Wer wird Bundespräsident?: Die P-Frage
Am Ende wird es jemand machen. Nur wer? Grütters, Rüttgers, Röttgen? Wulff, Lammert, Löw? Lesen Sie hier alles, was es derzeit zu sagen gibt.
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, es verhält sich wie folgt: Deutschland braucht eine neue Bundespräsidentin oder einen neuen Bundespräsidenten, weil der alte aufhört. Deshalb wird gerade jemand gesucht, der es macht. Das ist wichtig-wichtig.
Es werden also von Vertretern verschiedener Parteien verschiedene Menschen ins Spiel gebracht, aber nicht jeder Vorschlag ist ernst zu nehmen. Margot Käßmann zum Beispiel wurde von SPD-Chef Sigmar Gabriel aus der Kiste gezaubert, aber haha, war dann wohl doch nicht so gemeint. Den Genossen Frank-Walter Steinmeier nannte er auch, aber da kamen die aus den anderen Parteien auch aus ihren Löchern und sagten: Steinmeier? Nicht mit uns, Freunde der Sonne.
Was man derzeit sagen kann, ist, dass alle über das Thema schreiben. Und dass sich das Kandidatendurchblätterspiel, das bei Spiegel Onlineunter jedem Bundespräsidenten-Text steht, wahrscheinlich gut klickt. Aber sonst?
Diese Woche in einer kleinen Tageszeitung in Berlin-Kreuzberg: Es werden Vorschläge zusammengetragen.
Die Grünen standen einmal für Steuererhöhungen. Nun würden sie aber lieber gut bei der Bundestagswahl abschneiden – mit den Stimmen von Anwälten und Oberärzten. Wie sie still und leise ihren Kurs korrigieren, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 29./30. Oktober. Außerdem: Fußball gilt als Integrationsmotor? Ist er das wirklich? Und: Selbst wenn Donald Trump nicht gewählt wird – was wird aus dem Hass, den er gesät hat? Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Vorschlag 1: Wir suchen einen Kandidaten
Und zwar einen, der irgendwas zum Thema schreibt, am besten eine Seite in der Wochenendausgabe. Dieser Vorschlag stößt auf allgemeine Begeisterung, die sich darin äußert, dass niemand ihn empört ablehnt. Vertreterinnen und Vertreter der zuständigen Ressorts murmeln Sätze vor sich hin, in denen „unbedingt“ vorkommt. Dann aber kommt die Frage: Wer konkret könnte es denn machen?
Wäre die Konferenz ein Western, dies wäre der Moment, in dem ein trockenes Salzkrautknäuel über die Straße weht. Kollege eins hat die Kandidatensuche bereits einmal kommentiert, ihm sind damit die Locken ausgegangen, die er auf die Glatze drehen könnte. Kollege zwei ist krank. Kollegin drei ist beschäftigt mit noch unbedingterem Pflichtprogramm, das sie alleine erledigen muss, weil Kollege zwei krank ist. Wie wäre es mit Kollegin vier?, fragt ein Ressortleiter. Hab’ ich schon angerufen, antwortet ein für die Samstagsausgabe zuständiger Redakteur, kann irgendwie auch nicht.
Weitere Vorschläge?
Vorschlag 2: Das große Rad
Wie wäre es, wirft eine Kollegin ein, wenn wir uns nicht damit beschäftigen, wer es werden könnte, sondern lieber damit, ob es überhaupt jemand werden sollte. Brauchen wir diesen Grüßaugust?
Es wird nun hochkonzentriert an Brillenbügeln gelutscht und abgewogen, ja, hm, könnte ein faszinierender Text werden.
Andererseits stellt sich später, beim Blick ins Archiv, heraus: Die Frage wurde schon ungefähr fünf Mal gestellt. Jemand von der Linken hat sie in dieser Zeitung mit nein beantwortet („Ich kenne keinen, dem so ein Bundespräsident mal genutzt hat“), Martin Sonneborn mit ja („Ich nähme die Wahl an“), sogar Margot Käßmann wurde 2010 schon mal vorgeschlagen. Und es vertrat auch einmal jemand die These: Dass wir so einen Typ brauchen, so wie man Bettwäsche braucht, wäre vielleicht übertrieben – aber schaden tut er auch nicht, sofern er kein totaler Depp ist. Es ist also alles gesagt.
Aber da – kaum ist die Kreativität mal aus dem Käfig gelassen, geht es Schlag auf Schlag – ist auch schon Vorschlag drei im Raum.
Vorschlag 3: Kandidatenquartett
Die Idee bringt eine geschätzte Kollegin auf, die sich sonst eher von Leitartikeln und Analysen ernährt, woran man erkennen kann, dass die Verzweiflung nun wächst. Ein Kandidatenquartettspiel, das ist etwas, was sonst nur der federleichte und sauhippe Gesellschaftsteil macht, über den dann die lächeln können, die finden, dass ihre Zeitung für so einen Pipifax nicht gegründet worden sei. Weshalb der megasweete und voll belesene Gesellschaftsteil sowas gar nicht erst vorschlägt, außer vielleicht manchmal. Aber da der Vorschlag nun schon mal im Rennen ist – hey, warum nicht? Also, Quartettspiel, wer steht so auf dem Tableau?
Gut, da ist Steinmeier, klar. Geeignet, weil: kann halbwegs Reden halten. Hielt mal eine gute vor Journalisten. Kernaussage: „Ich will nicht den Eindruck haben, dass alle das Gleiche schreiben, das macht misstrauisch.“ Auch geeignet, weil: Dann wäre er nicht mehr Außenminister, was gute Seiten hätte, findet ein Kollege.
Heißer Tipp aus der Expertenloge: Monika Grütters, die Kulturdingens. Geeignet, weil: ist eine Frau und hat bislang nicht abgesagt.
Carolin Emcke nicht vergessen, sagt ein Kollege. Geeignet, weil: Social-Media-Kandidatin. Nicht geeignet, weil: Social-Media-Kandidatin.
Was gegen die Kandidatenquartettidee spricht: Andere Medien hatten sie schon, und man will ja nicht machen, was alle machen.
Vorschlag 4: Was Lyrisches
Grütters Rüttgers Röttgen /
Kermani Fahimi Zamperoni /
Fischer Petry Heil /
Wulff Lammert Löw /
Roth Kohl Zeh /
Och nee?
Vorschlag 5: Was Alternatives
Drauf geschissen, wir machen gar nichts zu dem Quatsch. So geht alternative Presse!!!!
Vorschlag 6: Doch nicht
Na ja, warte, hm, ist halt schon der Bundespräsident. Und man will sich ja hinterher nicht sagen lassen, dass man – womöglich als einziges Medium – keinen Kandidatensuchezwischenstand gegeben hat.
Vorschlag 7: Kurz berichten, wer die Kandidaten für das allerwichtigste Amt sind, Ende
Das allerwichtigste Amt? Okay, bitte: Topkandidat für den Trainerposten bei Arminia Bielefeld ist „übereinstimmenden Medienberichten zufolge“ (spox.com) Peter Neururer. Ebenfalls in Medien genannt: Maik Walpurgis, Lorenz-Günther Köstner, Jürgen Kramny, Konrad Fünfstück, Michael Frontzeck, André Breitenreiter. Um nur mal einige zu nennen.
Nur haben wir dann immer noch nichts über den Bundespräsidenten
Vorschlag 8: Was Medienkritisches
Am Dienstag wurde Rudi Völler, Sportdirektor von Bayer Leverkusen, nach der Niederlage gegen den Drittligisten Sportfreunde Lotte gefragt: „Stehen Sie noch zum Trainer?“ Und Völler, Meerschweinchen auf dem Kopf, antwortete: „Sie müssen das fragen, ich weiß schon.“
Musste der Reporter das fragen? Vermutlich ja. Weil ihm sonst seine Redaktion hätte vorwerfen können, dass er nicht gefragt hat. Man will sich ja hinterher nicht sagen lassen, dass man – womöglich als einziges Medium – nicht über die Möglichkeit der Trainerentlassung berichtet hat, die man selbst erst aufgebracht hat. Schrecklicher Verdacht: Funktioniert Bundespräsidentschaftskandidatenspekulationsjournalismus wie Fußballstadionkatakombenjournalismus? Ob man das schnell mal analysieren soll?
Nee, geht nicht, Medienkritik dauert, sie muss präzise sein, sonst denken diese Lügenpresse-Schreihälse am Ende, sie hätten einen Punkt.
Vorschlag 9: Was Politikkritisches
Diese Täuschungsmanöver, dieses alberne Zukunftskoalitionsgeschraube, dieser Konsensquatsch – „das macht misstrauisch“. Schon klar, eine ökoliberale christliche linke Konservative mit arabischem Migrationshintergrund und Doktortitel in Soziologie, die bio isst, Zither spielt, Frauen liebt und Männer mag, das wär’s. Oder aber: Jede Partei nennt einfach ihre Kandidatin oder ihren Kandidaten für die Bundesversammlung im Februar. Und dann wird mal gewählt statt vorher ausgekaspert.
Aber das hat man ja auch schon mal gehört.
Vorschlag 10: Glaskugeljournalismus
Das ist die Lösung! Wir prophezeien hiermit: Am Ende wird es jemand machen. Und hey, bitte merken: Hier haben Sie es zuerst gelesen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin