Wiens größtes Tanzfestival: Festival setzt Tanzimpulse

Tanzfestivals gibt es viele, aber wenige setzen eine Stadt so in Bewegung wie Impulstanz in Wien. Eine Erfolgsgeschichte.

Auf Leihrädern tragen die Besucher das Festival in die Stadt. Foto: Kat Reynolds

WIEN taz | Wenn in Wien die Theater den Sommer über geschlossen bleiben, erwachen einige dieser altehrwürdigen Bauten aus dem späten 19. Jahrhundert für ein paar Nächte zu ungeahntem Leben. Treppen und Vorplätze sind schon am frühen Abend von Menschen umlagert, die alle ein wenig jünger und unbeschwerter erscheinen als das Publikum, das hier übers Jahr verkehrt. Später am Abend, wenn die Vorstellungen vorbei sind, lösen sich diese gut gelaunten Ansammlungen nur langsam in die schwül-heißen Nächte des Wiener Sommers auf, um anderswo weiter zu feiern.

Viele tun dies auf den blauen und magentafarbenen Leihrädern, die man rund um das Wiener Museumsquartier, um Theater und Museen dieser Tage öfter sieht. Die schrille Farbe fällt auch im Großstadtverkehr sofort auf. Ein Markenzeichen, das seine Botschaft ganz nebenbei, aber ziemlich treffend verbreitet: Impulstanz ist in der Stadt.

Was 1984 mit ein paar Aufführungen in George Taboris Theater in der Wiener Porzellangasse begann, hat sich zwischenzeitlich mit bis zu 80 Gastspiel- und Koproduktionen zu einem weltweit wichtigen Festival für zeitgenössischen Tanz und Performance entwickelt.

Die internationale Reputation des Festivals hat einen Namen: Karl Regensburger führt die operativen Geschäfte seit der Gründung. Zum Tanz kam der studierte Betriebswirt eher auf Umwegen. Nach dem Abschluss organisierte er als Zwischenjob den Betrieb eines Tanzstudios, wurde in den 80ern Manager des damals aufstrebenden Choreografen Ismael Ivo, der auch heute noch bei Impulstanz dabei ist. Die Dissertation über das „Bilanzierungsverhalten europäischer Großbanken“ blieb liegen.

Der Festivalleiter ist genau dort, wo er sein will

Als Festivalleiter beherrscht Regensburger die Balance zwischen Alle-Fäden-in-der-Hand-Haben und sich als Person zurücknehmen. Anders als regieführende Intendanten muss er nicht mit KünstlerInnen um künstlerische Geltung konkurrieren, braucht keinen Distinktionsgewinn für den nächsten Karriereschritt. Er ist seit über 30 Jahren genau dort, wo er sein will, im internationalen Geschäft und in der Stadt, die er bis in all ihre Abgründe bestens kennt. Dafür hat das Festival Karriere gemacht.

Eröffnung des Impulstanzfestivals. Foto: Karolina Miernik

Regensburger, der als Fußballfan kaum eine Champions-League-Übertragung im Wiener Café Anzengruber auslässt, führt Impulstanz im Grunde wie einen ambitionierten Proficlub: in der Spitze, in der Breite und – was den Nachwuchs betrifft – nach vorne. Wichtige Tanzproduktionen auch jenseits der freien Szene zu zeigen, ist eines. Die Aufführungsreihe „[8:tension]“ programmiert Positionen nachwachsender ChoreografInnen erfreulich prominent.

Als Anreger und Koproduzent für lokale Compagnien ist Impulstanz unverzichtbar geworden. International erfolgreiche Gruppen wie Chris Harings „liquid loft“ sind immer wieder im Festival zu sehen, in diesem Jahr Philipp Gehmacher, Christine Gaigg oder Doris Uhlich, die das Festival vor 4.000 Zuschauern im Hof des Museumsquartiers mit Glamour eröffnete.

Regensburger führt Impulstanz im Grunde wie einen ambitionierten Proficlub: in der Spitze, in der Breite und nach vorne.

In der Reihe „Redefining Action(ism)“ im Museum moderner Kunst entwickelte Akemi Takeya ihre Performance „Lemonism“, einen analytisch präzisen Kommentar zum Wiener Aktionismus. Claudia Bosse und Alexandra Sommerfeld entdeckten Peter Weibels „Zock“-Manifest von 1967 auch noch in der Gegenwart als Irritationsquelle im öffentlichen Raum. Barbara Kraus führte in einer Art von lustvollen Publikumsbeschimpfung Performance auf ein letztlich unkalkulierbares Moment von Präsenz zurück.

Der mündige Zuschauer

Dass bewegte Körper etwas mit mündigem Zuschauen zu tun haben, ist Leitidee von Impulstanz seit drei Jahrzehnten. 150 DozentInnen geben zur Festivalzeit über 200 Workshops, die über 3.000 TeilnehmerInnen aus aller Welt für mindestens eine Woche in die Stadt führt. „Früher sind wir dafür belächelt worden“, sagt Regensburger. Heute versuchen viele Theater und Festivals händeringend Partizipationsangebote in ihren Spielplänen zu präsentieren.

Die WorkshopteilnehmerInnen ziehen die Spur des Festivals in die Stadt, gemeinsam arbeiten, gemeinsam ins Theater gehen, gemeinsam feiern, das schafft diese Olympisches-Dorf-Atmosphäre, die auch ein jüngeres Publikum anzieht, das in Wien sonst eher dem Theater fernbleibt.

Hinzu kommt ein Stipendienprogramm, das jedes Jahr 65 junge KünstlerInnen auswählt, die sich im Rahmen des Festivals mit erstrangigen KünstlerInnen und TheoretikerInnen weiterbilden und Projekte verwirklichen. Mittlerweile haben 1.000 KünstlerInnen aus 87 Ländern diese Programme durchlaufen. Mit seiner Organisation danceWEB ist das Festival ein wichtiger Knoten in einem europaweiten Netzwerk zu Ausbildung und Forschung im zeitgenössischen Tanz.

Ein modellhaftes Festival

Impulstanz bringt KünstlerInnen in Konstellationen zusammen, die sonst nicht miteinander arbeiten würden. Seine Atmosphäre hat in demokratisierter Form etwas mit jener „Festlichkeit“ zu tun, die den traditionellen Festivals heute immer mehr abgeht – in der Austauschbarkeit der Programme, dem untereinander Koproduzieren und den immer gleichen etablierten KünstlerInnen. Impulstanz könnte da ein Modell sein, wie Festivals in Zukunft wieder interessant werden können.

Etwas fehlt. Regensburger hat im Frühjahr 27 internationale Produktionen abgesagt. Die Liste liest sich wie ein Gotha des zeitgenössischen Tanzes. Jan Fabre wollte „Mount Olympus“ in Wien herausbringen, auch Anne Teresa De Keersmaeker, Meg Stuart, Marie Chouinard, Dada Masilo, Xavier Le Roy stehen drauf. Hoher Verlust für eine Einsparung von 300.000 Euro.

Aber beim Nachwuchs zu sparen – da hätte man einen guten Teil der EU-Förderungen zurückzahlen müssen. Bei den Workshops? Sie sind der Kern des Festivals. Einige KünstlerInnen wollten es in diesem Jahr billiger geben oder gar umsonst kommen. Regensburger lehnte ab, er wolle nicht unfreiwillig den Nachweis erbringen, „dass es doch geht“.

Ein Schnäppchen

Mit 2,15 Millionen Euro städtischem Zuschuss ist Impulstanz für das, was es leistet, ein Schnäppchen. Erst recht angesichts von ungefähr 100 Millionen Euro, die Wien allein für darstellende Kunst und Festivals ausgibt. Weniges davon erreicht mehr als nur lokale Bedeutung. Wenn Projekte tatsächlich den lokalen Horizont übersteigen, sind sie weit üppiger budgetiert als Impulstanz. Der Zuschuss für das Festival ist seit mehreren Jahren nicht oder nicht substantiell erhöht worden und soll es auch in Zukunft nicht werden.

Impulstanz braucht, so beziffert es Regensburger, rund 700.000 Euro mehr pro Jahr, um die Leistungen der Vorjahre zu erbringen. Er fühlt sich durch die Reputation und Nachfrage des Festivals bestätigt. Der Aufstieg von Impulstanz über drei Jahrzehnte ist nicht vom Subventionshimmel gefallen, sondern wurde bisweilen in heftigen Konflikten erkämpft. Das ist in der Demokratie nichts Ehrenrühriges. Dass die politisch Verantwortlichen in Wien Forderungen nicht nachkommen wollen, ebenso wenig. Nur müsste die Kulturpolitik dann die Debatte eröffnen, warum sie das Geld lieber für andere Dinge ausgibt.

Stattdessen schlägt Regensburger unausgesprochen, aber unüberhörbar ein wienerisch raunzendes „Da könnt’ a jeder kommen!“ entgegen. Neue Tendenzen könnten nicht mehr mit Erhöhungen des städtischen Kulturbudgets aufgefangen werden, daher müsse alles bleiben, wie es war. Bei anderen Kulturbetrieben hingegen war die Stadt Wien oft schnell bei der Hand mit Problemlösungen, hat mitunter horrende Schulden behoben, ohne zu sehr nach Ursachen und Entwicklungspotenzialen zu fragen.

Spricht gegen Impulstanz am Ende sein Streben nach Unabhängigkeit? Regensburger hat sich nie auf eine jener im Wiener Kulturbetrieb üblichen Firmenkonstruktionen eingelassen, bei denen die Stadt Subventionsgeber und indirekter Eigentümer zugleich ist.

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