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Was die Trendforschung sagtUnd jetzt 30 braune Jahre

Braun ist angesagt. Was normalerweise ein oder zwei Saisons hält, soll nun länger bleiben. Kleine Anmerkungen zu schwierigen Koinzidenzen.

Mit viel gemütlichem Braun gegen die Wirtschaftskrise: Ein Wohnzimmer in den 1970ern Foto: dpa

Braun soll das neue Schwarz sein. Die politische Katastrophe wird sich nicht gleich farbphänomenologisch in die Mode übersetzen, wenn gerade überall zu lesen ist, in Interior und Fashion sei Braun das neue Schwarz, aber ein wenig unheimlich ist diese Koinzidenz schon. Woher kommt die neue Braunliebe?

Modegeschichtlich gesehen war Braun die Farbe der Armen und Mönche, bis im 18. Jahrhundert der bürgerliche Mann sie für sich entdeckte und sie als schick galt. Die Farbpsychologie ordnet der Farbe Ernsthaftigkeit, Urtümlichkeit und Widerstandsfähigkeit zu. Das alles passt zum aufstrebenden Bürgertum des 18. Jahrhundert, das ziemlich humorfrei und nach oben und unten sehr widerstandsfähig war.

Braun sind auch die Hemden der Kolonialtruppen in Deutsch-Südwestafrika, braun sind die Hemden der SA, braun sind die Uniformen fast aller NS-Parteiorganisationen. Für die Frau liegt die Sache vielleicht ein wenig anders, aber für den Herren ist und bleibt diese Farbe für immer und ewig diskreditiert. Zumindest oberhalb des Schuhwerks. Oder würden Sie einen Mann mit braunem Hemd und schwarzer Krawatte daten?

Auch die 1970er hatten schon ihr Braun-Revival. Auf Wirtschafts- und Sozialstaatskrise und die ansteigende Arbeitslosigkeit folgten Cordhosen, Cordsofas, Cordhüte und Wandverkleidungen. Alles in Braun und sehr behaglich.

Zitieren und Erfinden

Inzwischen ist die Mode längst stärker im Zitieren als im Erfinden und ruft ständig neue Retrotrends aus, die dann ein, zwei Saisons halten, aber nun kommt es viel dicker, verkündete doch die wichtigste Trendforscherin Lidewij Edelkoort kürzlich: „Die nächsten dreißig Jahre werden sich um die Farbe Braun drehen.“ Dreißig braune Jahre?

Sogar braune Autos sind wieder beliebt. Die Autoindustrie liest den Trend zum Kackhaufen auf Rädern als Gegentrend zur Technisierung der Welt, wie ein Neuropsychologe einem Marketingbranchenmagazin sagte. Innen Technik, außen Boden, Lehm und Natur? Hätte man auch einfach von falschem Bewusstsein sprechen können. Aber Neuropsychologen sind halt auch en vogue. Wie auch immer, klar ist: Gegen Braun hilft kein Braun.

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4 Kommentare

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  • Rot ist ne prima Alternative, weckt Lebensgeister, Mut, Tatkraft.

  • Eine "Trendforscherin", die einen dreißigjährigen Trend vorhersagt, macht sich und die ganze Branche überflüssig. Und tatsächlich: Die Dame ist 69 Jahre alt, geht wohl bald in den Ruhestand, und jetzt drückt sie es ihren Kolleginnen und Kollegen nochmal so richtig rein: Ihr könnt stempeln gehen, in den nächsten 30 Jahren gibt's nix neues mehr.

    Ich kann sie dabei nur unterstützen. Nicht bei der braunen Farbe, sondern dabei, den Beruf "Trendforscher*in" überflüssig zu machen.

  • 9G
    90118 (Profil gelöscht)

    ganz schön kacke!



    in deutschland ist auf die verbreitete geschmacklosigkeit traditionell verlass, also sind 30 jahre das zu erwartende minimale strafmaß.

  • In Deutschland hatten wir schon mal zwölf braune Jahre. So etwas brauche ich nun wirklich nicht wieder!

    taz, man kann Überschriften auch weniger click-bait-mäßig wählen.