        @Tom Farmer:

        Diese Fantasie gefällt mir.



        Warum genau ist sie unmöglich?



        Ist auch die Idee, MwST für Obst, gemüse und Hülsenfrüchte zu senken, eine Unmöglichkeit? Wenn ja, warum ging das dann erst neulich, als sie befristet abgesenkt wurde?

  • Özdemir ist ein integrer Mann und wahrscheinlich der beste Landwirtschaftsminister der letzten 20 Jahre.



    Ich habe nicht vergessen, wie uns der nette Herr Schmidt in Sachen Glyphosat verraten hat. "So isser halt der Schmidt".

    • 0G
      05867 (Profil gelöscht)
      @Herry Kane:

      So wie ich das mitbekommen habe, hat Deutschland unter Hrn Özdemir ein weiteres Mal dafür gesorgt, das Glyphosat weiterhin eingesetzt werden darf:



      www.tagesschau.de/...ausschuss-101.html

      Hr Özdemir ist bisher kein Stück besser als seine Vorgänger.

    • 9G
      90946 (Profil gelöscht)
      @Herry Kane:

      Der Minister scheint integer, die ihm gegenüberstehenden Verbände scheinen das nicht zu sein - mein subjektiver Eindruck.

    • @Herry Kane:

      Was genau hat den Cem Özdemir bisher besser gemacht? Ich habe noch nichts von ihm gehört, was auch nur in die Richtung einer Agrarwende geht; weiterhin wird in Naturschutzgebieten gegüllt und gespritzt, weiterhin werden so genannte "ökologische Vorrangflächen" intensiv genutzt, weiterhin wird nichts Wesentliches gegen das Sterben der Wiesenvögel getan. Da hatte ich schon etwas mehr erwartet - ich weiß; war naiv.

      • 9G
        90946 (Profil gelöscht)
        @Axel Donning:

        Ich erwarte auch mehr, gerade im Hinblick darauf, dass endlich weniger Gülle ausgebracht wird, ökologische Vorrangflächen geschützt bleiben und sogar ausgeweitet werden! Auch würde ich zu gerne mal wieder Wiesenvögel sehen und hören, wie früher. Ohne sie wirkt die Landschaft unheimlich, finde ich.