Weniger Aufträge, sinkende Preise: Schockstarre in der Bauwirtschaft
Erstmals seit 2010 fallen die Preise für Wohnimmobilien. Zugleich stoppen die Auftraggeber wegen hoher Inflation und steigender Zinsen Projekte.
Als Ursache für die sinkende Nachfrage gelten steigende Zinsen und höhere Baukosten. „Die Investoren treten zu Jahresbeginn auf die Bau-Bremse“, sagte der Hauptgeschäftsführer der Bauindustrie, Tim-Oliver Müller. „Die starken Preis- und Zinssteigerungen haben die Verunsicherung weiter verstärkt.“ Die „Schockstarre“ müsse sich bald lösen, da die Auftragsbestände nicht mehr lange reichten, um die Unternehmen auszulasten.
Die Flaute schlägt mittlerweile auf den Umsatz durch. Dieser fiel im Bauhauptgewerbe im Januar um real 9,5 Prozent niedriger aus als ein Jahr zuvor. Auch der Auftragsbestand nimmt ab. Am Jahresende 2022 lag er real um 4,5 Prozent niedriger als im Vorjahreszeitraum. Nicht inflationsbereinigt summierte sich das Volumen auf 68,3 Milliarden Euro. Am stärksten ging der reale Auftragsbestand im Wohnungsbau zurück: Er brach hier um 9,3 Prozent ein. „Dies war der erste Rückgang in dieser Bauart in einem Kalenderjahr seit 2009“, hieß es dazu. Die Abwärtsdynamik habe sich dabei im Jahresverlauf verschärft.
Immobilienpreise fallen erstmals seit 12 Jahren
Auch die Preise für Wohnimmobilien sind Ende 2022 erstmals seit zwölf Jahren gefallen. Sie sanken von Oktober bis Dezember um durchschnittlich 3,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Das ist der erste Rückgang seit Ende 2010, als es ein Minus von 0,5 Prozent gegeben hatte.
Noch stärker hatten sich die Kaufpreise für Wohnungen sowie Ein- und Zweifamilienhäuser zuletzt im ersten Quartal 2007 mit 3,8 Prozent verringert. Gemessen am dritten Quartal 2022 sanken die Preise um durchschnittlich 5,0 Prozent. „Ausschlaggebend für den Rückgang der Kaufpreise dürfte eine gesunkene Nachfrage infolge gestiegener Finanzierungskosten und der anhaltend hohen Inflation sein“, erklärten die Statistiker.
2022 insgesamt stiegen die Preise für Wohnimmobilien allerdings weiter, da es in den ersten drei Quartalen noch Zuwächse gab: Im Jahresdurchschnitt zogen sie um 5,3 Prozent an. 2021 hatte es mit plus 11,5 Prozent noch den stärksten Anstieg seit Beginn der Zeitreihe im Jahr 2000 gegeben.
Sowohl in den Städten als auch in den ländlichen Regionen waren zum Jahresausklang größtenteils Rückgänge zu verzeichnen. „Dabei sanken die Preise für Ein- und Zweifamilienhäuser stärker als die für Eigentumswohnungen“, so die Statistiker. So verbilligten sich Ein- und Zweifamilienhäuser beispielsweise in den kreisfreien Großstädten um 5,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahresquartal, während die Preise für Eigentumswohnungen in diesen Städten lediglich um 1,0 Prozent abnahmen.
In den dünn besiedelten ländlichen Kreisen waren Ein- und Zweifamilienhäuser 5,5 Prozent günstiger zu haben, Eigentumswohnungen dagegen mit plus 0,1 Prozent minimal teurer. In den Metropolen Berlin, Hamburg, München, Köln, Frankfurt am Main, Stuttgart und Düsseldorf gingen die Preise für Ein- und Zweifamilienhäuser um 2,9 Prozent zurück, für Wohnungen musste 1,6 Prozent weniger gezahlt werden.
Die Überbewertungen bei den Preisen für Wohnimmobilien haben im vergangenen Jahr der Bundesbank zufolge angehalten. In den Städten lagen die Wohnimmobilienpreise 2022 immer noch zwischen 25 und 40 Prozent über dem gerechtfertigten Niveau, wie deren Ökonomen herausfanden.
Bundesregierung gibt Ziel auf
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung hat die Bundesregierung ihr Ziel aufgegeben, dass jährlich 400.000 Wohnungen gebaut werden. Experten zufolge ist die Lage am Immobilienmarkt derzeit dramatisch: Demnach fehlen in den nächsten Jahren rund 700.000 Wohnungen.
Wirtschaft und Gewerkschaften fordern von der Bundesregierung eine stärkere staatliche Förderung. Die Politik müsse sich stärker auf die Nachverdichtung im Bestand fokussieren, um bezahlbaren neuen Wohnraum gerade in den Ballungsräumen zu schaffen, rät das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW).
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen