: Weltfeind Warenhaus
Erst wurde es als Vernichter des Mittelstands verteufelt, dann als Wegbereiter des Massenwohlstands begrüßt: das Kaufhaus
Es ist Schlussverkauf, und ohne ideologische Bedenken stürzen sich die Deutschen auf die Wühltische der Kaufhäuser. Da ist es kaum noch vorstellbar, welchen Schock das Aufkommen der ersten Warenhäuser vor hundert Jahren bedeutet hatte – in einer Gesellschaft, deren Konsumgewohnheiten nicht vom Lustprinzip geprägt waren, sondern von der schieren Notwendigkeit oder der Norm einer standesgemäßen Lebensführung. Diesen Vorstellungen entsprach ein Ladentypus, wo bekittelte Verkäufer hinter der Theke ein strenges Regiment führten und das Betreten des Geschäfts mit Kaufzwang verbunden war.
In den Warenhäusern war plötzlich alles anders. Deren Verkaufsstrategen präsentierten die Waren in aufreizendem Überfluss auf offenen Verkaufstischen, statt sie in einem muffigen Lager vor den Kunden zu verbergen. Bedürfnisse wurden nicht mehr nur befriedigt, sondern zugleich auch geweckt: Kein Wunder, dass „das Warenhaus“ in den Augen deutscher Kulturkritiker alsbald zum Symbol wurde für alles, was sie an der Moderne als hassenswert empfanden.
Über dieses hochspannende Thema hat der Siegener Historiker Detlef Briesen jetzt ein vergleichsweise langweiliges Buch geschrieben. Es ist die gekürzte Fassung seiner Habilitationsschrift – und damit ein weiteres Argument für die Abschaffung dieser überkommenen Form der wissenschaftlichen Qualifikation. Mit einem ermüdenden Bestreben nach Vollständigkeit kämpft sich der Autor vom Kaiserreich bis zur frühen Bundesrepublik durch die Flut wissenschaftlicher Beiträge zur „Warenhausfrage“ – und verliert das große Ganze darüber aus dem Auge.
Den Anspruch, eine „Geschichte der Konsumkritik im 20. Jahrhundert“ zu schreiben, löst er schon deshalb nicht ein, weil eine Habilitationsschrift ja ausschließlich Neues enthalten muss. Was zur Kontroverse über die Warenhäuser bereits bekannt ist – und das ist nicht wenig –, kommt allenfalls am Rande vor. Deshalb dürfte das Buch für den Laien über weite Strecken fast unverständlich sein.
Ihren Höhepunkt erreichte die Warenhauskritik in den frühen Dreißigerjahren. Erfolgreicher als andere Parteien warben die Nationalsozialisten damals um die Gunst der krisengeschüttelten Kleinhändler, die für ihre Misere die Warenhäuser verantwortlich machten. Bereits in ihrem Parteiprogramm von 1920 hatte die NSDAP die „sofortige Kommunalisierung der Groß-Warenhäuser und ihre Vermietung zu billigen Preisen an kleine Gewerbetreibende“ gefordert, und Hermann Göring erklärte 1930 im Berliner Sportpalast: „In leeren Geschäften stirbt ein verarmter Mittelstand, aber in den Hauptstraßen schießen die Trutzburgen des Kapitals, die Warenhäuser, hoch.“ Schon vor der Wirtschaftskrise hatten die Nationalsozialisten eine Kampagne gegen den „Weltfeind Warenhaus“ geführt, wo „die Mädchen oft Opfer jüdischer Wüstlinge“ würden. All das erwähnt Briesen jedoch nur kurz, weil er die Funktion der NS-Mittelstandspropaganda für „überschätzt“ hält. Den Ankündigungen folgten nach 1933 letztlich kaum Taten.
Nach dem Zweiten Weltkrieg jedoch habe gerade die scharfe NS-Propaganda gegen das Warenhaus dieser Betriebsform – wie auch dem Massenkonsum insgesamt – zur endgültigen Akzeptanz verholfen. Die Kritik am „orientalischen Basar“ war als braun gefärbte Parole in Misskredit geraten. Wie auf anderen Feldern, so war auch hier der Nationalsozialismus als negativer „Modernisierungsmythos“ ein Motor des Fortschritts in der frühen Bundesrepublik – eines Fortschritts, der bald auch die Warenhäuser selbst überrollen sollte: Zuerst die Supermärkte und Fachhandelsketten, dann die Einkaufszentren auf der grünen Wiese haben die einstigen Vorreiter der Konsumgesellschaft längst in die Defensive gedrängt.
Für die Aufbaugeneration nach dem Krieg wurden Hertie oder Horten, Karstadt oder Kaufhof gleichwohl zu – positiv verstandenen – Symbolen der Wohlstandsgesellschaft. Als solche wurden sie später zum Gegenstand einer neuen Form der Konsumkritik – diesmal nicht von rechts, sondern von links. Der „grüne“ Anspruch, überkommene Lebensformen gegen den Durchmarsch der industriellen Normierung zu verteidigen, führte zu einer neuen Idealisierung kleiner Betriebsform. Vom Weinhändler bis zum Ökoladen entstanden neue Nischen.
So hat sich in der politischen Rhetorik über alle politischen Lagergrenzen hinweg die Neigung erhalten, einen nicht näher definierten „Mittelstand“ zu glorifizieren. Doch die Mehrheit der Konsumenten ließ sich dadurch schon vor hundert Jahren nicht vom preisgünstigen Einkauf im Warenhaus abhalten.
RALPH BOLLMANN
Detlef Briesen: „Warenhaus, Massenkonsum und Sozialmoral. Zur Geschichte der Konsumkritik im 20. Jahrhundert“. Campus, Frankfurt am Main 2001, 300 Seiten, 68 DM (34,90 €)
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