Wasser und Klimaschutz: Fliegende Flüsse
Begrünung kann eine Landschaft um bis zu 20 Grad runterkühlen, sagt eine Studie. Eine Schlüsselrolle kommt dabei dem Wald zu.
Wasser kühlt – das wissen wir alle. Und dennoch wird dieser Umstand in der Klimadebatte massiv unterschätzt. Viele glauben, es reiche, den CO2-Gehalt in der Atmosphäre zu reduzieren. Dabei sind die Dinge viel komplexer, denn es gibt weitere, biophysikalisch sehr unterschiedlich wirkende Treibhausgase, wozu auch Wasserdampf gehört.
Bis vor Kurzem war Wasserknappheit in Deutschland undenkbar. Doch mehrere Dürresommer in Folge ließen Unterböden in der Tiefe von 1,80 Metern so austrocknen, dass im Harz und anderswo der Wald stirbt. In Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Sachsen-Anhalt ist die Situation laut Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) ähnlich besorgniserregend, daran ändern auch jüngere Niederschläge nichts. In manchen Gebieten fehle die Hälfte des Jahresniederschlags, so UFZ-Forscher Dietrich Borchardt. Angesichts sinkender Grundwasserpegel warnte das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe sogar schon vor längerfristig drohender Knappheit von Trinkwasser.
Wie erklärt sich der Wassermangel im regenreichen Deutschland? Meteorolog:innen sagen, die früher beginnende Vegetationsperiode verbrauche das Wasser im Boden schneller, so dass es im Sommer fehlt. Aber neue Studien liefern wichtige Hinweise darauf, dass auch Abholzungen und Versiegelungen enorm zur Zerstörung der großen und kleinen Wasserkreisläufe beitragen.
Wenn die Sonne auf eine begrünte Fläche scheint, nutzen die Pflanzen über 70 Prozent der Sonnenenergie für die Verdunstung („Transpiration“). Ist die Fläche nackt, spricht man von „Evaporation“. Pflanzen nehmen Wasser als Transportmittel für Nährstoffe und Kühlmittel über ihre Wurzeln auf und geben es über die Spaltöffnungen ihrer Blätter an ihre Umgebung ab. Der Übergang von flüssigem Wasser zu Wasserdampf sorgt erdnah für Verdunstungskühlung, während die dabei „verbrauchte“ Energie als „latente Wärme“ in die Atmosphäre hochsteigt. Pflanzen leisten also einen entscheidenden Beitrag zum Transfer von bodennaher Wärme und zur Kühlung des Planeten.
Städte werden im Sommer zu Hitzeinseln
An einem Sonnentag kann ein einziger Baum mehrere 100 Liter Wasser transpirieren und seine Umgebung mit 70 Kilowattstunden pro 100 Liter kühlen, was der Leistung von zwei 24 Stunden lang laufenden Klimaanlagen entspricht. In Tschechien wurden laut einer Studie in Ecological Engineering an einem Sommertag in einem Wald 28 Grad gemessen, während die Temperaturen auf einem abgeernteten Feld 42 Grad und über Asphalt 49 Grad betrugen. Da Städte meist viel Asphalt und wenig Grün haben, werden sie im Sommer zu Hitzeinseln. Auch nackte Erde erhitzt sich schnell.
Stefan Schwarzer ist Mitarbeiter der UN-Umweltorganisation UNEP und hat dort einen wissenschaftlichen Artikel mit ähnlichem Tenor veröffentlicht. Zusammen mit Ute Scheub schrieb er 2017 „Die Humusrevolution – wie wir den Boden retten, das Klima retten und die Ernährungswende schaffen“.
Fast die Hälfte der Niederschläge über den Kontinenten entsteht durch Verdunstungsprozesse über dem Land, davon 60 bis 80 Prozent aus der Transpiration von Pflanzen. Das bedeutet, dass globale Landnutzungsänderungen Wasser- und Energieströme verändern und somit enormen Einfluss auf das Klima haben. Schwindende Wälder und nackte Böden führen zu höheren Bodentemperaturen, weniger Niederschlag und längeren Trockenzeiten. Eine Studie in Nature fand heraus: Luftmassen, die über kahle Gebiete ziehen, produzieren um die Hälfte weniger Regen als Luftmassen über stark bewachsenen Flächen.
Vermehrt ab 1950 wurden weltweit Wälder in Äcker und versiegelte Flächen umgewandelt. In Indien veränderte sich das Muster des Monsuns parallel zur Entwaldung. Auf Borneo führen die Abholzungen des Urwalds für Palmölplantagen zu signifikant weniger Regen. Global hat sich die Verdunstung seit 1950 um etwa 5 Prozent reduziert, was die Durchschnitts-Temperatur um 0,3 Grad erhöhte. Allein die jetzige Abholzungsrate der Tropenwälder könnte bis 2100 für eine Klimaerhitzung um 1,5 Grad sorgen.
Wälder produzieren ihren Regen selbst
Zudem scheinen große Wälder biochemische Reaktoren zu sein: Sie lassen Bakterien, Pilzsporen und Pollen in die Luft steigen, wo diese als Kondensationskerne für Wolken und Niederschläge dienen. Und sie heben die Gefriertemperatur von Eiskernen an, was Wolkenbildung undlokalen Regen begünstigt. Wälder produzieren somit ihren Regen selbst. Sie dienen womöglich auch als Wind- und Wettermacher, als „biotische Pumpe“, die das Nass rund um die Erde transportiert, sagt die russische Klimaforscherin Anastassia Makarieva.
Millionen von Bäumen erzeugen in Form von Wolken riesige Wasserflüsse in der Luft, die „fliegenden Flüsse“. Der von Bäumen erzeugte Wasserdampf kann dabei in 8 bis 10 Tagen etwa 500 bis 5.000 Kilometer zurücklegen. Die über Eurasien aufsteigende Feuchtigkeit beeinflusst wesentlich das Wetter und die Wasserressourcen in China. Die Feuchte über Ostafrika ist Miterzeuger der Niederschläge im Kongobecken. Der westafrikanische Regenwald sorgt für Wasser im Nil. Und das Amazonasgebiet lässt Regen über dem Nordwesten der USA und Südamerika entstehen. Entwaldung führt auch zu stärkeren Aufwinden und höheren Wolken, die Niederschläge geringerer Menge, aber stärkerer Intensität produzieren.
Wenn Pflanzen und Bäume so existenziell wichtig sind für das lokale, regionale und globale Klima, dann beinhaltet das aber auch positive Nachrichten. Erstens: Klimaschutz durch Wiederbegrünung ist hochwirksam. Konkret bedeutet das, Entwaldung auf allen Ebenen zu stoppen und Wiederaufforstung zu erhöhen.
Hecken und Blühstreifen als Pflicht
Auch die Landwirtschaft sollte auf regenerative Praktiken umgestellt werden: Der Boden sollte mit Mulch, Zwischenfrüchten und Untersaaten immer bedeckt und begrünt werden. Ausgeräumte Agrarlandschaften wie in den jetzt von Wasserknappheit bedrohten östlichen Bundesländern sollte es nicht länger geben. Hecken, Baum- und Blühstreifen sollten zur Pflicht gemacht werden, damit die Feuchte im Boden erhalten, von den Pflanzen transpiriert und damit wieder zu Niederschlag umgewandelt werden kann.
Waldumbau und Wasserrückhaltung sollten gefördert werden. Ebenso Agroforstsysteme, wie es jetzt auch ein Bundestagsbeschluss vom Januar 2021 vorsieht. All diese Maßnahmen sorgen für mehr Wasser im kleinen Verdunstungskreislauf und sind deshalb weit wirksamer als Wassersparen.
Zweitens: Stadtregierungen und zivilgesellschaftliche Gruppen können sehr viel tun. Berlin, Hamburg und andere Metropolen haben begonnen, sich in „Schwammstädte“ zu verwandeln, auch wenn das Umsetzungstempo noch zu wünschen übrig lässt. Das Konzept beinhaltet, kostbaren Regen nicht länger in die Kanalisation zu leiten, sondern aufzufangen – mittels Flächenentsiegelungen, Regenspeichern, Ausweitung von Parks und Grünflächen, flutbaren Plätzen oder Mulden unter jedem einzelnen Stadtbaum.
Häuser könnten mit Gründächern und Grünfassaden ausgestattet, Terrassen mit Pergolas gekühlt werden. Urbane Gärtner:innen könnten auf jeder Brache dafür sorgen, dass sie begrünt und begärtnert wird. Kleine Gruppen können zwar nicht für eine messbare CO2-Absenkung sorgen, aber für eine deutliche Abkühlung des lokalen Klimas. Das heißt: weniger Hitzetote, mehr Gesundheit, mehr Wohlbefinden. Jede einzelne Pflanze und jeder einzelne Baum zählt!
Drittens: Wenn die „fliegenden Flüsse“ Eurasiens etwa das Wetter von China mitbestimmen, bedeutet das eine ganz neue Perspektive für die Weltgesellschaft: Internationale Klimakooperation wird zum Muss. Jeder Staat ist von jedem anderen abhängig, jeder wird zum Sender und Empfänger von Feuchte und Kühle.
Anmerkung der Redaktion: Wir habe den Text an zwei Stellen korrigiert. Ursprünglich hieß es im Text, dass die globale Verdunstung seit 1950 um jährlich etwa 5 Prozent zurückging. Das ist falsch. Richtig ist: Global hat sich die Verdunstung seit 1950 um insgesamt etwa 5 Prozent reduziert.
Korrigiert wurde auch die Aussage, dass aufsteigende Bakterien, Pilzsporen und Pollen, die als Kondensationskerne die Woklenbildung begünstigen, auch die Gefriertemperatur von Eiskernen senken würden. Das Gegenteil ist richtig: Sie heben die Gefriertemperatur von Eiskernen an. Die Autoren und die Redaktion bedauern die falsche Darstellung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
„Männer“-Aussage von Angela Merkel
Endlich eine Erklärung für das Scheitern der Ampel
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“