Qual der Wahl bei der Begrüßung: Moin, der Friede sei mit euch
Ich möchte mich als Teil der deutschen Gesellschaft fühlen und zugleich meine Wurzeln nicht vergessen. Was sage ich also: "Hallo", "Moin" oder "Salam"?
A ls ich Deutsch gelernt habe, war „Hallo“ mit das erste Wort, das ich benutzt habe. Danach lernte ich die Anwendung von “Moin“ in Hamburg und Norddeutschland. Aber beim Sprechen und beim Schreiben von E-Mails verwendete ich nur „Hallo“ oder „Hi“.
Ein paar Jahre und viele Hallos später habe ich meinen deutschen Schwiegervater besucht und er hat mich mit „As-salamu alaykum“ begrüßt, „Friede sei mit euch“. Ich war total überrascht und habe begeistert „Wa alaykumu as-salam“ geantwortet, „Friede sei auch mit euch“. Er hat mir erzählt, dass er gerade gelernt habe, dass sich Muslim*innen weltweit so grüßen. Seitdem begrüßen wir uns so und es erinnert mich daran, wie sehr ich diese Begrüßung mag. Wir brauchen doch alle mehr Frieden in unseren Leben, besonders in dieser Zeit.
Ich habe mich danach entschieden, die etwas modernere und kürzere Version “Salam“ anstatt von “Hallo“ auszuprobieren. Ungefähr zur gleichen Zeit bin ich in der Schanze in einen türkischen Friseurladen gegangen. Ich öffnete die Tür und sagte in den Raum: “Hallo“. Direkt hinter mir kam noch ein Mann herein, der alle mit „As-salamu alaykum“ begrüßte. Ich war in dem Moment sehr überrascht von mir selbst und habe mich gefragt, warum ich trotz meiner Entscheidung nicht „Salam“ gesagt hatte. Warum kam mir „Hallo“ schneller in den Sinn?
Ich konnte meine Entscheidung schriftlich umsetzen. In jeder E-Mail, jedem Brief, den ich schicke, schreibe ich „Salam“. Aber warum fällt es mir so schwer, es auch zu sagen? Ich glaube, dass ich beim Schreiben mehr Kontrolle über meine Sprache habe. Vielleicht interessiert mich auch schriftlich die Reaktion der Menschen nicht so sehr, weil ich sie nicht sehen kann. Obwohl ich mich sehr freue, wenn beispielsweise ein Haspa-Mitarbeiter oder ein Journalistenkollege mit „As-salamu alaykum“ auf meine E-Mail antwortet.
Aber beim Sprechen konzentriere ich mich zuerst auf die Reaktion der Menschen, die ich mit „Salam“ begrüße. Ich denke mehr über ihre Blicke und Fragen nach und habe auch Sorgen, dass es zu einer ungemütlichen Situation kommt.
Oder vielleicht möchte ich mich nicht zu sehr als anders oder fremd präsentieren, wenn ich ein fremdes Wort benutze? Wenn ich einfach „Hallo“ sage, schütze ich mich dann vor dem Gefühl der Fremdheit? Viele junge Syrer*innen, die ich kenne, sprechen nicht nur perfektes Deutsch, sondern auch noch akzentfrei. Und wenn sie dann auch ihr Äußeres an die aktuellen Trends anpassen, möchten sie vielleicht genauso dazugehören wie ich. Sie möchten nicht als Fremde, Geflüchtete oder Ausländer gelesen werden.
Ja, ich weiß, heute erkennen die meisten Menschen an, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist und viele Muslim*innen und arabischsprachige Menschen leben seit langer Zeit hier. Aber trotzdem erlebe ich, dass viele Deutsche keine Erfahrung oder Kontakt mit diesen Menschen haben. Sie wissen nicht von der Schönheit unserer Sprache und der Bedeutung eines „As-salamu alaykum“. Sicherlich spielt auch die deutsche Angst vor einer „Islamisierung“ oder „Arabisierung“ der deutschen Kultur eine Rolle.
Am Ende stehe ich, wie viele andere Exilant*innen, vor dem Konflikt zwischen der Zugehörigkeit zur neuen Gesellschaft und den Routinen und persönlichen Angewohnheiten, die mich in meinem Heimatland geprägt haben. Ich möchte mich als Teil der Hamburger und auch der deutschen Gesellschaft fühlen. Gleichzeitig will ich nicht das Gefühl haben, dass ich vergesse, wie und wer ich vor dem Exil war.
Ich erlebe das so, und ich weiß auch, dass Menschen, die in zweiter oder dritter Generation hier leben, das genauso erleben. Manche von ihnen lösen diesen Konflikt, indem sie “Salam und Moin“ in einem Atemzug sagen. Vielleicht werden meine Kinder mich in Zukunft auch so begrüßen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt