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Weiterer Rechtsruck in IsraelKnesset ratifiziert Nationalitätsgesetz

Das neue Grundgesetz benachteiligt die arabische Minderheit. Arabisch ist nicht länger offizielle Landessprache.

Auch Israels Regierungschef Netanjahu unterstützte das Gesetz Foto: dpa

Berlin taz | In Israel wird es künftig offiziell möglich sein, rein jüdische oder arabische Ortschaften zu gründen. Die Knesset ratifizierte in der Nacht zu Donnerstag mit 62 zu 55 Stimmen das umstrittene Nationalstaatsgesetz mit dem Ziel, den „Charakter Israels als nationales Heim des jüdischen Volkes“, zu festigen. Das Rückkehrrecht für Juden aus aller Welt, nationale Symbole, jüdische Feiertage und Hebräisch als einzige offizielle Landessprache gehören dazu. Bislang galt auch Arabisch als Landessprache. Der exakte Status des Arabischen soll noch geregelt werden.

„Das Nationalstaatsgesetz ist zweifellos der Tiefpunkt der chronischen Krankheit, die die Demokratie plagt“, meinte der arabische Abgeordnete Ahmad Tibi (Vereinte Liste). Ab sofort gäbe es zwei Gruppen von Bürgern: „Eine Gruppe der Juden, die Rechte haben, und eine andere der tolerierten Gäste“. Wenn das kein Rassismus sei, wisse er nicht, wie er es nennen solle. Tibi repräsentiert die knapp 20 Prozent arabischen Staatsbürger Israels. Da es sich um ein Grundgesetz handelt, war eine absolute Mehrheit bei der Abstimmung nötig.

Noch am Samstag waren einige Tausend Israelis aus Protest gegen die geplante Gesetzesreform auf den Tel Aviver Yizhak-Rabin-Platz gezogen. „Juden und Araber weigern sich, Feinde zu sein“, hieß es auf ihren Plaketen und: „Dies ist das Heim von uns allen.“ Auch Staatspräsident Reuven Rivlin distanzierte sich auf für sein Amt ungewöhnlich scharfe Weise von dem Gesetz, das „dem jüdischen Volk in der Welt und in Israel“ schaden könne.

Seit Wochen kontrovers diskutiert wurde vor allem der Artikel 7 des Gesetzentwurfs, der die ethnisch und religiöse Homogenität von Dörfern und Städten regelt. Dazu gehört auch der Grad der Religiosität. Konkret ändert das neue Gesetz wenig. Ethnisch und religiös homogene Ortschaften sind seit Staatsgründung Praxis in Israel. Vor allem die sozialistischen Kibutzim haben über die Jahrzehnte nicht nur keine Araber aufgenommen sondern auch keine religiösen Juden.

Jüdische Ortschaften werden bevorzugt

Umgekehrt sind zahlreiche arabische Dörfer ethnisch und religiös strikt homogen bevölkert, wobei sich der Wunsch der Juden Israels, in arabischen Ortschaften zu leben, nicht zuletzt aufgrund der sozioökonomischen Benachteiligung der Minderheit in Grenzen hält. Das neue Grundgesetz hebt allerdings speziell „die Entwicklung jüdischer Ortschaften“ hervor. Diese seien von „nationalem Wert“. Der Staat werde „die Gründung und Entwicklung solcher Ortschaften ermutigen und unterstützen.“

Der Likud-Abgeordnete Amir Ohana, Befürworter des neuen Gesetzes, sprach sich im parlamentarischen Plenum für den Erhalt des jüdische Charakters von Israel aus, denn „wir haben nicht, wie die arabische Nation, 21 Staaten, sondern nur diesen einen einzigen, kleinen Staat.“ Die Gesetzinitiative stammt indes nicht vom konservativen Likud sondern kam bereits vor zehn Jahren aus den Reihen der liberaleren Kadima, damals unter der Führung von Zipi Livni, die inzwischen zu den schärfsten KritikerInnen gehört. „Die Regierung steuert auf ein radikales Judentum zu, das in Stämmen lebt“, meinte Livni im Vorfeld des Knessetvotums. Das Gesetz ziele darauf ab, dass „Araber nicht zusammen mit Juden leben können“, es sei Wasser auf den Mühlen der BDS-Bewegung, die international zum Boykott von Israel und Sanktionen aufruft.

Auch das Israelische Demokratiezentrum (IDI) kritisierte das Grundgesetz, das Israels Unabhängigkeitserklärung und damit das Festhalten an gleichen Rechten für alle Staatsbürger, komplett ignoriere. Israel, so erinnert das IDI, gehöre zu den „wenigen Staaten der demokratischen Welt ohne eine Verfassung, die die Grundrechte festhält.“ Die Tatsache, dass das neue Gesetz Israel als nationales Heim des jüdischen Volkes definiert, ohne das Prinzip der Gleichberechtigung für alle Bürger festzuhalten, könnte „zu einer Unausgewogenheit zwischen dem jüdischen Staat und seinen demokratischen Werten führen.“

Jussef Dschabarin von der antizionistischen Vereinten Liste fühlt sich zum „2. und 3. Klasse-Bürger“ degradiert. Die 1. Klasse-Bürger hingegen kämen in den Genuss „von staatlichen Zuwendungen und jüdischen Ortschaften – Luxusbürger“, während die arabischen Bürger, „nichts abkriegen“. Dschabarins Parteichef Aiman Auda ließ im Verlauf der Debatte eine schwarze Flagge über dem Gesetzentwurf wehen und wandte sich vom Sprecherpodium aus auf Arabisch an seine Kinder, um ihnen die „Botschaft“ zu erklären, die das Gesetz beinhalte: „Dieser Stadt ist nicht Euer Staat.“ Aber, so setzte er hinzu: „Dies ist unsere Heimat.“

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31 Kommentare

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  • Uahhh! Die „demographische Bombe“!!! Die Netanjahu Fans scheinen sich auch argumentativ dem internationalen Rechtsruck anschließen zu wollen.

    Aber interessanter ist ihr Anfang: „... wer da als erster die rassistische Karte gezogen hat“. Abgesehen vom Wahrheitsgehalt: Wird Rassismus neuerding durch Rassismus hoffähig?

    • @Rudolf Fissner:

      War @Turboporter

  • @Susanne Knaul: Haben die Kibbuze nur keine religösen Araber aufgenommen oder generell keine Araber?

  • Ein normaler Nationslstaat kann eine Amtssprache und ein Staatsvolk haben. Nichts besonderes, außer bei denen, die ihr verqueres dysfuktionales Weltbild am Hassfetisch Israel gesundstoßen.

  • 8G
    81331 (Profil gelöscht)

    ...Südafrika lässt grüßen.

  • Bleibt nur zu hoffen, dass das Oberste Gericht Israels diesen Irrsinn verhindert.

    • 7G
      75026 (Profil gelöscht)
      @Nicky Arnstein:

      Auf dem Blog Elder of Ziyon können Sie den Text des Gesetzes nachlesen. Bitte tun Sie das und erklären Sie mir dann, was daran irrsinnig ist!

  • „Eine Gruppe der Juden, die Rechte haben, und eine andere der tolerierten Gäste“. Wenn das kein Rassismus sei, wisse er nicht, wie er es nennen solle.

    Wieviele Juden werden in arabischen Ländern als gleichwertige Bürger anerkannt? Wenn das kein Rassismus ist!

  • Über dieses Gesetz kann sich nur jemand wundern, der z.B. die Ehegesetze in Israel nicht kennt...

  • Wie kann es denn sein, dass so ein Gesetz die absolute Mehrheit erlangt?

  • Ich fürchte, dass dieses Gesetz auch damit zu tun hat, dass sich Israel von der Hamas terrorisiert und von der Weltgemeinschaft unverstanden und



    mehr und mehr im Stich gelassen fühlt. Man merkt, wie der Islam zunehmend Einfluss in der Welt bekommt, und versucht sich nun, in seinem eigenen kleinen Land zu positionieren. Das wäre eine mögliche Erklärung.

    • 8G
      81622 (Profil gelöscht)
      @Nicky Arnstein:

      Natürlich..die Schuld am Rechtsextremismus Netanyahus haben nun wieder die andern... Ihr Weltbild ist einfach geschlossen und rationalen Argumenten nicht zugänglich.

      • @81622 (Profil gelöscht):

        Na ja, vergessen Sie mal nicht, wer da als erster die rassistische Karte gezogen hat. Die Palästinensische Seite propagiert schon seint Jahren die demographische Bombe als die ultimative Waffe gegen den Judenstaat, mit öffentlichen Aufrufen zu Fertilität, um Israel damit zu arabifizieren. Dass das aktuelle Gesetz genau auch eine Reaktion darauf ist, kann man nun wirklich nicht übersehen.

        Die Fertilität im Gaza-Streifen liegt übrigens bei mehr als 4 Kindern pro Frau, ungefähr 1.5 mehr als in sämtlichen Nachbarländern Israels. Da steckt eben auch eine ganz und gar perfide Politik dahinter, die Agressivität anzuheizen, indem das kleine Stückchen Land massiv überbevölkert wird.

        • 8G
          81622 (Profil gelöscht)
          @TurboPorter:

          Kommentar entfernt. Netiquette beachten. 

    • @Nicky Arnstein:

      Kopfschüttel über so viel Ignoranz.

      Israel ist nicht im Stich gelassen. Die US-Regierung tut alles, um die Feinde Israels zu bekämpfen. Siehe Iran. Und sie unterstützen Saudi Arabien mit Waffen. Und SA hat freundschaftliche Beziehungen zu Israel. Netanjahu war in letzter Zeit mehrmals bei Putin. Würden deutsche Medien nicht nur äußerst negativ über Russland berichten, wüssten die Menschen hier in DE, dass Putin auf einer Pressekonferenz mit Netanjahu deutlich ausgesprochen hat, dass auch Russland für die Sicherheit Israels garantiert.

      Das neue Gesetz ist nicht schön zu reden. Zumindest nicht von Menschen, die Rassismus abgrundtief verachten. Und dazu gehören wahrscheinlich auch die meisten Israelis selbst, die diesen Rechtsnationalismus ablehnen.

      • 8G
        81622 (Profil gelöscht)
        @Rolf B.:

        Die "meisten Israelis" haben nun mal die Netanyahu Regierung gewählt, oder? ob sie damit auch sein rassistisches Weltbild unterstützen oder sich dagegen auflehnen, bleibt abzuwarten.

      • @Rolf B.:

        Freut mich zu lesen, dass Sie die meisten Israelis nicht für rechte Nationalisten halten.

      • @Rolf B.:

        Kopfschüttel über so viel Unwissenheit.



        Mal einen Blick auf die UN-Beschlüsse, da sehen Sie wer wie "unterstützt" wird.

  • Na gut, andererseits: der Einsatz von demographischen Bomben wird ja auch schon seit vielen Jahren von arabischer Seite gefordert - "Vermehrt euch so lange, bis ihr in der Überzahl seid". So ein bisschen ist das Gesetz dann auch eine (Über-)Reaktion auf diese Drohung.

  • Der ehemalige junge Staat Israel ist letzlich eine kolonialistische Spur geworden, vielleicht die letzte, die noch in der Welt übrig ist. Wieder eine verratene Verheißung der Geschichte. So musste es 1947 nicht unbedingt sein, das ist aber die heutige Lage und die EU Staaten und EU Bürger sollten es berücksichtigen.

  • Oje. Das ist echt Sch....

  • Mir fehlen ein wenig die Worte dazu...



    :(

  • Die Nation - eine Irrtums- und Aversionsgemeinschaft

    "Eine Nation ist eine Gruppe von Personen, vereint durch einen gemeinsamen Irrtum über ihre Vorfahren und eine gemeinsame Aversion gegen ihre Nachbarn." Diese berühmte Definition des vor den Hakenkreuzlern geflüchteten deutsch-jüdisch-amerikanischen Historikers dürfte auch für den israelischen Nationalismus unter den Auspizien des Likud gelten.

    In diesem Kontext sei daran erinnert, daß der frühsozialistische Philosoph Moses Hess, mit Karl Marx befreundet und Mentor und wichtigster Inspirator für dessen Geschichts- und Revolutionstheorie, auch als spiritus rector des modernen Zionismus gelten darf. Marxismus und Zionismus speisen sich mithin aus denselben „linken“ philosophischen Quellen. Bei Moses Hess entsprangen die Visionen von Sozialismus und Zionismus gleichermaßen dem Drang nach Erlösung aus unterdrückenden und antisemitischen gesellschaftlichen Verhältnissen.

    Ob der Likud-Nationalismus mit seiner Umdeutung der ursprünglichen Mission Israels diesem emanzipatorischen und freiheitlichen Urgeist gerecht wird, sei dahin gestellt, sofern dieses umstrittene Nationalstaatsgesetz zu neuer Unterdrückung und Diskriminierung der nichtjüdischen Bevölkerung des Landes führt, wie die Gegner dieses Gesetzes in der Knesset und in der Zivilgesellschaft wohl zu Recht befürchten.

    • @Reinhardt Gutsche:

      Die Nation - eine Irrtums- und Aversionsgemeinschaft (Ergänzung)

      Diese Definition stammt von Karl W. Deutsch. Der Satz muß mithin lauten:



      „...Diese berühmte Definition des vor den Hakenkreuzlern geflüchteten deutsch-jüdisch-amerikanischen Historikers Karl W. Deutsch dürfte auch für den israelischen Nationalismus unter den Auspizien des Likud gelten.“

      Sorry

      • 6G
        65334 (Profil gelöscht)
        @Reinhardt Gutsche:

        Vielen Dank für Ihr treffendes Zitat und die interessante Information zu Moses Hess. Ich kannte ihn noch nicht.

        Schön, dass in der Kommentarspalte auch mal etwas substanzielles zu lesen ist - statt dem üblichen Imponierverhalten.

  • Klingt nach einem saudummen Gesetz, zumal man sich fragt, was denn "jüdisch" in dem Zusammenhang eigentlich meinen soll - Jude ist, wer sich als Jude selbst bezeichnet? Wer Kind einer jüdischen Mutter ist (Abstammungslinie)? Wer "jüdische Gene" hat? Wer die jüdische Religion lebt? Wie ist das da definiert?



    Das schafft einen merkwürdigen Essentialismus, wie die dämliche Debatte um die Leitkultur in Deutschland.

    Kann man das ganze Gesetz irgendwo, idealerweise auf Englisch, nachlesen?