Windkraftausbau in Berlin: Eine komplexe Angelegenheit
NaturschützerInnen warnen vor negativen Effekten, die ein Ausbau der Windenergie in Berlin zur Folge hätte. Dabei ist eine grundlegende Frage offen.
W as wir wissen: Der massive Ausbau der Windkraft in Deutschland erzeugt eine Menge Reibung – nicht nur von der Art, die elektrische Energie erzeugt, sondern gesellschaftliche und politische. Dass viele Menschen in ihrem direkten Lebensumfeld nur ungern von den riesigen Anlagen umstellt sind, ist keine Neuigkeit. Und auch der ernstere, weil ökologische Zielkonflikt ist nicht erst seit gestern bekannt: Windräder haben wohl oder übel negative Auswirkungen auf die Natur, deren Überleben sie ja eigentlich als Element des Klimaschutzes sichern sollen.
Verbände wie der Naturschutzbund Nabu warnen schon seit Langem vor den Kollateralschäden der Windernte: Tierindividuen und -arten, die den Rotoren in der Luft zum Opfer fallen, aber auch die Degradierung wertvoller Flächen am Boden. Durch die direkten Standorte der Stahltürme, aber auch durch das Netz der Zufahrtswege, die in Waldgebieten etwa zwangsläufig Rodungen voraussetzen.
Da es der Bund mit seinem „Wind-an-Land-Gesetz“ allen Bundesländern zur Pflicht gemacht hat, einen festen Teil ihrer Fläche für Windkraft auszuweisen, hat der Nabu nun auch für Berlin Alarm geschlagen. In dem Forderungskatalog, den die Organisation an die Politik richtet, fordert sie den völligen Verzicht auf die Ausweisung von Waldflächen und Naturschutzgebieten, ja sogar von Flächen in einem Abstand von bis zu 500 Metern um derart geschützte Gebiete herum. Anderenfalls drohten „massive Verluste von Arten und Natur“.
Wie viele sind es denn nun?
Was wir nicht wissen: Wie viele Windräder in Berlin aufgrund der neuen Regelung tatsächlich entstehen könnten. Die vorgegebene Zahl scheint eindeutig zu sein – 0,5 Prozent der Landesfläche bis 2032 hat der Gesetzgeber für die drei Stadtstaaten festgelegt, nur ein Viertel der 2 Prozent, die für die meisten Flächenländer und für die Bundesrepublik im Ganzen gelten. Dass das im Falle Berlins knapp 450 Hektar beziehungsweise 4,5 Quadratkilometer sind, lässt sich leicht ausrechnen. Aber wie viele Windkraftanlagen passen darauf?
Hier wird es schnell komplexer, als es zuerst aussehen mag. Denn man kann der Kalkulation nicht einfach den tatsächlichen Flächenverbrauch einer durchschnittlichen Windkraftanlage zugrunde legen – täte man es, käme man locker auf Platz für mehr als 400 Windräder. (Notabene: Bislang drehen sich in Berlin, auf Standorten kurz vor der Landesgrenze, exakt sechs Stück.) Tatsächlich brauchen die Anlagen innerhalb eines Windparks aber viel größere Abstände, das gebietet schon die Physik.
Die Senatswirtschaftsverwaltung, für Energiefragen zuständig, bezeichnet die Standortfrage als „komplex“ und bekräftigt auf Anfrage, „theoretische Rechenbeispiele“ seien „nicht seriös“. Erst einmal müsse man die Potenzialanalyse abwarten, die derzeit vom Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und der Bosch GmbH durchgeführt wird. Dennoch stellt auch die Senatsverwaltung eine Zahl in den Raum: Nach einer Berechnung der Fachagentur Wind nähme eine Anlage 21 bis 23 Hektar in Anspruch – das wären theoretisch nur noch 20 Berliner Windräder.
Hinzu kommt eine Ausnahme vom Flächenziel im Wind-an-Land-Gesetz: Per Staatsvertrag können Bundesländer sich gegenseitig einen Teil ihrer Pflicht übertragen. Für die Stadtstaaten sind das sogar 75 Prozent der geforderten Fläche. Würde Berlin mit Brandenburg (aktuell: rund 4.000 Windkraftanlagen) geschickt verhandeln und dem Nachbarland in anderen Bereichen entgegenkommen, könnte das im oben erwähnten Minimalfall zur Folge haben, dass in Berlin kein einzige weitere Anlage entstehen müsste. Die NaturschützerInnen könnten tief durchatmen.
Keine Aufweichung in Sicht
Klappt das aber nicht, und ist das 20-Windrad-Szenario dann doch zu sehr kleingerechnet, könnte der Bau von Dutzenden Windrädern auf Berlin zukommen. Aktuell deutet jedenfalls nichts darauf hin, dass der Bund, wie der Nabu es fordert, sein Gesetz gleich wieder anpasst und statt eines Flächenziels ein Energiemengenziel vorgibt, das dann etwa durch ein Mehr an Photovoltaik erreicht werden könnte.
Dann aber wäre der Zielkonflikt zwischen Klima- und Naturschutz beträchtlich. Um ihn so weit wie möglich auszuräumen, müsste der Senat alles tun, um überall in der Stadt Flächen auszuweisen, wo lediglich das ästhetische Empfinden der Stadtbevölkerung leidet. Aber warum sollte die auch auf Dauer in den Genuss kommen, massiv Energie zu konsumieren und die nicht so schönen Effekte davon ins dünn besiedelte Umland zu verbannen?
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