Ex-Heimkinder zu Hamburgs Heim-Plänen: „Wir sind klar dagegen“
Ehemalige Betroffene protestieren gegen ein geplantes geschlossenes Kinderheim in Hamburg. Auch einige Anwohner sind skeptisch.
Hamburg taz | Eine Demo, ein Polizist, Plakate mit Aufschriften wie „Wir sind alle schwer erziehbar“. Ein ungewohnter Anblick bot sich am Samstag den Anwohnern des Klotzenmoorstiegs in Hamburg Groß-Bostel. Nach den Plänen der Stadt soll auf einer grünen Wiese neben idyllischen Einfamilienhäusern 2026 ein Kinderheim eröffnen, das auch einen geschlossenen Bereich hat. „Wir sind klar dagegen, wir wollen das nicht. Das ist uns eine Herzensangelegenheit“, sagte Renzo Martinez, ein früherer Bewohner der Haasenburg-Heime, der mit weiteren Betroffenen die Aktion organisierte.
Ein NDR-Team filmte die Ansprache, mit der Martinez vor dem Heim warnte. Er hat eine Interessengemeinschaft der Ehemaligen der brandenburgischen Haasenburg-Heime initiert und kennt hundert Betroffene. „Ich hab einen guten Einblick erfahren, wie es in dem Seelenleben dieser ehemaligen Kinder aussieht“, sagte er. „Und ich habe noch nie so viele zerstörte Seelen gesehen. Menschen mit so viel Potential, deren Leben von Angst bestimmt ist.“ Diese Angst habe eine Institution beigebracht, die helfen sollte. Das sei „eine Schande“.
Die Sozialbehörde konnte am Freitag noch nicht sagen, wann der Bau des inzwischen „Casa Luna“ getauften Heims beginnt. Ihr Sprecher betont aber, dass es sich nicht um ein geschlossenes Heim handle. Es sei vielmehr eines, das „auch“ Kinder geschlossen unterbringen könne. Hier werde eine Angebotslücke geschlossen.
Ombudsstellen sind auch gegen geschlossene Heime
Laut den Bauplänen, die kursieren, soll es im ersten Stock, also fern des Ausgangs, eine gesonderte Aufnahmestation mit vier Plätzen geben. Die Relativierungen der Stadt beruhigen die Sorgen der Betroffenen nicht. Dürfe das eine Kind raus, das andere nicht, sei es ein „Zweiklassensystem, das Konflikte provoziert“, sagte eine junge Frau aus Leipzig. Auch sie schilderte am Zaun ihre Geschichte. Sie sei als Kind vom Jugendamt geschlossen untergebracht worden und habe dadurch jedes Vertrauen in Erwachsene verloren. „Das bedeutet, im Winter bei Schnee und Kälte lieber in fremden Kellern zu schlafen, als im Jugendamt noch mal nach Hilfe zu fragen.“
Die beiden, die von weiteren Ex-Heimkindern unterstützt wurden, appellierten an die Anwohner, dem Bauprojekt zu widersprechen. Es sei keinesfalls so, dass die geschlossen untergebrachten Kinder Schwerverbrecher seien, erklärte Martinez. Er und viele andere seien wegen Schulschwänzens eingesperrt worden.
Das Wort ergriffen auch die Schriftstellerin Gritt Poppe, die über DDR-Jugendheime schrieb, und Sozialarbeiter wie die Leiterin der Hamburger Ombudsstelle für Kinder und Jugendhilfe, Anja Post-Martens. Inzwischen lehnt das bundesweite Netzwerk aller Ombudsstellen geschlossene Heime ab und hält sie auch für rechtlich unzulässig.
Anwohner erinnerten daran, dass vor 15 Jahren ein solches Heim in der Feuerbergstraße wieder schließen musste, weil es nicht funktionierte. „Warum“, sagte eine Nachbarin, „setzt man uns dann hier so ein Ding hin?“
Leser*innenkommentare
Rudolf Fissner
"Das bedeutet, im Winter bei Schnee und Kälte lieber in fremden Kellern zu schlafen, als im Jugendamt noch mal nach Hilfe zu fragen.“"
Hat Hamburg das wie die Kirchen aufgearbeitet und Studien in Auftrag gegeben, die da Verhalten der Verantwortlichen in den Heimen, Jugendämtern und Politik untersuchen und Personen benennen?
Schmidt
@Rudolf Fissner Natürlich könnte das Hamburg wie die Kirchen mit Bullshit-Arbeitskreisen, -Studien oder -Entschädigungen aufarbeiten, nur bedeutet das auch weiterhin und darüber hinaus, „… im Winter bei Schnee und Kälte lieber in fremden Kellern zu schlafen, als im Jugendamt noch mal nach Hilfe zu fragen.“.
Allerdings ist das nicht nur in Hamburg so. So ging kürzlich eine Studie zum „Kindeswohl und Umgangsrecht“ eindeutig in diese Richtung, welche von einem Privatunternehmen erstellt wurde, das die Inobhutnahme und Entfremdung von Kindern und Jugendlichen zum Unternehmenszweck hat. Trotz der Voreingenommenheit, welche offenbar immer noch nicht ausreichte, wurde sie nach jahrelangem Hin und Her von einem ehemaligen Mitbewerber übernommen.
Andreas_2020
Mich würde echt interessieren, wie die Stadt diesen Bedarf ermittelt.
Geht die Stadt von Kindern aus, die unter 14 Jahre strafrechtlich auffällig werden?
Ob da mit einer Sperre bzw. Wegschließen wirklich die Quelle des Problems bekämpft werden kann?
Ich zweifele schon an der Ausgangslage und so ein System, welches dann auch noch in ein anderes System intergriert werden muss, könnte schnell sehr heikel werden.
Vielleicht liegt das Problem auch irgendwo zwischen Schulen, KJND und ASD (Jugendamt). Weil dort nicht unbedingt gut gearbeitet wird und weil vielleicht Personalmangel und Personalkarussel für Brüchigkeit und schlechte Fallanalysen sorgen, weil Kinder nicht oder viel zu spät gesehen werden.
Ich glaube nicht, dass es Kinder gibt, die kein Mensch mehr erreichen kann. Schon eher Menschen, die das eigentlich sollten, es aber nicht geschafft haben.
Wenn die Kinder dann deswegen zumindest teilweise weggeschlossen werden müssen, wäre das ein Fiasko.
Und es wäre dann eine Vororganisation für Hannöversand, weil viele dann am Ende dort landen würden. Solche Systeme bringen auch extremen Zwang ins Spiel, ob Kinder danach noch gut in eine normale Wohngruppe integrierbar wären?
Mahner
@Andreas_2020 Die Sozialbehörde macht in den Jugendämtern regelmäßig Abfragen zu diversen Themen.
Ihre Analyse kann ich als ASD-Mitarbeiter weitgehend teilen. Aufgrund der extrem hohen Krankenstände (natürlich ohne dass es halbwegs zeitnah Ersatz gibt) und dem von der Wissenschaftsbehörde vorsätzlich produzierten Fachkräftemangel werden in den allermeisten ASD nur Krisen abgearbeitet, und zwar nach dem Motto Quick&Dirty. Schnell irgendwie unterbringen, damit erst mal Ruhe ist und dann irgendwie mitschleppen bis zur Volljährigkeit. Wir würden selbstverständlich gern anders und besser arbeiten, sind aber halt auch nur die Chirurgen im Kriegslazarett, die mit stumpfen Instrumenten aus der Vorkriegszeit die Betroffenen irgendwie zusammenflicken. Ohne Anästhesie.
Brot&Rosen
lebe seit 1982 in HH + habe vor fast 50 jahren in mannheim an der fachhochschule für sozialarbeit (fhs)als dipl.-psych. + nebenamtliche dozentin zum thema heimkinder unterrichtet. bekam als solche berufsverbot.
aber nicht wg. des heimerziehungsthemas, sondern wg. organisieren der teilnahme in D lebender menschen an einer demo in paris zum thema putsch/chile 1973 und einer 7-jährigen lückenlosen verfolgung meiner politschen betätigung.
6 jahre überwachung durch die "Dienste" waren damals "erlaubt", z.z. des von der SPD eingeführten berufsverbotes. wie überaus großzügig.
gut, es war viel, was ich gemacht habe (auch später, trotz des berufsverbotes).
den herrschenden waren meine actions zuviel... kostete mich mal locker so an die 2-3 mio €.
das berufsverbot gegen eine nebenamtl.dozentin schien ein guter weg zu sein, mich mundtot und kleinkriegen zu können. neben mir wurden weitere 8 nebenamtliche dozenten mit berufsverbot belegt - hat denen mitnichten geschadet, da amtsrichter u.so ähnliche personen.
meine weitere karriere an der fhs bzw. an der uni mannheim war damit im eimer.
heute ist übrigens der 11.9., 50j.jahrestag des putsches in chile.
heimerziehung ist weiter problembehaftet, schadenersatz für mein berufsverbot: fehlanzeige. kretschmann hat sich bei den opfern der berufsverbote entschuldit. kost ja nix.
ich: sehr zornig.