Was Windräder noch so können: Algen-Anbau unter Windanlagen auf See
Gut erreichbare Meeresfläche ist knapp. Forscher*innen aus Bremerhaven wollen Offshore-Windanlagen deshalb doppelt nutzen: für Energie und Nahrung.

Sickert arbeitet im Rahmen ihres Studiums am Bremerhavener Alfred-Wegener-Institut im Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI). Und deshalb ist sie mit vier Kollegen an Deck der „Taifun“.
Das Mehrzweckschiff ist unterwegs von Helgoland zum Offshore-Windpark Meerwind Süd|Ost. Die Hauptakteure warten in der Kühlbox. Auf den Netzen sind Sporen der Braunalgenart Saccharina latissima ausgebracht, Zuckertang. Sie sollen im Offshore-Windpark angesiedelt werden. Das Projekt ist Teil des EU-Forschungsvorhabens Olamur.
Algen seien weltweit „groß im Kommen“, erklärt Sickert. Getrocknete Algenchips, Blätter für Sushi – „Braunalgen haben generell super viele bio-natürliche Komponenten“, sagt sie. Sie seien reich an Antioxidantien, Eisen und Jod. Außerdem würden sie gebraucht für Nahrungsergänzungsmittel, Kosmetika, als Biodünger und Bestandteil von Bioplastik.
In der Praxis ist das alles komplizierter
Im Windpark nehmen sich Sickert und Bela H. Buck am nächsten Tag die Netze aus der Kühlbox vor. Buck leitet die Forschungsgruppe Marine Aquakultur am AWI und die Fahrt, er ist Professor für Meeresbiologie an der Hochschule Bremerhaven. Mit Kabelbindern machen sie die Netze am Shellfish-Tower fest.
„Das ist nichts anderes als eine Stahlkonstruktion“, so Buck: in der Mitte ein Auftriebskörper, an zwei Seiten Gestelle. An eines kommen die Algensporen. Bei einer späteren Fahrt sollen weitere Gestelle zur Zucht der Europäischen Auster Ostrea edulis eingesetzt werden. Daher der Name Shellfish-Tower – Muschelturm. Wie die Braunalgen mit der Metallkonstruktion klarkommen, die nicht ihre natürliche Umgebung ist, muss untersucht werden. Für die Austern wird später das Gleiche gelten.
Das Projekt erkundet auch, ob der Turm selbst funktioniert. Am Ende soll er sechs bis acht Meter tief gleichsam im Wasser schweben. Der Auftriebskörper hebt ihn nach oben, während eine Leine ihn nach unten zieht, die zu einem tonnenschweren Ankerstein führt. So der Plan.
Die Praxis sieht anders aus. Erst ist der vor Monaten ausgebrachte Ankerstein unauffindbar. Beim zweiten Versuch am nächsten Tag reißt eine Kette und der Tower lässt sich nicht ausbringen, die Fahrt wird abgebrochen. Das Wetter ist schlecht, als die „Taifun“ Kurs nimmt auf Helgoland. Sie wollen es wieder versuchen, kündigt Buck an.
Algenanbau „sehr umweltverträglich“, sagt der Experte
Aquakultur ist weltweit gesehen auf dem Vormarsch. Für 2022 verzeichnete die Welternährungsorganisation FAO 131 Millionen Tonnen Produkte aus Aquakulturen, davon 36,5 Millionen Tonnen Algen.
Grundsätzlich sei deren Anbau, der heute vor allem in Asien stattfindet, „sehr umweltverträglich“, urteilt Carsten Schulz, Professor für Marine Aquakultur an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Insbesondere deshalb, weil Algen Nährstoffeinträge in die Gewässer kompensieren, indem sie gelöste Stoffe aufnehmen und daraus Biomasse bilden.
Allerdings ist es so, dass eine für Aquakultur genutzte Fläche anderen Organismen nicht mehr so zur Verfügung steht wie vorher. Zum Beispiel könne die Verschattung durch Makroalgen anderen Organismen „das Leben schwer machen“, die ebenfalls auf Licht angewiesen sind. Andererseits könnten Algenkulturen zum Beispiel Fischen Schutz bieten, so der Experte.
Vor diesem Hintergrund sieht Schulz das Olamur-Projekt, an dem er selbst nicht beteiligt ist, positiv und schätzt „den innovativen Charakter über die Co-Nutzung von Windparkflächen mit der Aufzucht von extraktiven Organismen, wie Algen oder Muscheln“.
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