Streit um Kinderheim: Ein bisschen geschlossen

Hamburg plant ein Kinderheim, in dem Neun- bis 13-Jährige geschlossen untergebracht werden können. Das sorgt für Kritik bei früheren Heimkindern.

Architekturzeichnung eines konvexen holzverkleideten Gebäudes mit großen Fenstern

Noch existiert es nur als Entwurf: das geplante Kinderheim in Hamburg-Groß Borstel Foto: Wacker/Zeiger Architekten

HAMBURG taz | Es war wohl ein Novum, als am Montag mit Renzo Martinez ein ehemaliger Bewohner der Haasenburg-Heime in Hamburg im Landesjugendhilfeausschuss direkt mit Verantwortlichen der Sozialbehörde sprach. Es ging um das neue Kinderheim, das die Stadt im Stadtteil Groß Borstel plant. Es sei den Ehemaligen ein Anliegen, dass der „Klotzenmoorstieg“ nicht gebaut wird. Denn wenn sie das Konzept anschauten, ohne den Namen zu kennen, sei ihr erster Gedanke: „Da ist die Haasenburg gemeint.“

Diesen Eindruck wollte Lars Schulhoff, Leiter der Abteilung „Gestaltung der Jugendhilfe“ im Amt für Familie ganz und gar nicht stehen lassen. „Es soll keine geschlossene Unterbringung sein“, sagte er, und zeigte eine Powerpoint-Präsentation mit Architektur-Plänen. Halbrund wie eine Mondsichel soll die Gebäudeform sein, mit einer Art Hof im Innern. Weshalb die Einrichtung nun „Casa Luna“ heiße. Nach den Planungen des Hamburger Senats soll sie im Jahr 2026 fertig werden und Platz bieten für 16 Kinder von neun bis 13 Jahren mit speziellem Betreuungsbedarf. Die Räume der „Aufnahme“ sind rot schraffiert und liegen im ersten Stock.

Es gebe zwar vier Plätze für eine sogenannte „Clearingphase“ zu Beginn. Dort gebe es die „Möglichkeit“, so Schulhoff, Kinder mit einem Gerichtsbeschluss für geschlossene Unterbringung (GU) nach Paragraf 1631 b BGB aufzunehmen. Das Konzept sei jedoch: „Menschen statt Mauern“. Kinder mit Beschluss sollten sich so bewegen können wie jene, die keinen Beschluss haben. „Die Clearinggruppe scheint eine Phase zu sein. Ist aber keine Phase“, sagte der Behördenleiter.

Ein Drei-Phasen-Modell mit Rot, Gelb und Grün gab es in den Brandenburger Haasenburg-Heimen. Martinez schilderte zu Beginn der Sitzung detailliert, wie es ihm ergangen war, als er als 13-Jähriger dort lebte. Er sei zwei Jahre nur in Phase Rot gewesen, isoliert in seinem Zimmer. „Für jedes normabweichendes Verhalten wurde ich bestraft“, sagte er. Er habe nicht widersprechen dürfen und auf Gestik und Mimik achten müssen. „Menschen statt Mauern war auch Credo der Haasenburg“, sagte Martinez und fragte Schulhoff, wie lange diese „Clearingphase“ dauern soll.

In den früheren Haasenburg-Heimen in Brandenburg gab es ein Ampelsysthem mit den drei Phasen rot, gelb und grün.

In der Roten Phase zu Beginn hatten die Kinder sehr wenig Rechte. Sie mussten sich durch Verhalten den Aufstieg in die nächste Phase verdienen. Bei Fehlverhalten konnten sie zurückgestuft werden.

Für dieses Modell gibt es auch andere Namen wie: 1. Phase, 2. Phase, 3. Phase oder Anfangsphase, Entwicklungsphase, Entlassungsphase.

Der jüngste UN-Bericht zur Umsetzung der Kinderrechtskonvention legt Deutschland nahe, solche „intensivpädagogischen Maßnahmen“ zu überdenken zu Gunsten einer Kultur der bedarfsorientierten Sozialarbeit.

„Kommt man da raus für normalisiertes Verhalten?“ Es dauere drei bis vier Monate, „bis klar ist, wie ich mit den jungen Menschen arbeite“, antwortete Schulhoff. „Es hat nichts damit zu tun, etwas zu erwerben.“ Überzeugend erklären konnte er den Unterschied zum Phasenmodell jedoch nicht.

Eigentlicher Anlass der Sitzung war die Vorstellung eines Alternativpapiers zum neuen Kinderheim. Erstellt haben das Papier die Sozialwissenschaftler Michael Lindenberg und Tilmann Lutz. Dass die Kooperation zwischen Psychiatrie und Jugendhilfe besser werden müsse, sei richtig, sagen sie. Besser sei es, man regele über ein „Verfahren“ und nicht über eine Einrichtung.

Dass eine Abteilung geschlossen sei und mit Zwang arbeite, habe Auswirkungen auf das Setting der ganzen Einrichtung, sagte Lindenberg. Lutz ergänzte, es könne nicht funktionieren, dass man Kinder aus ihrem Umfeld hole, zwei Jahre in einem Heim bearbeite und dann zurück in die Gesellschaft gebe. Die Schule zum Beispiel soll im „Casa Luna“ im Haus sein, sodass die Kinder keinen Kontakt zu Mitschülern im Viertel haben.

Schullhoff sagte, seine Behörde sehe den Bedarf für das „Casa Luna“, weil es Kinder gebe, die sich selbst oder andere gefährden. Er nannte das Beispiel eines Mädchens, das Glasscherben schluckt. Das sei „akute Suizidalität“, bei der ein Kind in der Psychiatrie richtig aufgehoben sei, hielt Lutz dagegen.

Auch das Publikum und die Ausschussmitglieder beteiligten sich rege. Die Frage, wie mit der Spaltung der Kinder mit und ohne GU-Beschluss umgegangen werde, blieb unbeantwortet. Anja Post-Martens vom „Verband für Kinder- und Jugendarbeit“ fragte, welche Rechte die jungen Menschen hätten, ob sie Kontakt zu ihren Eltern und zur Ombudsstelle haben dürften.

„Selbstverständlich“, sagte der Behördenleiter. Die Ombudsstelle sei eine große Errungenschaft und „die Tür ist ja offen“. Und die Eltern der Fälle, die er kenne, seien oft am Ende ihrer Kräfte und sähen dies als Chance. Etwa fünf bis sechs GU-Beschlüsse gebe es in Hamburg im Jahr, konkrete Zahlen hatte er allerdings nicht dabei.

Ein GU-Beschluss sagt allerdings nicht, dass ein Kind geschlossen untergebracht werden muss, sondern gibt nur die Erlaubnis dafür, darauf wies Michael Lindenberg hin. Jede Einrichtung könne diese Kinder aufnehmen. In Harburg gebe es bereits ein „Kinderschutzhaus Plus“ für Sechs- bis Zwölfjährige, die das Ziel habe, junge Menschen auszuhalten, ergänzte Kollege Lutz. „Da wird ohne Einschluss gearbeitet.“

Nicht ganz klar ist auch, wie der Einschluss technisch realisiert würde. Bei einer früheren Präsentation der Pläne wurde auch die Idee einer Transponder-Lösung ins Spiel gebracht, bei der einige mit dem Schlüssel rauskommen und andere nicht. Laut Sozialbehörde soll es keinen Sicherheitsdienst geben, wohl aber einen „Pförtnerdienst mit spezieller pädagogischer Ausbildung“.

Geschlossene Unterbringung ist in Hamburg immer auch ein Politikum. Die SPD will sich seit 2001, als sie durch die rechtspopulistische Schwarz-Schill-Regierung um ihre Macht kam, beim Thema innere Sicherheit von rechts nicht angreifbar machen und deshalb die Pläne für ein geschlossenes Heim nicht aufgeben. Die Grünen haben ihren ursprünglichen Widerstand aufgegeben. Derweil hat Bremen, das eine Zeit lang mit Hamburg gemeinsam eine Einrichtung plante, inzwischen Alternativen etabliert.

Der Landesjugendhilfeausschuss will sich in der übernächsten Sitzung erneut mit dem Thema befassen, um dann eine Empfehlung auszusprechen. Vor allem die Berichte von Martinez stießen sichtbar auf Interesse. Die Vorsitzende Sidone Fernau fragte die Behördenseite, ob denn die Planer von „Casa Luna“ auch Kontakte zu Betroffenen hätten. Nein, war die Antwort, davon habe man „noch nichts gehört“.

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