Wasserstoffbetriebene Züge in Hessen: Moderne Müllschlucker
Die weltgrößte Flotte wasserstoffbetriebener Züge fährt bald im Taunus. Der Sprit kommt aus einem Industriepark und ist ein Abfallprodukt.
Tarek Al-Wazir, Hessens grüner Verkehrsminister, lobte den Zugwechsel als Meilenstein der fälligen Ressourcen- und Energiewende. Er präsentierte das erste Fahrzeug der Flotte am Dienstag im Frankfurter Hauptbahnhof gemeinsam mit dem Geschäftsführer des Rhein-Main-Verkehrsverbunds (RMV), Knut Ringat.
Das Modell unterscheidet sich auf den ersten Blick kaum von den dieselbetriebenen Zügen moderner Baureihen: blaues Dach, weiße Wände. Innen gibt es Internet und Steckdosen zum Laden von Handy und Laptop. Bereiche mit Klappsitzen bieten Platz für Rollstuhlfahrer*innen, Kinderwagen und Fahrräder. Nur die Lackierung deutet auf einen Unterschied hin: Blaue Kringel, die an Luftblasen erinnern, sind auf die Außenwand gemalt. In den Bubbles verraten die Buchstaben O für Sauerstoff und H für Wasserstoff den neuen Antrieb.
Die Tanks des Zuges sind mit komprimiertem Wasserstoff gefüllt. Die Motoren werden mit Strom angetrieben, den Brennstoffzellen in einem chemoelektrischen Prozess bei der Synthese von Wasserstoff und Sauerstoff gewinnen. Bei der Stromerzeugung entsteht nur Wasser, das als Dampf aus Öffnungen im Dach entweicht. Ein wenig sieht das aus wie eine der Dampfloks, die bis in die 1980er Jahre bei der Deutschen Bahn im Einsatz waren. Die bliesen allerdings neben dem Dampf auch giftige Abgase und den Ruß des Koksfeuers in die Luft, das für die Antriebskraft sorgte.
Die neuen Züge beruhen auf bewährten Fahrgestellen
Der Zughersteller Alstom, zweitgrößter Schienenfahrzeughersteller weltweit, habe vor zehn Jahren entschieden, die erste Generation der Wasserstoff-Züge nicht auf eine völlige Neukonstruktion, sondern auf Fahrgestelle und Karosserien bewährter Züge aufzusetzen, erklärt Alstom-Manager Müslüm Yakisan. Deshalb seien die emissionsfreien Züge bereits zehn Jahre nach dem Projektstart für den Regelbetrieb einsatzbereit.
Von der Reichweite und Effektivität der Brennstoffzellen-Triebzüge seien die Entwickler sogar positiv überrascht worden. Yakisan erzählt der taz von einer „Rekordfahrt“ eines Fahrzeugs aus der Wasserstoffflotte im Verkehrsverbund Elbe Weser. Die habe mit einer Tankfüllung nach 1.250 Kilometern und 39 Stunden Fahrt „wegen Erschöpfung des Personals“ abgebrochen werden müssen. Im Vergleich mit den Dieselloks gleicher Bauart spare ein Wasserstoff-Triebwagen 11.000 Tonnen CO2 jährlich ein, so der Manager, und arbeite außerdem wahrnehmbar leiser.
Das Unternehmen bietet auch batteriebetriebene Züge an, die sich aber vor allem auf kurzen Distanzen bis zu 100 Kilometern lohnen. Insgesamt sieht Alstom ein großes Potenzial zur CO2-Einsparung – und ein gutes Geschäft – in der Umrüstung der gesamten dieselbetriebenen Flotte, die noch Jahrzehnte unterwegs sei. Bis zu 3.000 Fahrzeuge ließen sich umbauen, schätzt Yakisan. Neben dem Betrieb durch Brennstoffzellen sei auch möglich, Diesel-Verbrenner auf flüssigen Wasserstoff umzustellen. Dabei müsse weniger stark in die Konstruktion eingegriffen werden.
Ulrich Krebs (CDU), Landrat des Hochtaunuskreises und RMV-Aufsichtsratsvorsitzender, sprach von einer „Erfolgsgeschichte“, die die Taunusbahn mit dem Einsatz der Wasserstoffzüge fortschreibe. Die Deutsche Bahn habe die Strecken Ende der 1980er Jahre aufgeben wollen, deshalb hätten die Kommunen den Betrieb übernommen.
Täglich 11.000 Fahrgäste, „Tendenz steigend“, zeigten, dass es Bedarf für Zugverbindungen gebe. Da die Elektrifizierung des gesamten Streckennetzes im Hochtaunus nicht in Frage komme, wegen der vielen Tunnel und der Topografie, habe man sich vor fast 40 Jahren für die damals modernen Diesellokomotiven entschieden, die jetzt ersetzt würden, so Krebs.
Land und Bund beteiligen sich mit Millionensummen
Der Wasserstoff für den Antrieb kommt aus dem Industriepark Höchst am westlichen Stadtrand von Frankfurt. Dort fällt er bei chemischen Produktionsverfahren an. Es handelt sich also um so genannten grauen Wasserstoff, der nicht klimaneutral ist. Aber: Käme er nicht in die Tanks der Züge, würde er „thermisch entsorgt, also abgefackelt“, erklärte RMV-Geschäftsführer Knut Ringat am Dienstag. Das Land Hessen hat rund 60 Prozent der Kosten für den Bau der Wasserstofftankstelle im Industriepark übernommen und insgesamt mehr als 3 Millionen Euro in deren Planung und Umsetzung gesteckt.
Auch der Bund fördert den Einsatz der Wasserstoffzüge. Denn bislang sind diese noch deutlich teurer als moderne Dieselloks. 40 Prozent der Preisdifferenz übernimmt der Bund, begrenzt auf maximal 14,7 Millionen Euro. Auch an der Tankstelle hat sich der Staat beteiligt und kommt so auf eine Fördersumme von insgesamt etwa 24 Millionen Euro für das Projekt, dessen Gesamtvolumen der RMV auf rund 500 Millionen Euro über 25 Jahre für Fahrzeugbeschaffung, Instandhaltung und Betrieb beziffert.
Vor der Jungfernfahrt des Zugs von Frankfurt nach Bad Homburg hatte es sich Minister Al-Wazir nicht nehmen lassen, persönlich bei einem der „Fossilien“ vorbeizuschauen, die nun ausrangiert werden. Auf Gleis 22 des Frankfurter Hauptbahnhofs startete auch an diesem Tag ein in die Jahre gekommener Triebwagen vom Typ VT/VS 2E in Richtung Grävenwiesbach im Hochtaunus.
Als junger Landtagsabgeordneter sei Al-Wazir selbst häufig mit dem Regionalexpress zwischen Frankfurt und Wiesbaden unterwegs gewesen. Da wurde auch er Zeuge des Spektakels, das sich bislang auf den Gleisen 21 und 22 abspielt: Mit Getöse fahren die Diesel-Triebwagen in die Bahnhofshalle ein, bei der Abfahrt dröhnen die Motoren, aus den Auspuffrohren der Aggregate wälzt sich schmutziger Qualm. Abgasreinigung? Fehlanzeige. Am Wochenende landen die alten Kisten auf dem Abstellgleis.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen