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Wieder im KinoTore zu einer anderen Zeit

George Lucas begegnet uns im Stil der 70er mit „American Graffiti“, im Anime „Mirai–Das Mädchen aus der Zukunft“ geht der vierjährige Kun auf Zeitreise.

Begegnung durch die Zeit in „Mirai – Das Mädchen aus der Zukunft“ (Regie: Mamoru Hosoda, Japan 2018) Foto: © 2018 Studio Chizu

B evor George Lucas mit seinem „Star Wars“-Universum das Blockbuster-Geschäft neu definierte, hatte der Regisseur im Jahr 1973 einen veritablen Hit mit einer bitter-süßen Adoleszenz-Komödie: „American Graffiti“ handelt von den letzten unbeschwerten Tagen der Unschuld – und zwar sowohl im Leben der Protagonisten, die gerade die High School abgeschlossen haben und sich unschlüssig darüber sind, was sie nun tun sollen, als auch im Alltag eines Amerikas des Jahres 1962, das innerhalb der kommenden zwei Jahre die Ermordung Präsident Kennedys und den Eintritt in den Vietnam-Krieg erleben wird.

Der enorme Appeal des Films, der bei Produktionskosten von nur 700 000 Dollar schließlich 55 Millionen Dollar an den Kinokassen einspielte, lag und liegt sicher in der genauen Rekonstruktion einer Epoche, welche die Amerikaner an ihre sorglose Jugend erinnerte: mit riesigen Straßenkreuzern, den typischen Drive-In-Restaurants, illegalen Autorennen mit aufgemotzten Oldtimern und Schul-Tanzfesten, wo die Bands noch live spielten.

Doch so nostalgisch die Geschichte auch daherkommt, so deutlich entstammen die episodische Struktur und die gewollte Ziellosigkeit der Dramaturgie des Films den Siebziger Jahren: Übergangslos springt Lucas zwischen den Erlebnissen seiner Protagonisten hin und her, vermischt Komisches und Spannendes mit Melodramatischem und fängt dabei exakt die Atmosphäre eines Provinznests zwischen Langeweile und bemühter Erregung ein (19.6., 20.30 Uhr, Yorck Kino).

Im Jahr 2004 erhielt der australische Regisseur Adam Elliot einen Oscar für einen Knetanimationskurzfilm, der eine Titelfigur präsentierte, die vorsichtig ausgedrückt nicht eben vom Glück verfolgt ist: Unter anderem leidet der Held in „Harvie Krumpet“ unter dem Tourette-Syndrom, seine Mutter ist wahnsinnig, das Haus brennt ab, die Eltern erfrieren nackt im Schnee. Später spaltet ihm jemand den Schädel, er wird vom Blitz getroffen und erkrankt schließlich noch an Hodenkrebs und an Alzheimer… Und irgendwie gibt all dies ein recht typisches Muster für alle folgenden Elliot-Filme vor, in denen die Katastrophen stets mit großem Bildwitz und jener unglaublichen Lakonie vorgetragen werden, die schwarzen Humor erst so richtig zum Tragen bringt.

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Auch in Elliots bislang jüngstem Film „Memoir of a Snail“ (2024), der mithilfe der wunderbaren Stop-Motion-Animationstechnik das Schicksal der Zwillinge Grace und Gilbert erörtert, die nach dem Tod ihres Vaters vom Jugendamt getrennt werden, greift einmal mehr Elliots Vorliebe für Geschichten von Außenseitern mit mentalen und physischen Handicaps. Doch diese meistern bei all dem Auf und Ab ihr Leben dann doch irgendwie und sind gar nicht so unglücklich, wie man vielleicht glauben könnte. Zu sehen ist der schwarzhumorige Film jetzt in einer Preview im Hackesche Höfe Kino, ein regulärer Kinostart erfolgt in Deutschland am 24. Juli (10.7., OmU, Hackesche Höfe Kino).

Sich auf eigene Stärken besinnen, ganz individuelle Talente und Fähigkeiten entwickeln – das ist zweifellos auch das Thema der schönen Animefilme des japanischen Regisseurs Mamoru Hosoda. In „Mirai – Das Mädchen aus der Zukunft“ (2018) erzählt er vom vierjährigen Kun, dessen triebgesteuertes Verhalten die tieferen Einsichten in das soziale Gefüge familiären Zusammenlebens noch stark überlagert. So kommt es, dass er angesichts eines neuen Babys mit drastischen Eifersuchtsanfällen reagiert und sowohl die Schwester Mirai als auch die Eltern zu hassen beginnt.

Doch immer, wenn Kun wutentbrannt in den Garten rennt, öffnen sich für ihn dort Türen in andere Räume und Zeitebenen: Unter anderem lernt er dabei seine Schwester als Teenager, seine Mutter als Kleinkind und den Urgroßvater als jungen Mann kennen. Diese Begegnungen wiederum helfen Kun, seinen Platz in der Familie zu finden, die anderen und sich selbst besser zu verstehen: Mit dem Wissen um die eigene Herkunft blickt er gestärkt in die Zukunft (24.6., 20.30 Uhr, Casablanca).

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Lars Penning
Lars Penning, geboren 1962. Studium der Publizistik, Theaterwissenschaft und der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft an der FU Berlin. Freier Filmjournalist. Buchveröffentlichungen: Cameron Diaz (2001) und Julia Roberts (2003). Zahlreiche filmhistorische und –analytische Beiträge für verschiedene Publikationen. Lebt in Berlin.
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