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Widerstand gegen geschlossenes Heim„Kapitulation des Hilfesystems“

In Hamburg protestieren Ex-Heimkinder mit Kunst gegen Heimneubau am Klotzenmoorstieg. Die Politik soll nachdenken, sagt Mitinitiator Dennis Engelmann.

Auf dieser Wiese am Klotzenmoorstieg ist das neue Kinderheim geplant Foto: AKS-Hamburg
Kaija Kutter
Interview von Kaija Kutter

taz: Herr Engelmann, warum gehen in Hamburg ehemalige Heimkinder auf die Straße?

Dennis Engelmann: Weil Hamburg ein geschlossenes Heim für neun- bis 13-jährige Kinder plant. Für ehemalige Heimkinder, die das selbst erlebt haben, wie zum Beispiel die Betroffenen der Haasenburg, ist das schlimm. Sie möchten mit ihren Erfahrungen an die Öffentlichkeit und davor warnen.

Was genau passiert am Samstag?

Wir treffen uns am U-Bahnhof Lattenkamp, von wo aus es eine Demo zum Bauplatz geben wird. Wir stellen dort eine Tafel mit Beiträgen auf, wo Betroffene ihre Geschichte erzählen. Unsere Vorbereitungsgruppe, zu der auch das „Care­leaver* Kollektiv Leipzig“ und das Straßenkinderprojekt „Momos“ zählen, hat viele Menschen eingeladen. Wer am Ende auftaucht, ist auch für uns eine Überraschung.

Der Flyer erwähnt eine Kunstaktion.

Bild: privat
Im Interview: Dennis Engelmann

Dennis Engelmann

30, gelernter Erzieher und Umschüler, ist Vorsitzender des 2019 von ihm gegründeten Vereins „Kinderseelenschützer“.

Die Idee ist, dass dort auch Bilder gemalt oder Texte geschrieben werden, um dieser ganzen Geschichte einen anderen Ausdruck zu verleihen.

Bleibt Ihre Tafel dort?

Nein, wir müssen die wieder mitnehmen. Aber wir sind froh, dass wir sie aufstellen dürfen.

Offiziell genehmigt?

Ja. Wir haben dort auch ein Mikrofon, sodass wir die Menschen vor Ort erreichen. Wir wollen sie sensibilisieren, weil sie sich vielleicht gar nichts dabei denken, was da geplant wird.

Was wissen Sie selbst schon über das Projekt?

Es soll dort ein Heim für Kinder von neun bis 13 Jahren geben, das anfangs auch Geschlossenheit vorsieht. Das finde ich erschreckend. Ein geschlossenes Heim für diese Altersstufe ist Kapitulation des Hilfesystems.

Weil diese Kinder zu jung sind?

Definitiv. Wenn der Staat mit neun- bis 13-Jährigen so überfordert ist, dass die einzige Möglichkeit ist, dass man sie wegsperrt, ist es für mich unfassbar! Das sind teils noch Grundschüler, die als Schwerverbrecher weggesperrt und stigmatisiert werden. So geht man nicht an die Ursachen ran. Hinter jedem auffälligen Verhalten steckt ja ein Bedürfnis, das nicht befriedigt ist. Kein Kind kommt böse auf die Welt.

Das neue Heim soll nur teils geschlossen sein.

Überhaupt darauf zurückzugreifen, ist falsch. Das gibt definitiv ein Machtgefälle und eine Stigmatisierung. Und wer weiß, vielleicht fängt man nur klein an und weitet das später aus?

Was ist die Alternative?

Mehr intensive einzelpädagogische Angebote. Die kosten natürlich mehr und benötigen auch mehr Personal. Aber solche Maßnahmen gibt es.

Kundgebung und Kunst­aktion „Klotzenmoorstieg stoppen!“, Treffpunkt: Sa, 14 Uhr, Hamburg, U-Bahn Station Lattenkamp

Hat Ihre Gruppe schon mit Politikern gesprochen?

Noch nicht konkret. Wir möchten mit dieser Kunstaktion ein politisches Statement setzen, damit sich die Politik das noch mal überlegt. Das Heim soll ja 2026 fertig sein. Davor wird in Hamburg noch mal gewählt.

Sie selbst waren als Kind bei Pflegeeltern. Welche Verbindung haben Sie zum Thema und den Betroffenen?

Ich bin über unseren Verein mit den Ehemaligen der Haasenburg-Heime im Kontakt. Mich macht deren Geschichte sehr betroffen: So sollte Kinder und Jugendhilfe nicht laufen! Ich selbst habe auch in offenen Wohngruppen gelebt und dort gute Erfahrungen gemacht – weil wertschätzend mit uns umgegangen wurde. Sodass ich sage: Das Problem sind geschlossene Heime.

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1 Kommentar

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  • In den ganzen Debatten wird immer so getan, als ob nur schwer kriminelle Kinder und Jugendliche unbedingt und sofort weggesperrt werden müssten (taz.de/Streit-um-H...ziehung/!5834165/). Solche Fälle mag es geben, ganz bestimmt. Lassen sich „leider“ auf Grund unserer hohen datenschutzrechtlichen Güter, nicht belegen.

    Dabei völlig ausgeblendet werden Kinder, die zuvor gut in der Schule waren, kaum Krankheitstage und lt. U-Untersuchungen keinen Befund hatten, dann von einen Tag zum anderen, rein „zufällig“ mit Beginn der „Jugendhilfe“, in der Geschlossenen landeten und am Ende keine 30 Jahre alt werden (taz.de/Tod-eines-e...mkindes/!5756902/).

    Mag sein, das waren nur Einzelfälle oder es traf nur ein Kriterium zu, aber die gab es!

    Ich fürchte, das Problem sind nicht diese Heime, die gab es auch in der DDR, das Problem ist die „Jugendhilfe“ selbst.