Warnstreik am Montag: Fast alle Räder stehen still
Mit einem Mobilitätsstreik in nie da gewesenem Ausmaß machen Verdi und EVG mächtig Druck für ihre jeweiligen Tarifkonflikte. Ist das nur der Auftakt?
Die Deutsche Bahn stellt ihren gesamten Fernverkehr ein. S-Bahnen fallen ebenso aus. In etlichen Städten fahren keine Busse, Straßen- und U-Bahnen. Selbst die Wuppertaler Schwebebahn schwebt nicht. Der Schiffsverkehr ist stark eingeschränkt. Geflogen wird auch nicht mehr viel, da nur der Flughafen Berlin-Brandenburg nicht bestreikt wird. Und wer mit dem Auto unterwegs ist, sollte Autobahnen mit Tunneln meiden: Sie könnten geschlossen sein.
Dem glücklichen Umstand eines gemeinsamen Zeitfensters ihrer jeweiligen Tarifauseinandersetzungen geschuldet, demonstrieren Verdi und EVG mit ihrem eintägigen Warnstreik, welche Macht Gewerkschaften in Deutschland noch haben können. Aber es ist erst mal nicht mehr als ein Muskelspiel. Von einem Aufruf zum unbefristeten Streik sind beide noch recht weit entfernt.
Auch wenn es bei der dritten Verhandlungsrunde für den öffentlichen Dienst des Bundes und der Kommunen, die von Montag bis Mittwoch in Potsdam stattfindet, nicht zu einer Einigung kommen sollte, würde zunächst einmal ein Schlichtungsverfahren folgen, inklusive einer während dieser Zeit geltenden Friedenspflicht. Bei der Deutschen Bahn steht Ende April erst die zweite Verhandlungsrunde an.
Vorherige kümmerliche Tarifabschlüsse
Das Signal ist gleichwohl stark. Das erscheint angesichts der erheblichen Differenz zwischen dem Anspruch der Beschäftigten und den Angeboten der Arbeitgeber auch notwendig. Eine Gehaltserhöhung in diesem Jahr von 10,5 Prozent, mindestens aber 500 Euro pro Monat mehr, fordert Verdi. Die EVG will 12 Prozent, mindestens jedoch 650 Euro.
Dem stehen Angebote gegenüber, die sich für dieses Jahr auf eine Einmalzahlung von 1.500 Euro im Mai konzentrieren. Eine Tariferhöhung von 3 Prozent soll dann für den öffentlichen Dienst im Oktober folgen, bei der Deutschen Bahn sogar erst im Dezember. Weitere 2 Prozent sowie eine nochmalige Einmalzahlung von 1.000 Euro soll es schließlich im kommenden Jahr geben.
Die hohen Lohnforderungen von Verdi und EVG erklären sich dabei nicht nur mit den stark gestiegenen Lebenshaltungskosten seit Beginn des Ukrainekriegs im Februar 2022. Sie resultieren auch aus den äußerst kümmerlichen vorangegangenen Tarifabschlüssen, die den Beschäftigten im öffentlichen Dienst und der Deutschen Bahn schon 2021 trotz einer weitaus niedrigeren Inflationsrate einen Reallohnverlust beschert haben.
Entsprechend groß ist unter ihnen die Erwartungshaltung, dass sich die Gewerkschaften jetzt kämpferischer zeigen. Mit ihren Festgeldforderungen, von denen Niedrigverdiener:innen überproportional profitieren würden, dokumentieren Verdi und EVG, dass sie sich besonders bei denjenigen in der Verantwortung sehen, die die Preisentwicklung in Deutschland mit voller Wucht trifft.
Durchaus noch Eskalationspotenzial
Ob der flächendeckende Mobilitätsausstand an diesem Montag nur ein Vorgeschmack auf einen weitaus härteren Arbeitskampf ist, ist noch nicht absehbar. Bei der Deutschen Post ging Verdi bis an die Schwelle zum unbefristeten Streik, beließ es dabei jedoch: Unmittelbar nach der erfolgreichen Urabstimmung unter den Mitgliedern einigte sich die Gewerkschaft vor zwei Wochen überraschend auf einen Tarifkompromiss, der in seiner Kombination (einer Inflationsausgleichsprämie von insgesamt 3.000 Euro und einer später folgenden Festgelderhöhung um 340 Euro) möglicherweise eine Blaupause für den öffentlichen Dienst sein kann.
Der letzte richtig massive Streik im öffentlichen Dienst liegt jedenfalls schon sehr lange zurück. Und er beschränkte sich auf die alte BRD, da nach der Vereinigung zunächst noch getrennt für West und Ost verhandelt wurde. Gemeinsam mit den Bediensteten des öffentlichen Dienstes legten vom 27. April bis zum 7. Mai 1992 auch die Post- und Bahnangestellten die Arbeit nieder.
Wie heute führte das zu erheblichen Einschränkungen der Mobilität, allerdings wurde der Zugverkehr nicht vollständig lahmgelegt. Dafür versanken besonders die Großstädte in Abfallbergen, da auch die Müllwerker mit im Ausstand waren. Es gibt also durchaus noch Eskalationspotenzial.
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