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Menschen mit BehinderungIn der Sackgasse: Werkstatt

Gastkommentar von David Fedder

Statt Menschen mit Behinderungen zu fördern, halten Werkstätten sie systematisch klein. Sie werden als billige Arbeitskräfte missbraucht.

Oft sind Menschen mit Behinderung billige Arbeitskräfte mit beschränkten Rechten Foto: Funke Foto Services/imago

I n einem Land, das sich Inklusion auf die Fahnen schreibt, bleibt eine Realität weitgehend unangetastet: die der Werkstätten für behinderte Menschen. Offiziell sind sie Orte der Förderung, Beschäftigung, Teilhabe. In der Praxis jedoch sind sie für viele das genaue Gegenteil – eine institutionalisierte Sackgasse, die Menschen nicht stärkt, sondern festhält.

Tag für Tag arbeiten dort Hunderttausende Menschen mit Behinderung für wenige Euro je Stunde – ohne echte Perspektive auf den allgemeinen Arbeitsmarkt. Ihre Tätigkeiten sind oft produktiv, wirtschaftlich relevant, gut organisiert, aber nicht gerecht entlohnt. Das ist kein Versehen, sondern hat System. Denn hinter der Fassade der Fürsorge wirkt eine andere Logik: die ökonomische.

David Fedder

arbeitet in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung. Dort begegnet er täglich Persönlich­keiten, die mehr sind als ihre Akten, ­Diagnosen und Förderpläne.

Werkstätten sind nicht nur soziale Einrichtungen – sie sind Teil eines Marktes. Ein Markt, der günstig produziert, staatlich subventioniert wird und für Unternehmen attraktive Outsourcing-Modelle bietet. Menschen mit Behinderung sind in diesem System billige Arbeitskräfte mit beschränkten Rechten.

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Dabei beginnt die Ausgrenzung nicht erst bei der Entlohnung, sie beginnt bei der Haltung. Über die Jahre entsteht in vielen Werkstätten eine Kultur der stillen Anpassung. Menschen übernehmen Routinen, verinnerlichen Erwartungen, ohne dass sie je gefragt werden, was sie selbst wollen. Statt Selbstbestimmung erleben sie ein System, das sie beschäftigt, aber nicht bewegt.

Das eigentliche Leben, mit all seiner Vielfalt, seinen Freiheiten, findet außerhalb statt. Auch der Alltag verläuft in betreuten Schleifen: sicher, strukturiert, aber oft auch einsam, reglementiert, still. Es ist ein Leben in der Obhut, nicht in der Öffentlichkeit.

So entsteht ein stiller Konsens: Bleib, funktioniere, sei dankbar. Nicht weil es gut ist, sondern weil es keinen anderen Weg zu geben scheint. Wenn wir wirklich Inklusion wollen, dann müssen wir unser Bild vom Menschen mit Behinderung grundsätzlich hinterfragen – nicht als Objekt der Hilfe, sondern als gleichberechtigtes Subjekt mit Rechten, Träumen und dem Bedürfnis, nicht verwaltet, sondern befähigt zu werden.

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10 Kommentare

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  • Bei der nordhessischen Baunataler Diakonie Kassel (BDKS) kochte dieses Thema im Februar 2022 hoch. Ein Vater und sein Sohn berichteten in der HNA über gezielte Ausbeutung der BDKS in den Werkstätten - es hagelte Protest.

    www.hna.de/lokales...tten-91274721.html

    Die BDKS musste eingestehen, dass in den Werkstätten kein “geschützter Rahmen” existiert, vielmehr nach einer Art Leistungsprinzip entlohnt würde.



    Dieses - öffentlich kritisierte - leistungsbezogene BDKS-Entlohnungsprinzip ist so kompliziert, dass es vermutlich nur BetriebswirtschaftlerInnen nachvollziehen können. Ist das so gewollt?

    www.hna.de/lokales...ueck-91282682.html

    Das dieses Thema in Nordhessen nicht neu ist zeigt auch eine Rückblende ins Jahr 2011.

    www.hna.de/lokales...assel-1332939.html

  • Ein bisschen was geschrieben, wenig ausgesagt, aber angeklagt. Herr Fedder hat einen sehr einseitigen Blick, den er durch Einschränkungen zu beschönigen sucht, kann jedoch nicht über den Umstand hinwegtäuschen, dass er eines vergisst: Menschen, die in Werkstätten arbeiten, können eben nicht einfach so woanders arbeiten. Ich arbeite beruflich mit geistig Behinderten zusammen, die ich nach ihrer Schulzeit zu 98% in die Werkstätten entlasse. Dort sind sie vor allem, weil sie ansonsten auch tagsüber anderweitig betreut werden müssten und gänzlich ohne Tagesrhythmus, Beschäftigung, oder Kontakt zur Außenwelt wären. Sie sind dort nicht in ökonomischer Hinsicht wertvoll, im Gegensatz kosten sie dort sehr viel Geld. Das Argument, sie würden dort ausgebeutet, ist insofern völliger Unsinn. Sie sind dort, weil sie es wollen und sich auf diesen wichtigen und oft fast eintzigen Aspekt in ihrem Leben freuen. Sie sind keine Opfer, sondern Menschen denen Selbstbewusstsein gegeben wird.

    • @Karkar:

      Nurmalso; hier liefert ein gößeres Unternehmen in der "automotive"-Branche seinen Krempel zum Zusammenfrickeln an solche Wirtschaftseinrichtungen. Warum haben die bei sich im Betrieb ned ne entsprechende Infrastruktur incl. Betreuung? (Wer des wie unterstützt sind Details wemmer Inklusion ernstmeint.)

  • Hm ja, das richtige Leben ist draußen bei Firmen im ersten Arbeitsmarkt, die gezielt Menschen mit Behinderung als billige Arbeitskräfte missbrauchen, solange es Förderung gibt. Danach dürfen die dann wieder eine Runde beim Arbeitsamt einlegen, um den Förderkreis neu starten zu können.

  • Ich kenne diese Art von klein Haltung. Ich habe selbst mal in einer Werkstatt gearbeitet. Ich habe den Sprung damals daraus geschafft. Ich habe damals darauf gepfiffen was die zu mir gesagt haben. Man braucht wirklich Mut und jede Menge eier. Mittlerweile bin ich staatlich anerkannter Alltagsbetreuer. Und Alleinerziehender Vater eines der 7Jährigen Sohnes der an ADS leidet. Trotz Behinderten Status von 100 %

    In diesem Sinne habt Mut. Es gibt immer jemanden der euch ernst nimmt. Die Existenz von behinderten Werkstätten steht auf dem Spiel. Deswegen diese Kleinhaltung.

  • Ein erstaunlich schmaler Artikel zu einem Thema, daß sicher einen größeren Umfang der Betrachtung verdiente.

  • Den letzten Absatz teile ich. Der Rest ist mir etwas sehr schwarz-weiß verallgemeinert. Erstens bekommen die Beschäftigten nicht nur ein paar Euro, sondern in der Regel neben dem Werkstattlohn auch eine Erwerbsminderungsrente. Warum die allerdings nicht einfach als Arbeitslohn mit ausgezahlt wird, verstehen wohl nur deutsche Behördenbeschäftigte.



    Zweitens „lohnt“ sich die Auftragsvergabe an Werkstätten für nicht wenige Betriebe nur, weil damit gleichzeitig die eigenen Zwangsabgaben für nicht vorhandene Arbeitsplätze genau dieserr Zielgruppe im eigenen Unternehmen gespart werden kann. Drittens ist die eigentliche Unverschämtheit in der Thematik, dass die Leitungsebene der gemeinnützig gedachten Werkstätten oftmals einen recht großen Spielraum, für die Erhöhung der eigenen Vergütung hat - und damit ganz wesentlich den Überschuss zu Lasten der Behinderten reduzieren kann. Viertens fehlt es in den Werkstätten zu oft an kreativen Köpfen, die das, was sie immer von „normalen“ Unternehmern fordern, mal selbst in Angriff nehmen würden: Kommerziell tragbare Zukunftskonzepte für ihre MitarbeiterInnen mit und ohne Behinderung zu entwickeln - ohne öffentliche Zuschüsse.

  • Herr Fedder,



    als gesetzlicher Betreuer kenne ich zahlreiche Menschen, die in unterschiedlichen Werkstätten arbeiten.



    Ihre angerissene Kritik an der gesellschaftlichen Haltung zur Beschäftigung von Menschen mit Behinderung kann ich nachvollziehen. Aber dann nur das bestehende System der Werkstätten zu diskreditieren, ist aus meiner Sicht Polemik. Das Ganze als System der profitorientierten Ausbeutung aufzumalen erfüllt für mich die Kriterien einer Verschwörungstheorie.

    Was Betroffene am meisten benötigen, ist eine sinnstiftende Tagesstruktur, die nicht selten die Einnahme von Psychopharmaka reduziert oder sogar ersetzen kann. Ich kenne konkrete Fälle, wo Menschen mit geistiger Behinderung und oder psychischer Erkrankung aus der Werkstatt in einen Außenarbeitsplatz auf den ersten Arbeitsmarkt vermittelt worden. Ich kenne viele, die dies gar nicht wollen, weil sie den geschützten Raum zu schätzen wissen.

    Wieso haben Sie in Ihrem Kommentar keine Zukunftsvision von gesellschaftlicher Entwicklung zu mehr Teilhabe entworfen, statt sehr billig mit Behauptungen das bestehende System einfach schlecht zu reden?



    Solange es nichts besseres gibt, sind Werkstätten für viele Menschen ein Segen.

  • Nein! Wer hätte vermuten können dass marktwirtschaftliche Prinzipien auch in diesen Werkstätten gelten?



    Danke auch an alle "Sparmassnahmen" der letzten 40 Jahre, die dazu geführt haben dass diverse Einrichtungen gewinnorientiert arbeiten sollen / müssen / können / dürfen.

  • "Ein Markt, der günstig produziert, staatlich subventioniert wird und für Unternehmen attraktive Outsourcing-Modelle bietet. "



    Die lagern ned nur die Arbeit aus sondern auch die Beschäftigungsquote "Menschen mit Beeinträchtigungen".



    Und warum, so allgemein, ned mindestens Mindestlohn für Arbeit bezahlt wird, mensch kann mich da gerne naiv nennen, aber logisch isses ned...