Weltklimagipfel in Glasgow: Vier weit verbreitete Irrtümer

Die Fachbegriffe der Klimapolitik sind oft kryptisch, die Konflikte schwer überschaubar. Wir klären über die wichtigsten Fehleinschätzungen auf.

Ein Paar im Tretboot in Jakutsk. Über der sibirischen Stadt hängt gelber Qualm von nahegelenen Waldbränden

Date trotz Klimakatastrophe: Der Qualm der sibirischen Waldbrände stört dieses Paar nicht Foto: Dimitar Dilkoff/ap

Irrtum 1: Klimagipfel geht um Klimaschutz

Klimaschutz ist Sinn und Zweck von Klimakonferenzen. So weit, so richtig. Aber das heißt nicht, dass die Zehntausenden Be­su­che­r:in­nen dieser Veranstaltungen darüber diskutieren, wo demnächst ein Windrad gebaut und ein Kohlekraftwerk abgestellt wird – dass es also im praktischen Sinn darum geht, wie die Emissionen rapide auf null kommen.

In diesem Jahr beginnt das wie üblich zweiwöchige Programm mit einem politischen Punkt: dem World Leaders Summit. Gleich am Montag und Dienstag reisen zahlreiche Staats­che­f:in­nen an, um die neuen Klimaziele ihrer Länder vorzustellen. Es ist ein bisschen wie die Stunde der Wahrheit für das Paris-Abkommen, das auf Freiwilligkeit aufbaut, also jedem Staat seinen Beitrag zum globalen Klimaschutz freistellt.

Im Konferenzjargon ist die Rede von NDCs, was für „na­tio­nally determined contributions“ steht. Diese nationalen Klimaziele müssen alle fünf Jahre aktualisiert werden. Das war gerade dran. Zur Debatte steht der Inhalt der präsentierten NDCs dann allerdings nicht. Dabei ist schon klar, dass sie gegenüber vorindustriellen Zeiten auf eine viel zu starke Erderhitzung von 2,7 Grad bis zum Jahr 2100 hinauslaufen.

Verhandelt wird hingegen an den letzten Fragen eines Regelwerks zum Paris-Abkommen. In diesem stehen zum Beispiel Vorgaben zur Transparenz: Welche Daten zu Wirtschaft und Emis­sio­nen müssen Länder in welcher Form erheben und offenlegen? Welche Informationen müssen die NDCs enthalten? Die große offene Frage geistert unter dem Schlagwort „Article 6“ durch die Klimawelt. Es geht dabei um Regeln für den Handel mit Klimaschutz, den der Artikel 6 des Paris-Abkommens grundsätzlich erlaubt. Sprich: Ein Land darf prinzi­piell in einem anderen Land Klimaschutz finanzieren und sich den Effekt selbst anrechnen. Im Idealfall würden reiche Länder das in Betracht ziehen, wenn ihnen zu Hause wirklich nichts mehr zum Verbessern einfällt – und in armen Ländern würden sie so das Geld für teure Maßnahmen bereitstellen, die dort sonst nicht stattfinden können.

Dieses Prinzip ärgert viele Klimaschützer:innen, denn sie bezweifeln, dass es je zu diesem Idealfall käme. Stattdessen befürchten sie, dass sich Regierungen sich ihre Klimabilanzen mit Handelsspielchen schön rechnen wollen. Es gibt auch durchaus Länder, die offen Interesse an Schlupflöchern bekunden: Brasilien will beispielsweise Doppelzählungen erlauben. Beide beteiligten Länder könnten sich den gekauften Klimaschutzerfolg dann anrechnen. Mit dieser Forderung steht das Land zwar allein da, es gibt aber weitere Verwässerungsvorschläge, die auf mehr Unterstützung rechnen können. Und: Bei den Klimaverhandlungen muss alles einstimmig beschlossen werden. Das führt dazu, dass auch ein einzelnes Land den Prozess blockieren kann.

Irrtum 2: Seit Paris gilt das 1,5-Grad-Ziel

Jedes Zehntelgrad zählt: Ob die Erde sich gegenüber vorindustriellen Zeiten um 1,5 oder um 2 Grad aufheizt, macht einen großen Unterschied. Es ist mehr und heftigeres Extremwetter zu erwarten, es drohen mehr Hungersnöte, mehr tödliche Hitzewellen, und es steigt die Wahrscheinlichkeit, dass wichtige Elemente des Erdsystems unwiederbringlich zusammenbrechen. Auch im Paris-Abkommen steht es deshalb drin. Oder? Ja und nein.

Tatsächlich gibt es in dem Dokument die Formulierung, man werde Anstrengungen unternehmen, die Erderhitzung bei 1,5 Grad zu stoppen. Hauptziel ist aber das schon länger anerkannte 2-Grad-Ziel oder, wenn man es genau nimmt: das Ziel, die Erderhitzung bei „deutlich unter“ 2 Grad zu stoppen.

Während sich die 1,5 Grad im öffentlichen Diskurs schnell verbreitet haben, sind etliche Regierungen auf der Weltklimakonferenz sehr darauf bedacht, dass das nicht zum internationalen Standard wird. Auf der COP24 im polnischen Katowice blockierten die Ölländer USA, Russland, Kuwait und Saudi-Arabien die Verhandlungen, um durchzusetzen, dass der Sonderbericht des Weltklimarats zum 1,5-Grad-Ziel im Beschluss der Konferenz nur „zur Kenntnis genommen“ statt „begrüßt“ wird.

Irrtum 3: Ist doch klar, wo es hingehen muss!

Auf Einladung der Weltwetterorganisation trafen sich 1979 Me­teo­ro­lo­g:in­nen in Genf zu einer Fachkonferenz, um über den besorgniserregenden Anstieg von Kohlendioxid in der Atmosphäre zu diskutieren. „Schneestürme, Überschwemmungen, Dürrekatastrophen – nicht nur das Wetter, sondern das gesamte Klima scheint in Unordnung geraten“, hieß es damals in der „Tagesschau“. Die Welt weiß schon sehr lange, wo die Klimakrise herkommt und was dagegen zu tun ist. Die Forschung ist seitdem immer tiefenschärfer geworden. Kli­ma­wis­sen­schaft­le­r:in­nen können mittlerweile alles Mögliche. Gerade haben sie sogar das Klima auf dem Wüstenplaneten Arrakis aus dem Sci-Fi-Blockbuster „Dune“ modelliert.

Das große Aber: Den politischen Knackpunkt kennen wir nicht. Wer wann was macht, legt das Paris-Abkommen nicht fest. In ihren NDCs sollen die Staaten zwar auch begründen, warum ihre freiwillige Zielsetzung ein fairer Beitrag zum Gesamtwerk des globalen Klimaschutzes ist. Auf Kriterien dafür, was fair ist, konnte man sich bisher aber nicht einigen.

Jede:r, der schon mal mit Mit­be­woh­ne­r:in­nen oder (Ehe-) Part­ne­r:in­nen über den Haushalt diskutiert hat, weiß: Es ist nicht damit getan, dass alle Beteiligten bekräftigen, dass die Wohnung sauber sein soll. Putzt die Person mehr, die mehr Zeit hat, die mehr Dreck macht, der Sauberkeit am wichtigsten ist – oder machen trotz unterschiedlicher Voraussetzungen alle das Gleiche? Ohne klare Zuständigkeiten fängt die emotionale Buchführung an, in der man selbst immer gute Gründe für das eigene akribische oder nachlässige Verhalten hat. In diesem Sinn ist das Pariser Weltklimaabkommen vielleicht der schlechteste Putzplan der Welt.

Irrtum 4: Klimakonferenzen bringen nichts

Nun findet also wieder eine Weltklimakonferenz statt, während die globalen Emissionen weiter steigen. Das bringt auch die Stirnen mancher Be­für­wor­te­r:in­nen des globalen Konferenzwesens langsam zum Runzeln. Denn die Konzentration von CO2 in der Amosphäre ist das einzig wahre Maß für Klimaschutz – nicht etwa die Anzahl von Abkommen und Gipfelbeschlüssen.

Zwar haben die Klimakonferenzen das Senken der Emissionen in die nationale Freiwilligkeit ausgelagert, doch sind sie Foren für das Schmieden strategischer Allianzen. Als Großbritannien und Kanada 2017 am Rande der COP23 in Bonn ein Bündnis vorstellten, dem alle Länder beitreten durften, die sich zu einem Kohleausstieg verpflichten, war das für Deutschland extrem peinlich. Das Vorreiterbündnis wuchs schnell, aber Kanzlerin Angela Merkel konnte in ihrer Rede als Gast­geberin nur von „harten Diskussionen“ beim Klimaschutz berichten – nicht von Erfolgen.

Zu dem Druck für den Kohleausstieg, den die deutsche Kli­ma­­bewegung schon jahrelang aufgebaut hatte, kam nun die internationale Isolation hinzu, die so gar nicht zu Deutschlands gutem Klima-Image passen wollte. Kurz darauf setzte die Bundesregierung die Kohlekommission ein, die ein – natürlich zu spätes und für die Steu­er­zah­le­r:in­nen teures – Ende der Kohle in Deutschland einläutete.

Zudem sind die Weltklimakonferenzen das einzige Forum für ein wichtiges Thema: die Klimafinanzierung. Die Industriestaaten haben versprochen, dass sie Geld für Klimaschutz und -anpassung in armen Ländern bereitstellen. Auch in Glasgow wird es um dieses Thema gehen. Eigentlich sollte im Fokus stehen, wie es damit nach 2025 weitergeht, denn bis dahin gab es einen Plan: Von 2020 an haben die reichen Staaten jährlich 100 Milliarden US-Dollar versprochen. Sie sind aber im Zahlungsverzug, und noch ist nicht klar, ob und wie sie die Lücke des vergangenen Jahres auffüllen. Während kein Land zwingend eine Weltklimakonferenz braucht, um die eigenen Emissionen zu senken, kann dieses Thema nicht jede Regierung einzeln bearbeiten.

Dasselbe gilt für den internationalen Umgang mit Schäden und Verlusten durch die Klimakrise: Wer kommt auf, wenn ein Sturm ganze Landstriche mit Häusern, Straßen und Ernten vernichtet oder wenn der Ozean durch seinen steigenden Spiegel gar ganze Inseln schluckt? Zurück zu Irrtum 1: Klimakonferenzen sind kein Ort der Öko-Romantik. Auf ihnen geht es um die großen Fragen, um globale Verantwortung, Fairness und Verteilung.

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