Was uns blüht

Der neueste IPCC-Bericht des Weltklimarates ist schockierend. Unsere Autoren haben zusammengetragen, was der Klimawandel in Deutschland bis 2050 anrichten wird

Zerstörung nach der Flut in Rheinland-Pfalz Foto: Fo­to:Tho­mas Frey/dpa

„Deutschland 2050. Wie der Klimawandel unser Leben verändern wird“ heißt der Titel des Buches von Nick Reimer und Toralf Staud (Kiepenheuer & Witsch 2021, 384 Seiten, 18 Euro).

Grundlage ihrer Arbeit ist das Klimamodell des Deutschen Wetterdienstes, das die klimatischen Verhältnisse Mitte des Jahrhunderts in Mittel­europa berechnet.

Wie präzise diese Berechnung ist, zeigt sich, wenn das Modell „zurückrechnet“ – etwa die Wetterbedingungen des Jahres 2005. Aus diesem Jahr gibt es Messdaten – und die entsprechen exakt denen, die das Modell berechnete.

Von Nick Reimer
und Toralf Staud

Mehr tropische Nächte

Gemäß der Klimamodellierung des Deutschen Wetterdienstes DWD wird Deutschland Mitte des Jahrhunderts 2 Grad wärmer sein als zu Beginn der Industrialisierung im 19. Jahrhundert. Sommertage mit mehr als 30 Grad werden dann völlig normal sein, die Spitzentemperaturen 40 Grad überschreiten, die Zahl der tropischen Nächte wird sich verdoppeln – Nächte, in denen die Temperatur nicht mehr unter 20 Grad sinkt.

Besonders betroffen sein wird laut der DWD-Berechnung der Südwesten von Freiburg bis Mainz, der Südosten von der Lausitz bis in die Leipziger Tieflandbucht, die Kölner Bucht und das Ruhrgebiet. In Köln wird Ende des Jahrhunderts ein Klima herrschen wie heute in San Marino. In Berlin wird es sich dann anfühlen wie heute im südfranzösischen Toulouse, München bekommt klimatische Zustände wie heute in Mailand, Hamburg wie derzeit das spanische Pamplona. An der italienischen Mittelmeerküste werden dann übrigens klimatische Verhältnisse herrschen wie heute in Marokko oder Tunesien.

Gleichzeitig werden die Frosttage stark abnehmen: Die Zahl der Tage, an denen das Thermometer unter null sinkt, wird im Schwarzwald, im Harz, im Erzgebirge um bis zu einhundert Tage sinken. Die Winter werden milder und kürzer, Eiswein aus Deutschland wird es Mitte des Jahrhunderts nicht mehr geben – einfach weil in den deutschen Weingebieten die Frosttage fehlen.

Mehr Krankheitserreger

Mit steigenden Temperaturen werden in Deutschland auch Krankheitserreger heimisch, die derzeit nur in anderen Erdteilen heimisch sind: Dengue- oder West-Nil-Fieber werden Mitte des Jahrhunderts keine Seltenheit mehr in unseren Breiten sein.

Zecken, die Erreger wie Borreliose-Bakterien oder FSME-Viren übertragen, fühlen sich dann in unseren Wäldern wohl, die Asiatische Tigermücke findet hier dann beste Lebensbedingungen, ein Überträger tropischer Krankheiten.

Doch es wird nicht nur mehr Infektionskrankheiten geben: Vor allem alte Menschen werden unter zunehmender Hitze leiden. Im Hitzesommer 2003 starben hierzulande schätzungsweise 7.000 Menschen zusätzlich an Hitze. Bereits im jetzigen Klima gibt es im Sommer in Berlin durchschnittlich 1.400 Hitze­tote. Zum Vergleich: Im Berliner Straßenverkehr kommen im Jahresschnitt rund 65 Menschen ums Leben – Hitze ist also etwa 20-mal tödlicher.

Mehr Schlechtwettergeld

Dachdecker im Sommer 2050? „Man spürt die Hitze sogar durch die Schuhsohlen“, sagte schon 2019 der Kölner Meister Martin Weihsweiler, 20 Leute arbeiten für seine Firma. Damals hatte er ein Thermometer dabei, im Schatten zeigte es 35 Grad – direkt auf der schwarzen Bitumen-Dachoberfläche sind es teils über 70 Grad. Mitte des Jahrhunderts wird das keine Ausnahme mehr sein: Schlechtwettergeld muss dann im Sommer gezahlt werden, weil viele Menschen ihrem Beruf dann nicht mehr nachgehen können (im Süden wurde deshalb die Siesta eingeführt).

Die deutsche Wirtschaft wird darunter leiden, dass Unwetterkatastrophen in anderen Teilen der Welt Lieferketten durcheinanderwirbeln. Staaten, die heute noch „Made in Germany“ kaufen, werden sich das dann nicht mehr leisten können. Außerdem werden sich die Leichtbauhallen in den deutschen Gewerbegebieten derart aufheizen, dass im Sommer nicht daran zu denken sein wird, darin zu arbeiten.

Mehr Schnee

Die Klimaerhitzung wird uns wärmere Winter bringen. Manchmal aber auch sehr viel kältere mit sehr viel Schnee. Ein Grund ist der sich abschwächende Jetstream: Dieser Höhenwind mäandert über der Nordhalbkugel und unser Wetter. Angetrieben wird er durch die Temperaturdifferenz zwischen Nordpol und Äquator. Die Pole erwärmen sich viel stärker als der Rest der Welt, die Temperaturdifferenz sinkt und damit die Antriebskraft. Der Klimawandel verändert die Strömungsverhältnisse der Nordhalbkugel, und zwar so, dass Kälteeinbrüche bei uns extremer werden.

Mehr Schnee beschert uns das tauende Eis im Arktischen Ozean: Wie ein Deckel auf dem Ozean wirkt dieses Meereis und verhindert, dass das Wasser darunter in die Atmosphäre verdunstet. Friert die Barentssee nördlich der russischen und norwegischen Küste im Winter nicht mehr zu, fehlt dieser Deckel. Es verdunstet mehr Wasser und das kann bei uns zu extremen Wetterereignissen wie 2018 führen.

Mehr Kampf um die Demokratie

Wir Menschen sind trainiert auf Wirkungen, die hier und jetzt und gleich passieren“, sagt der Risikoforscher Ortwin Renn. Er fürchtet, dass die politischen Ränder in Deutschland stärker werden. „Man kann sich sowohl einen Klimadiktator vorstellen als auch einen, der Schluss macht mit Klimaschutz.“ Der Kampf um die Demokratie werde „mit Sicherheit kein einfacher Kampf“.

Zudem werden andere Regionen stärker unter der Klimaerhitzung leiden. Renn befürchtet eine Zerreißprobe für Europa, „wie wir sie uns bisher nicht vorstellen können“. Verglichen mit heute werde die Zahl der Flüchtlinge stark steigen. „Die Kombination aus weltweiter Migration und Etablierung eines rechtspopulistischen Autoritarismus in wohlhabenderen Staaten – das ist, was mich am Klimawandel am meisten beängstigt.“

Mehr Waldsterben

Forstexperte Joachim Rock vom Thünen-Institut sagt: „Bei 450 Millimeter Niederschlag pro Jahr gibt es eine Grenze für den Wald.“ Zumindest für den, den wir heute kennen. Eichen, Buchen oder Kiefern – in wenigen Jahrzehnten werden etliche Standorte zu trocken und zu heiß sein – im Süden Brandenburgs, jeweils im Norden von Sachsen und Sachsen-Anhalt, zudem im Norden und Süden von Bayern, im Süden von Hessen und Rheinland-Pfalz sowie in Baden-Württemberg längs des Rheins.

Hitze, Dürre, Schädlinge wie der Borkenkäfer: Die Veränderungen haben längst begonnen. Überall sind die Fichtenbestände angegriffen, Deutschlands häufigster Baum verschwindet vielerorts: Zu durstig ist der Tann, der aus dem Norden kommt und es kühl und feucht mag.

Aber irgendetwas wird doch auch künftig wachsen? Es wächst doch immer irgendetwas! Hans-Werner Schröck von der Forschungsanstalt für Waldökologie in Rheinland-Pfalz erklärt: „Die Zukunft unserer Wälder könnte so aussehen, wie Urlauber heute Wald im Süden Europas erleben.“

Mehr Dürre

In Deutschland gibt es genug Wasser für alle – diese Gewissheit gilt in wenigen Jahren nicht mehr. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe warnt in einer Risikoanalyse, „lange Dürreperioden (insbesondere verbunden mit Hitzewellen) können zu Problemen bei der Versorgung der Bevölkerung mit Trinkwasser führen“. Bekannt wurde das Bundesamt, weil es den Verlauf der Covid-19-Pandemie exakt so vorhergesagt hatte, wie es im Frühjahr 2020 dann auch kam.

„Wir müssen uns wahrscheinlich auf regional harte Nutzungskonflikte einrichten“, fürchtet Michael Ebling, Präsident des Verbandes Kommunaler Unternehmen. Wenn es heiß ist, verbrauchen die Menschen mehr Wasser. Neu im Verteilungskampf ist die Landwirtschaft. In der Vergangenheit mussten Bauern in Deutschland ihre Felder kaum bewässern. Dürre ist seit den Trockenjahren 2018, 2019, 2020 in Deutschland zur Gewissheit geworden: Laut dem Dürremonitor des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung sind aktuell weite Teile der Lausitz, des Fläming, der Magdeburger Börde, Oberbayerns, der Fränkischen Schweiz und rund um Usedom in der entscheidenden Bodentiefe von 1,80 Metern immer noch von extremer Dürre betroffen.

Mehr Tief Mitteleuropa

Andererseits wird es 2050 zu viel Wasser geben. „Lokale Stark­regenereignisse verbunden mit Sturzfluten sowie Dauerregen verbunden mit großflächigen Überschwemmungen werden intensiver bzw. häufiger“, heißt es in einer Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung.

„Normaler Landregen, wie wir ihn heute noch kennen, wird in Zukunft die Ausnahme sein“, sagt Andreas Becker vom Deutschen Wetterdienst. Sommerlicher Niederschlag geht 2050 stattdessen als Sturzflut nieder, sanfte Bäche werden reißende Ströme, die ganze Ortschaften verwüsten – so wie beispielsweise 2016 das bayrische Simbach, 2017 Goslar in Niedersachsen, 2018 Dudeldorf in der Eifel, 2019 Kaufungen nahe Kassel oder 2020 das fränkische Herzogenaurach. In diesem Jahr traf es bislang nicht nur Orte in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen, sondern auch in Sachsen und Bayern.

Doch nicht nur lokale Starkregen­ereignisse werden zunehmen. „Tief Mitteleuropa“ nennen Meteorologen eine Wetterlage, die großflächig lang anhaltende Regenfälle in unser Land bringt. Seit den 1950er Jahren ist diese Wetterlage bereits rund 20 Prozent häufiger geworden, bilanziert der Deutsche Wetterdienst. „Tief Mittel­europa“ bescherte Unwetter wie 2013 an Elbe und Donau, in Passau stieg der Pegel auf ganze 12,89 Meter, der höchste Stand seit 500 Jahren.

Ein „Tief Mitteleuropa“ war Ursache für die Unwetter im Mai 2016, besonders betroffen war Süddeutschland, elf Menschen verloren ihr Leben. 2017 sorgte ein „Tief Mitteleuropa“ rund um den Harz für schwere Verwüstungen, Flüsschen wie die Oker und die Nette verzeichneten Jahrhunderthochwasser. Derzeit droht „Tief Mitteleuropa“ hierzulande durchschnittlich an etwa 9 bis 15 Tagen im Jahr. „Die Zahl der Tage schwankt von Jahr zu Jahr sehr stark“, sagt DWD-Meteorologe Thomas Deutschländer. Aber alles deute darauf hin, dass sie mit der Erderwärmung langfristig zunehmen.