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Westliche Politik in der Sahel-ZoneZeitenwende in Mali

Olaf Bernau
Gastkommentar von Olaf Bernau

Die Putschregierung in Bamako genießt hohes Ansehen, auch außerhalb des Landes. Der Westen muss sein Vorgehen im Sahel völlig neu ausrichten.

Fußballfan von Mali und Fan von Juntaführer Assimi Goita beim Africa-Cup 2022 Foto: Issouf Sanogo/afp/getty images

A ls die aus einem Doppelputsch hervorgegangene malische Übergangsregierung am 23. Februar in der UN-Vollversammlung die Verurteilung des russischen Angriffskriegs in der Ukraine ablehnte, war die Empörung groß. Der Bundeswehrverband forderte, dass Deutschland seine Beteiligung an der UN-Friedensmission Minusma in Mali beenden müsse, selbst im Auswärtigen Amt wuchsen die Zweifel. Das Abstimmungsverhalten schien bestens in das Bild einer wild gewordenen Militärjunta zu passen, die immer enger mit Russland kooperiert, die Kri­ti­ke­r:in­nen mundtot macht und die sich auf Konfrontationskurs mit dem Westen befindet.

Gleichwohl wäre die deutsche Öffentlichkeit gut beraten, genauer zu klären, was in Mali tatsächlich passiert. Denn breite Teile der malischen Bevölkerung schauen optimistisch in die Zukunft, laut verschiedenen Quellen stehen 70 bis 90 Prozent der Menschen an der Seite der Übergangsregierung. Auch in anderen afrikanischen Ländern gilt Mali als Vorreiter, als ein Land, das sich traut, dem Westen die Stirn zu bieten. Die viel gelesene Internetzeitung Agence Ecofin ließ im Februar ihre Le­se­r:in­nen darüber abstimmen, welche afrikanischen Persönlichkeiten das größte Vertrauen genießen. Assimi Goita, Chef der malischen Übergangsregierung, landete auf Platz 4. Vor ihm firmierten lediglich ein nigerianischer Unternehmer, ein kamerunischer Journalist und ein senegalesischer Fußballstar.

Bild: privat
Olaf Bernau

ist aktiv bei dem transnationialen Netzwerk Afrique-Europe-Interact und war zuletzt im Februar in Mali. 2022 ist bei C. H. Beck sein Buch „Brennpunkt West­afrika. Die Fluchtursachen und was Europa tun sollte“ erschienen.

Umfragen sind flüchtig, dennoch kommt die Zustimmung nicht von ungefähr. Am wichtigsten dürfte Malis Haltung gegenüber Frankreich sein, dessen selbstherrliches und ineffektives Agieren im Antiterrorkampf schon lange in der Kritik steht. Als die ehemalige Kolonialmacht im Juni 2021 den Abzug ihrer Truppen verkündete, bat die malische Regierung nicht um Aufschub, sondern meinte kühl, dass dies Frankreichs eigene Entscheidung sei.

Gleichzeitig intensivierte sie die vom Westen heftig kritisierte Zusammenarbeit mit Russland. Hierzu gehörten auch Waffenlieferungen wie Hubschrauber und Radartechnik, was Frankreich jahrelang verweigert hatte, mit dem Effekt, dass Mali militärisch abhängig blieb. Ähnlich 2022, als die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas Mali mit Wirtschaftssanktionen überzog, nachdem die Übergangsregierung eine Verschiebung der regulären Wahlen angekündigt hatte. Auch hier blieben die Militärs abgeklärt, obwohl die Sanktionen schärfer waren als alle bis heute gegen Russland verhängten Maßnahmen.

Das kollektive Sicherheitsgefühl ist besser geworden

Aus westlicher Sicht glich dies einem Vabanquespiel. Doch viele Ma­lie­r:in­nen ziehen eine andere Bilanz. Sie verweisen auf die verbesserte Sicherheitslage, darunter auch Bauern und Bäuerinnen im Office du Niger, einem von Terrorgruppen immer wieder heimgesuchten Bewässerungsgebiet im Zentrum des Landes: Die großen Straßen seien wieder passierbar, die Felder zugänglich, das kollektive Sicherheitsgefühl habe sich spürbar erhöht. Das ist natürlich nur ein Ausschnitt, in anderen Regionen sieht es schlechter aus, zumal das Banditenwesen allenthalben explodiert ist.

Und doch gibt es einen übergreifenden Konsens: Die 2012 kollabierte Armee habe sich erholt, die Durchsetzungsfähigkeit der Terroristen sei im Schwinden, trotz punktueller Herrschaft über einzelne dörfliche Gebiete. Entsprechend seien auch UN-Berichte mit Vorsicht zu genießen, wonach sich die Zahl getöteter Zi­vi­lis­t:in­nen von 2021 bis 2022 verdoppelt habe. Denn Ter­ro­ris­t:in­nen und Zivilbevölkerung seien keine trennscharfen Gruppen, auch wenn kaum jemand die Gefahr von Menschenrechtsverletzungen durch staatliche Sicherheitskräfte bestreitet. Als Erfolge gewürdigt werden der verstärkte Kampf gegen Korruption, höhere Investitionen in die Infrastruktur und Fortschritte im Justizwesen. Und natürlich der Umstand, dass Assimi Goita wieder Zukunftshoffnung geweckt habe.

Aus Sicht der einstigen politischen Klasse ist dies Propagandakitsch, sie spricht von Diktatur: Wahlen seien nicht in Sicht, der Präsident solle zukünftig noch stärkere Rechte erhalten und mehrere Menschen säßen wegen Meinungsdelikten in Haft. Die Kritik ist nicht ganz von der Hand zu weisen, und doch wirkt vieles überzogen. Aufschlussreicher ist daher, was jene Akteure sagen, die im Sommer 2020 zum Sturz von Präsident Ibrahim Boubacar Keita beigetragen haben, deren Urteil also nicht von der Erfahrung des Privilegienverlustes geprägt ist.

Nicht wenige zeigen sich ebenfalls ernüchtert, sie kritisieren mangelnde Visionen und Gesprächsbereitschaft der Militärs, etwa der Filmregisseur Cheik Oumar Sissoko. Sie warnen davor, dass die freiwillige Nichtinanspruchnahme von Grundrechten wie Redefreiheit zur Friedhofsstille führen könnte. Und doch betonen auch sie, dass eine Rückkehr zum früheren Status quo nicht wünschenswert sei.

Alles spricht dafür, dass sich in Mali vor allem die Jugend längst entschieden hat. Nicht für Russland, sondern für echte Unabhängigkeit. „Gagner-Gagner“ – Win-win, so lautet das neue Zeitenwendecredo: Wir wollen Beziehungen mit allen, also auch mit China, Russland oder der Türkei, die meist bessere Geschäfte anbieten als westliche Länder.

Für die kommende Minusma-Debatte im Bundestag bedeutet dies: Eine Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der UN-Friedensmission bis zum geplanten Ende im Mai 2024 scheint allein aus praktischen Gründen alternativlos. Wichtiger ist, bereits jetzt über egalitäre Formen zukünftiger Zusammenarbeit nachzudenken. Die vor allem in Frankreich forcierte Isolierung Malis riecht nach Rache. Vielmehr muss Europa seine rabiate Interessenpolitik überwinden, nicht nur im Migrationsbereich. Denn die Menschen in Mali und im Sahel sind nicht mehr bereit, die ihnen historisch zugewiesene Rolle als Sta­tis­t:in­nen im vermeintlichen Armenhaus der Welt zu spielen.

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1 Kommentar

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  • Und so redet Olaf Bernau die rabiate Interessenpolitik Chinas und Russlands schön, weil er glaubt, dass alle die Malier, die den Putsch befürworten, im Recht seien. Es ging um Terrorismusbekämpfung und da kritisierten Charlotte Wiedemann und Olaf Bernau, dass die franz. Politik von der Malischen Politik Verhandlungsbereitschaft forderte.



    Nun verweigern die Regime Malis und Burkina Fasos genau das: keine Verhandlungen, Rausschmiss der UN-Menschenrechtskommission, der Journalisten und Botschafter. Das ist ein Weg vom Populismus zum autoritären Kollektivismus. Genau den unterstützt der Kreml.



    China würde ehrlicher liefern? Eine dreiste Lüge. China bringt seine eigenen Fachkräfte mit für seine strategischen Projekte in allen Teilen Afrikas.



    Nur weil wenige Menschen sich mit den Regionen Afrikas auskennen, kritisiert es niemand.



    "Mort au francais" ist ein Ruf in Mali. Tod den Franzosen.



    Das hat nichts mit dem Kolonialismus zu tun, der vor 60 Jahren endete. In Senegal schreit niemand Tod den Franzosen. In Sierra Leone wurde die UN-Peacekeeping Mission nach dem Kriegsende 1998 unter britischer Führung nie besonders kritisiert.



    Französische Bürger und Institutionen sind auf vielfältige Weise mit dem westlichen Afrika verbunden, Afrikaner_innen sind in Frankreich, in Europa, und üben viele verschiedene Berufe aus. Es gibt viel Wissens- und Kulturtransfer. Das wird auch in den Periodika wie Politique africaine deutlich.



    Wenn es um Uran aus Niger geht, so wird dies seit über 30 Jahren angeprangert. Das zweite Thema ist die Einreisesperre der EU - Transit Niger. Genau dabei sollte es m.E. keine Hürden mehr geben - keine Abschiebungen und Schikanen bei Geburtsurkunden.



    Was in mehr und mehr Teilen Afrikas grassiert ist eine selbstgerechte Kampagne gegen die zivilgesellschaftliche Kooperation mit Europäer_innen. Das finde ich irrational, nationalistisch und ziellos. "Rache" geht von "Kemi" aus.