Wer über Tierversuche entscheidet: Vom Versuchslabor direkt ins Amt

Anträge auf Tierversuche werden teils von Behörden-Mitarbeitern geprüft, die vorher selbst solche gemacht haben. Tierschützer halten sie für befangen.

Eine Hand im Handschuh hält eine Maus am Schwanz fest

Der Weg zwischen Genehmigungsbehörde und Versuchslabor ist manchmal nicht weit Foto: imago/CTK

BERLIN taz | Wichtige Aufsichtsbehörden lassen Anträge für Tierversuche oft von Mitarbeitern genehmigen, die selbst jahrelang solche Experimente durchgeführt haben. Teilweise wechselten die Wissenschaftler ohne Wartezeit in die Behörde. Das zeigen taz-Recherchen bei mehreren Aufsichtsämtern, die vergleichsweise viele Anträge bearbeiten. Tierrechtler halten solche Mitarbeiter für befangen.

Die Behörden dürfen laut Tierschutzgesetz die Versuche nur dann genehmigen, wenn sich die wissenschaftliche Fragestellung ausschließlich mit Tierexperimenten beantworten lässt. Das Leid und die Zahl der Tiere müssen so gering wie möglich sein. Das sind Ermessensfragen, die je nach Einstellung und Engagement der Prüfer unterschiedlich beantwortet werden können.

Dennoch hat das Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) gerade drei Wissenschaftler als Prüfer eingestellt, die selbst „viele Jahre“ etwa als Versuchsleiter gearbeitet haben, wie aus einer internen E-Mail an Mitarbeiter der Behörde hervorgeht. Demnach sind zwei der neuen Angestellten Fachtierärztinnen für Versuchstierkunde. Eine habe mit Schafen, die andere mit „verschiedenen Tiermodellen“ an der Berliner Universitätsklinik Charité gearbeitet, heißt es in dem Schreiben, das der taz vorliegt.

Auch der dritte neue Lageso-Prüfer verfüge über „langjährige tierexperimentelle Erfahrung an der Charité“ und anderen Forschungseinrichtungen. Jetzt müssen sie Anträge auf Tierversuche, etwa von Universitäten, begutachten und entscheiden.

Keine Karenzzeit

In einem Fall gab es keine Karenzzeit. „Eine*r unserer neuen Mitarbeiter*innen war direkt vor dem Wechsel zum LAGeSo an Tierversuchsvorhaben beteiligt, bei den anderen lagen jeweils 3 Jahre zwischen dem Ende der Beteiligung an Versuchen und der Einstellung beim LAGeSo“, teilte die Pressestelle des Amts der taz mit. Insgesamt habe die Behörde 5,5 Vollzeitstellen für wissenschaftliche Mitarbeiter im Bereich Tierversuche.

Ähnlich ist die Lage in anderen Bundesländern mit vergleichsweise hohen Tierversuchszahlen. Das Niedersächsische Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit schrieb der taz, dass „ein Teil“ der vier für Tierversuchsangelegenheiten zuständigen wissenschaftlichen Mitarbeiter mehrere Jahre selbst an solchen Experimenten beteiligt gewesen sei. Zwischen dieser Tätigkeit und der Beschäftigung im Amt „gab es keine Karenzzeit“.

Bei der für Nordbayern zuständigen Regierung von Unterfranken haben sogar alle drei Tierversuchsprüfer einschlägige Erfahrungen. Einer hat 20 Jahre lang Tierversuche durchgeführt, einer sechs Jahre und der dritte ein Jahr lang, erklärte die Behörde. Auch hier wurden mitunter direkt und ohne Wartezeit die Seiten gewechselt. Sie betrug „0 bis 13 Jahre“.

Auch die Regierung von Oberbayern beschäftigt nach eigenen Angaben Tierversuchsprüfer, die selbst bis zu sieben Jahre solche Experimente durchgeführt haben. Hier lag „mindestens ein Jahr“ zwischen den Versuchen und der Einstellung im Amt.

Geringe Quote von Ablehnungen

In allen Behörden ist die Quote der abgelehnten Tierversuchs-anträge äußerst gering. In Niedersachsen wurden 2017 laut Landesamt nur rund 3 Prozent der 338 Anträge entweder zurückgezogen oder abgelehnt. Allerdings erklärt die Behörde: „In den wenigsten Fällen werden Tierversuchsanträge in der Form genehmigt, in der sie bei der Behörde eingegangen sind.“ Meist müssten die Antragsteller offene Fragen beantworten, häufig würden die Anträge lediglich mit Auflagen genehmigt. Berlin ließ nur knapp 4 Prozent der 208 Anträge durchfallen. Oberbayern lehnte 2016 lediglich 2 von 218 Anträgen ab.

Dennoch bestreiten sämtliche betroffenen Behörden, dass ihre Prüfer Interessenkonflikte hätten. Typisch ist die Begründung des Berliner Lageso: „Tierversuchsanträge aus den Instituten, in denen die Mitarbeiter*innen zuvor tätig waren, werden für einen Zeitraum von mindestens 5 Jahren nach dem Wechsel durch andere Mitarbeiter*innen des LAGeSo begutachtet und bearbeitet.“ Wer über „Praxiserfahrung“ verfüge, könne die Versuche „realistischer“ beurteilen.

Edmund Haferbeck, Tierrechtsorganisation Peta

„Die Entscheider sind Tierversuchsleute und keine Leute, die Tierversuchen kritisch gegenüberstehen“

Doch Tierschützer überzeugt das nicht. „Die Entscheider sind Tierversuchsleute und keine Leute, die Tierversuchen kritisch gegenüberstehen“, sagt Edmund Haferbeck, der die Rechts- und Wissenschaftsabteilung der Tierrechtsorganisation Peta Deutschland leitet. „Diese Leute sind befangen, weil sie natürlich weiter die Genehmigungen erteilen wollen, wie sie es ja die ganze Zeit für sich selbst reklamiert haben von den Behörden.“

Könnten Wissenschaftler nicht bei den Experimenten eine kritische Haltung entwickelt haben? „Das kann man vielleicht hoffen“, antwortet Haferbeck. „Aber wenn ich höre, dass die zum Beispiel von der Charité kommen, dann ist das mit Sicherheit nicht so.“ Die Charité habe gerade ein riesiges neues Tierversuchslabor in Buch gebaut. „Da wird nichts Kritisches kommen.“

Ähnlich sei das Kräfteverhältnis in den Expertenkommissionen, die die Behördenmitarbeiter bei ihren Entscheidungen beraten. „Die Tierschutzgruppierungen sind dort immer in der Minderheit“, klagt Haferbeck. Tatsächlich besteht etwa die Berliner Tierversuchskommission aus vier Wissenschaftlern, einem Ethiker und nur zwei Tierschützern.

Viele Tierversuchsgegner kritisieren, die Ergebnisse der Experimente seien nicht auf Menschen übertragbar. Zahlreiche Medikamente würden Tierversuche bestehen, aber in klinischen Versuchen mit Menschen durchfallen. Tierrechtsorganisationen wie Peta gehen zudem grundsätzlich davon aus, dass Tiere ebenso wie Menschen ein Recht auf körperliche Unversehrtheit haben und es ungerecht ist, dass Menschen ihnen zu ihrem eigenen Vorteil Leid zufügen.

Die Befürworter argumentieren, dass die Wissenschaft ohne Tierversuche wichtige Fortschritte nicht erreicht hätte. „Nur mit ihrer Hilfe konnten in der Vergangenheit Lebensvorgänge bei Tieren und Menschen näher aufgeklärt werden“, schreibt die Deutsche Forschungsgemeinschaft. „Dazu zählt die Funktion der Sinnesorgane, des Nerven-, Hormon- und Immunsystems oder auch einzelner Gene.“

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