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Postmoderne Architektur in der ProvinzWie eine museale Hülle des alten BRD-Kapitalismus

Die Künstlerin Karla Zipfel fotografiert postmoderne Gebäude und Interieurs in westdeutschen Städtchen. Auf Instagram und Tiktok kommt sie damit gut an.

Emotional und freimütig figurativ: postmoderne Fundstücke von Karla Zipfel in westdeutschen Kleinstädten, gepostet auf Instagram Foto: Karla Zipfel

Ein Nachhilfeinstitut, dessen Säulenportikus an eine palladianische Villa erinnert, ein Einfamilienhaus mit aprikosenfarbenen Rundbögen: Bad Krozingen ist die Toskana Deutschlands – zumindest, wenn es nach der Künstlerin Karla Zipfel geht. Ihre Bilder solcher Gebäude, unterlegt mit dem Italo-Schlager „Sarà perché ti amo“, sind Teil einer Serie auf Instagram und Tiktok, mit der Zipfel humorvoll die postmoderne Architektur westdeutscher Provinzstädte dokumentiert, in Siegen, Hof, oder Bad Krozingen im Breisgau.

Zipfels Videos erreichen regelmäßig sechsstellige Klickzahlen. Was fasziniert so an dem Stil, der in den 1980er und 1990er Jahren seinen Höhepunkt hatte?

Vor einigen Jahren galt Brutalismus als die Wiederentdeckung der Stunde. Auf Instagram feierte man seine riesigen, maschinenartigen Wohnblocks in der ehemaligen Sowjetunion oder den dystopisch wirkenden Mäusebunker in Berlin. Während diese massige Beton-Spätmoderne insbesondere bei öffentlichen Gebäuden und sozialem Wohnungsbau zu finden ist, sieht man die Postmoderne allerdings eher am Eigenheim oder in der Privatwirtschaft.

Die Ausstellung

Karla Zipfel: „Hauswirtschaft“, Galerie für Gegenwartskunst, Freiburg, bis 18. Januar 2026

Sparkassengebäude etwa tauchen immer wieder in den Videos von Karla Zipfel auf. Wie die Filiale im bayrischen Hof, aus deren Front ein Erker herausragt, getragen von Säulen unter abgetreppten Arkadenbögen. „Sparkasse mit postmoderner Fassade, die Bezüge zum Klassizismus und Burgen schafft“, schreibt Zipfel dazu.

Robert Venturi und Charles Jencks

Die Postmoderne ist weniger einheitliche Epoche als philosophische Strömung, bewusst grenzt sie sich von den wohlgestalteten, funktionalen Formen der Moderne ab. Postmoderne Architekten wie Robert Venturi, Denise Scott Brown oder Charles Jencks dachten vor allem den Kontext des Ortes mit und bezogen regionale und historische Aspekte in ihre Entwürfe ein. Postmodernes Produktdesign ließ auch alltägliche Gegenstände spielerisch, dekorativ und eklektisch sein, wenn man etwa an die Küchenutensilien der Firma Alessi denkt, deren Salzstreuer die Form eines Rapunzel-Turms und deren Wasserkessel eine Zwitschervogel-Pfeife haben konnte.

Und weil es in der Postmoderne weniger um den guten Geschmack und die durchdachte Gestaltung geht wie in der etwas unterkühlten Moderne, sondern ums anything goes, konnte sie besonders freimütige Formen annehmen. Zipfel hat einige davon gesichtet: Stromkästen als Fachwerkhäuser, ein „Volksbankinterieur mit mittelalterlichen Zügen“, wie die gebürtige Freiburgerin eines ihrer Bilder kommentiert.

Innenausstattung einer Volksbank mit klaren Metaphern Foto: Klara Zipfel

Nur selten kennt man die örtlichen Architekturbüros, die sich so etwas in den 80ern ausgedacht haben. Oder schon einmal vom Architektenpaar Edda und Gernot Heinz gehört, das zwei Sparkassengebäude in Hof entworfen hat?

Die historischen und erzählerischen Gestaltungselemente der Heinzens stiften Identität, schaffen einen Wiedererkennungswert, vielleicht sogar Nähe. Emotionale Effekte, die so kleinbürgerlichen Einrichtungen wie einer Sparkasse oder Volksbank zuspielen. Und heute, da sich auch diese Finanzinstitute zunehmend ins Netz verlagert haben, wirkt ein derart kundenbindendes Design schon wie die museale Hülle des alten BRD-Kapitalismus.

Humorvoll und fotogen

Immer schon mit Ironie versehen, bietet die fotogene Gestaltung der Postmoderne derzeit in den sozialen Medien eine humorvolle Vorlage, sich mit dem kulturellen Erbe der BRD auseinanderzusetzen. Nicht nur Karla Zipfel kommt damit gut an, auch etwa die Meme-Creatorin Svea Mausolf, die in ihren Posts 80er-Jahre-Mittelstandsmöbiliar, Bier- und Schlagerkultur persifliert.

Zipfel hat jetzt auch eine Ausstellung in Freiburg. Darin zieht sie eine ästhetische Parallele zwischen der Architektur von Eigenheimen in der deutschen Provinz und der von Sparkassen. Die erkläre sich mit dem Bestreben nach Wohlstand und sozialer Absicherung.

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