Weihnachten mit Corona: Eine pandemische Festtags-Story
Wie sähe die traditionelle Weihnachtsgeschichte von Maria und Josef in Zeiten der Impfverweigerung aus? Unsere Kolumnistin wagt einen Versuch.
E s begab sich aber zu der Zeit, dass eine Empfehlung von Expert:innen ausging, dass alle Welt geimpft würde und es sofortige Kontaktbeschränkungen geben müsste. Diese Maßnahmen waren wichtig, da seit zwei Jahren eine furchtbare Pandemie wütete, eine kaum erforschte Virusvariante das Infektionsgeschehen beherrschte und niemand Kenntnis von einem besseren Mittel zu dessen Eindämmung hatte.
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Und so sollte jede:r losgehen, sich piksen zu lassen, zum Schutz der eigenen Gesundheit und auch für die Nächsten und Übernächsten. Da machte sich auf auch Marya, auf dass sie sich boostern ließe, allerdings ohne ihren Partner Jo, der war ein Impfverweigerer, und Marya hatte ihn deshalb verlassen, sie konnte sein Gerede von „Unterdrückung“ nicht ertragen. Außerdem war sie schwanger und sorgte sich um das Kind.
Als die Zeit kam, dass Marya gebären sollte, hatte sie große Angst, denn Hebammen gab es zu wenige, medizinisches Personal war so erschöpft, wie noch niemals jemand erschöpft gewesen war – die Regierenden hatten das Gesundheitssystem jahrelang kaputtgespart. Doch Marya hatte Glück, es fand sich ein Bett in einem Krankenhausflur, wo sie 30 Stunden kämpfte, bis sie ihr Kind im Arm halten konnte.
„Von was für einer Welt soll ich dir nur erzählen“, flüsterte Marya dem Säugling erschöpft ins Ohr, während sich auf den Straßen Menschen versammelten. Manche kleideten sich wie Hirten, klemmten sich Masken unters Kinn und trugen Schilder, auf denen geschrieben stand, sie kämpften gegen eine Diktatur. Oft gingen sie dabei gemeinsam mit solchen, die bei der Diktatur in diesem Land vor 80 Jahren begeistert mitgemacht hätten. Nicht selten fanden welche, dass damals „doch nicht alles schlecht gewesen ist“.
Andere wiederum mussten trotz des Gebots der Kontaktreduzierung lange Stunden unter vielen Menschen arbeiten, oder gleichzeitig Kinder betreuen und arbeiten, oder sich in ungeheizten Klassenzimmern dem hoch ansteckenden Virus aussetzen. Denn über allen Geboten lag in dieser Welt das Gebot, den heiligen Geist der Wirtschaft zu schützen.
Da erschien Marya eine leuchtende Gestalt, die rief: „Fürchte dich nicht!“ Marya runzelte die Stirn und sagte: „Hä, warum nicht? Die Welt ist zum Fürchten, und wer keine Furcht kennt, wird sich an die Grässlichkeit gewöhnen und sie bald normal finden. Das will ich nicht.“ Da räumte das leuchtende Wesen ein, dass es sehr lange versäumt hatte, die eigene Bubble zu verlassen und andere Perspektiven zu hören.
„Aber was soll ich dann hinausrufen in die Welt?“, fragte es. Marya betrachtete das Kind in ihrem Arm. Dann sagte sie: „Ich bin links, mit Optimismus tue ich mich schwer. Aber heute sollst du schnell die Botschaft von der Hoffnung in die Welt tragen, denn Wut allein reicht nicht aus für die Kämpfe, die uns bevorstehen.“
„Gut“, sagte die Gestalt, „mache ich. Aber erst nach Weihnachten.“
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