Wien gegen Schengen-Erweiterung: Billigster Populismus
Österreich blockiert den Schengen-Beitritt von Bulgarien und Rumänien. Es ist ein rein innenpolitisches Manöver wegen der Wahl in einem Bundesland.
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K ein Schengen-Beitritt für Bulgarien und Rumänien. Österreich beharrt auf seinem Veto gegen die Erweiterung der Freizügigkeit in der EU. Das Argument von Bundeskanzler Karl Nehammer und Innenminister Gerhard Karner (beide ÖVP): Österreich sei wie kein anderes Land Ziel von Asylsuchenden. Mehr als die Hälfte der Schlepper, die die Schutzsuchenden über die Balkanroute schleusen, kämen aus Rumänien.
Das mag so sein, doch der Zusammenhang zwischen den steigenden Zahlen von Asylbewerbern und der Abschaffung der Grenzkontrollen ist bestenfalls konstruiert. Denn nach Österreich kommen die Unerwünschten in erster Linie über Ungarn, das sie nonchalant durchwinkt. Und mit Viktor Orbán pflegt Nehammer in der Migrations- und Flüchtlingsfrage einen peinlichen Kuschelkurs. Den harten Hund gibt er gegenüber Brüssel.
Was sich Österreich als Gegenleistung für seine Zustimmung erwartet, bleibt unklar. Gegen eine gemeinsame europäische Flüchtingspolitik und eine Verteilung von Asylsuchenden hat sich die ÖVP immer quergelegt. Wenn die Frage nächstes Jahr wieder aufs Tapet kommt, werde man vielleicht umdenken, heißt es.
Naheliegend ist, dass der Zweck der Übung kein außenpolitischer ist, sondern billigster Populismus, der regionale Wahlkämpfe nicht gefährden soll: In Niederösterreich stehen im kommenden Januar Wahlen an. ÖVP-Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner muss mit Stimmenverlusten rechnen und möchte Schadensbegrenzung betreiben. Dabei müssen Nehammer und Karner, die beide der niederösterreichischen Landespartei entsprungen sind, Schützenhilfe leisten. Härte gegen Ausländer kommt bei vielen Wahlberechtigten gut an.
Die Grünen, die auf den außenpolitischen und wirtschaftlichen Schaden von Österreichs Alleingang (die Niederlande blockieren nur Bulgarien) hinweisen, haben keine Handhabe, den Koalitionspartner zu stoppen. In Rumänien wird bereits zum Boykott österreichischer Unternehmen aufgerufen. Und in Brüssel wird man künftig wenig Verständnis für Österreichs Sonderwünsche haben.
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