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Weiteres Verfahren gegen ZschäpeSchüsse in Erfurt

Die Staatsanwaltschaft prüft weitere Vorwürfe gegen die NSU-Terroristin: Schoss das NSU-Trio schon 1996 in Erfurt auf zwei Punks?

Hat Silvester 1996 das NSU-Trio am Erfurter Hauptbahnhof geschossen? Bild: dpa

HAMBURG taz | Die Staatsanwaltschaft Erfurt hat gegen die mutmaßliche NSU-Terroristin Beate Zschäpe ein zusätzliches Ermittlungsverfahren wegen „versuchten mittäterschaftlichen Mordes oder Totschlags“ eingeleitet. Der Verdacht: Am Silvesterabend 1996 soll sie mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt am Erfurter Hauptbahnhof auf die Filmemacher Dominik und Benjamin Reding geschossen haben.

Am Sonntag bestätigte die Staatsanwaltschaft die seit Anfang März laufenden neuen Ermittlungen. Die zuständige Oberstaatsanwältin sprach von einem „sehr vagen Anfangsverdacht“. Es sei schwierig, nach der langen Zeit jetzt noch einen Tatnachweis zu führen.

Schon im Oktober 2012 hatten die Brüder Reding der taz von dem Vorfall berichtet. Demnach waren die beiden Punks am Silvesterabend 1996 unterwegs zu einer Party gewesen. In Erfurt mussten sie auf einen Anschlusszug warten, gingen in die Bahnhofsgaststätte, wo an einem Tisch zwei Männer und eine Frau gesessen hätten – alle in Bomberjacken. Ihr Verdacht: Es waren Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe. Der Ältere, vermutlich Mundlos, sei auf sie zugegangen, habe Dominik Redings Jacke mit Punk-Aufnähern, darunter ein Anarchie-A, betrachtet und gefragt, was das für ein Symbol sei.

„Ich antwortete ausweichend, wir ahnten, dass es Ärger geben könnte“, berichtete Dominik Reding. Die Brüder verließen das Lokal, die Neonazis folgten ihnen. Die ersten Schüsse fielen auf der Mitte des Weges zum Regionalzug.

„Das BKA nahm unseren Anruf ernst“

Zur Polizei gingen die Brüder nicht. „Aus Angst“, sagt Dominik Reding, denn dann „hätte das Trio unsere Adresse in der Akte lesen können“. Auch nach dem Auffliegen der NSU hätten sie den Vorfall in Erfurt zunächst gar nicht so bedeutend gefunden. Erst als klar wurde, wie wenig vom Vorleben des Trios vor dessen Untertauchen 1998 bekannt war, entschieden sie sich, das Bundeskriminalamt (BKA) anzurufen. „Das BKA nahm unseren Anruf ernst“, sagte Dominik Reding.

Die Bundesanwaltschaft gab das Verfahren laut MDR inzwischen wegen fehlender Zuständigkeit an die Staatsanwaltschaft Erfurt ab. Denn 1996 habe es noch keine tatsächlichen Anhaltspunkte einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe gegeben.

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7 Kommentare

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  • W
    Wessi

    Schwer vorstellbar, dass auf jemand geschossen wird und er geht nicht zur Polizei.

     

    Noch schwerer vorstellbar, dass jemand nach mehr als 16 Jahren sich so genau an Gesichter erinnern kann, dass er sich sicher ist, dass es die NSU´ler waren.

     

    Gar nicht vorstellen möchte ich mir, dass es wirklich so gewesen wäre. Dann hätten die Beiden durch ihr Schweigen die späteren Morde erst möglich gemacht.

  • TF
    Thüringer Fritz

    Es wird schwierig sein einen Tatzusammenhang herzustellen.Ungewöhnlich ist der Vorfall jedoch nciht für den Freistaat Thüringen. In Erfurt wird man schnell Opfer neonazistischer Bedrohung. Die Polizei ermittelt langsam und unlustig. In den Kleinstädten und Dörfern gibt es den lokalen Vorteil. Man kennt sich - meist noch aus DDR-Zeiten. Erstaunlich jedoch wie hoch der Anteil illegaler Waffenbesitzer ist. Aber das lässt sich vielleicht damit erklären, dass bei der Thüringer Polizei eben nicht nur Festplatten, sondern auch Waffen verschwinden. Die Vergesslicheit ist da in allen Dingen sehr groß. Der ehemalige Finanzminister Zeh(CDU) läuft ja immer noch durch ganz Thüringen seinen verschwunden drei Millionen hinterher.

     

    Thüringer Klöße - Thüringer Korruption, das pfeifen nicht nur die "Rennsteigspatzen" von den Dächern.

  • TS
    Thomas Sch.

    Da wird jetzt so ein uraltes Ding aus dem Wandschrank geholt, weil man vtl. ahnt, daß man die sonst überhaupt nicht drankriegt. Wir erfahren so gut wie nichts. Man sagt uns auch nichts. Die üblichen Medien, sonst schnell, die üblichen Verdächtigen zu benennen, schweigen auffallend still. Wieso eigentlich ? Und wieso muß ich aus erst aus dem Compact-Magazin Einzelheiten zu dem ganzen Vorfall erfahren ?

  • S
    sofamystiker

    "Schon im Oktober 2012 hatten die Brüder Reding der taz von dem Vorfall berichtet."

     

    ich würde gerne wissen, ob sie tatsächlich mit beiden brüdern gesprochen haben. bisher wird in den meisten artikeln geschrieben, dass nur dominik sich als zeuge gemeldet hat. ebenso tritt nur dominik in dem ard video auf.

     

    ich sage es mal so, obwohl sie eineiige zwillinge sind, gibt es unterschiede zwischen den beiden.

  • DR
    Dr. rer. nat. Harald Wenk

    Spinozas siegel war. "Caute" - "Vorsicht!!" (descartes wurde in schweden vergiftet,z. b.).

     

    man dar nicht vergessen, dass die wirklichen linken und antifaschisten noch seltener sind, als nietzsches "redliche" (er wäre schon mit religionskritikern zufrieden gewesen, im grunde.

     

    die sind recht leicht auszumachen und zu "ärgern" bis anzugreifen.

  • D
    Dose

    Anders formuliert, die Staatsanwaltschaft weiß jetzt schon, dass Zschäpe den aktuellen Prozess gewinnen wird.

  • A
    Apollo

    Zeitlich pirschen wir uns langsam aber sicher voran. Genaugenommen zurück.

    Ist nur noch die Frage, ob die nächstes oder erst übernächstes Jahr rauskriegen, dass Zschäpe damals im Hotel Beau-Rivage …