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Waldbrände in GriechenlandNach dem Feuer kommt der Frust

Auf der griechischen Insel Euböa haben viele Menschen ihre Lebensgrundlage verloren. Zu Besuch bei dem Harzsammler Stathis Papadimitriou.

Nach der Feuerkatastrophe im Ort Milies in Nord-Euböa Foto: Ferry Batzoglou

Euböa taz | Als der erste Rauch in der Luft liegt, beginnt Jannis Amarantidis an jenem ersten Donnerstag Anfang August zu allererst, das Teuerste in Sicherheit zu bringen. Der 46-Jährige, Vollbart, kräftig gebaut, schnappt sich in seinem Fahrradverleih zuerst die hochklassigen Räder und lädt sie auf seinen Anhänger – ab zum Strand, der keine 300 Meter entfernt liegt, und wo er die Fahrräder im Sand abstellt, und schnell zurück.

Dreimal tut er das, vorsorglich. Die übrigen 90 Fahrräder lässt er auf dem Gelände seines Fahrradverleihs im dichten Pinienwald zurück, der direkt neben einem großen Campingplatz liegt. Denn die Feuerfront sei noch so weit weg gewesen, wie er sich erinnert. Amarantidis glaubt in jenem Moment nicht, dass sich der noch ferne Waldbrand bis hierhin ausbreiten wird. Er täuscht sich. Letztlich sollte das Feuer neun Tage lang unkontrollierbar auf der griechischen Insel Euböa wüten und eine fatale Verwüstung anrichten.

Nun steht er wieder vor dem Gelände seines Fahrradverleihs im Ferienort Agia Anna im Nordosten der nach Kreta zweitgrößten Insel Griechenlands, knapp drei Autostunden nördlich von Athen. Er steht vor dem Nichts: Amarantidis’ Fahrräder sind zu einer unförmigen Metallmasse geschmolzen. Auch die meisten Fahrräder, die er bis zum Strand gebracht hatte, sind verloren.

Dabei schaffte es die Feuerbrunst gar nicht auf den Strand, denn Sand besteht aus verbranntem Silizium – und Verbranntes brennt nicht. Dennoch blieb von den Fahrrädern auch dort fast nichts übrig. „Das lag an der enormen Hitzeentwicklung“, sagt Amarantidis.

Verkohlte Pinienbäume bis zum Horizont

Sein Schaden beläuft sich auf 39.000 Euro. Die Fahrräder hatte er nicht versichert. „Zu teuer“, sagt er lapidar. Seine wenigen noch brauchbaren Räder verleiht er jetzt an die spärlichen Urlauber, die die Region nach den Bränden aber eher meiden.

Stathis Papadimitriou, der Harzsammler aus dem Ort Milies in Nord-Euböa Foto: Ferry Batzoglou

Dreißig Kilometer weiter nordwestlich erreicht man nach einer kurvenreichen Fahrt den Bergort Milies. Links und rechts der Straße, die sich von der Ägäis bis zum Ort hinauf schlängelt, bietet sich dem Beobachter ein deprimierender Anblick: verkohlte Pinienbäume, so weit das Auge reicht, überall Asche, verbrannte Erde, kein Leben.

Lebhaft geht es in Milies hingegen im Außenbereich des Cafés „I Eilikrinia“ zu, was auf Griechisch „die Ehrlichkeit“ heißt. Die Gäste stammen alle aus dem 150-Seelen-Dorf. Stathis Papadimitriou, 58, sonnengegerbte Haut, pfannengroße Hände und stechender Blick, lässt sich zum wiederholten Mal Tsipouro, den griechischen Tresterbrand, eingießen. Er will seinen Kummer hinunterspülen, und der ist groß.

Papadimitriou ist sauer – auf die griechische Feuerwehr und auf die Regierung in Athen. Das Feuer sei im Ort Rovies an der Westküste von Euböa ausgebrochen, 25 Kilometer entfernt von hier. Ein kleines Feuer, in einem offenen, leicht zugänglichen Gelände. Nur ein schwacher Wind habe geweht. Das Feuer in Rovies sei leicht zu löschen gewesen, sagt er. „Es hätte sich niemals so ausbreiten dürfen.“

Wir Dorfbewohner haben unsere Häuser selbst gerettet

Café-Besucher im Ort Milies

Alle Gäste im Café „I Eilikrinia“ nicken. Waldbrände, auch größere, sind die Bewohner durchaus gewöhnt. Was aber hier am 3. August begann und erst nach neun fürchterlichen Tagen endete, bringt sie auf die Palme. Ihr Vorwurf: keine Löschfahrzeuge im Einsatz, keine Löschflugzeuge, keine Hubschrauber, eine unerklärliche Passivität der Feuerwehr statt energischer Brandbekämpfung.

So habe das Feuerinferno tagelang in ganz Nordeuböa wüten können und sich auf einer Strecke von fünfzig Kilometern von der Westküste über das Landesinnere bis hin zur Ostküste ausbreiten können, schimpfen Papadimitriou und die anderen.

Kritik an den Behörden

Und der Klimawandel? Hat der nicht die Feuerkatastrophe verursacht? Die Gäste im „I Eilikrinia“ schütteln die Köpfe. Ja, der Boden sei nach einer Dürreperiode zwar sehr trocken. Im Winter hätten die Behörden aber nichts getan, um Brandherde im Sommer schon früh einzudämmen. Keine Schneisen seien künstlich angelegt, keine Hydranten installiert worden. Die Brandbekämpfung? Ein Desaster.

Stathis Albanis, Imker aus dem Ort Istiaia in Nord-Euböa Foto: Ferry Batzoglou

Ein Tischnachbar erhebt sich. „Wir Dorfbewohner haben unsere Häuser selbst gerettet.“ Gepfiffen hätten sie auf die Anweisungen der Behörden, ihr Dorf so schnell wie möglich zu verlassen. Sie blieben. Seite an Seite hätten sie gegen das Feuer gekämpft. Sogar Gegenfeuer hätten sie gelegt. Als das Feuer diese Schneisen dann erreichte, habe es keinen Brennstoff gefunden und sei erloschen. „So haben wir Milies gerettet“, sagt der Mann.

Den dichten Pinienwald im weiten Umkreis von Milies konnten sie nicht retten. Stathis Papadimitriou hat seine Existenz verloren – auf einen Schlag. Denn Papadimitriou ist Harzsammler. Ein so uralter wie beschwerlicher Beruf.

Das Harz gewinnt er aus dem Pinienbaum. Dafür schlägt er im Baumstamm in senkrechter Richtung Rindenstücke ab. Ab April wiederholt er das alle 18 Tage, insgesamt acht Schnitte pro Saison. Das aus diesen absichtlich herbeigeführten Verletzungen der Bäume hervorquellende Harz wird nach unten geleitet und in einem Plastikbeutel gesammelt.

Das wars. Die nächsten fünfzig Jahre kann hier kein Harz mehr gesammelt werden

Stathis Papadimitriou, Harzsammler

Papadimitriou hat dafür 5.000 Pinienbäume. Im Schnitt gewinnt er pro Baum drei Liter Harz. Seine Jahresproduktion beträgt rund 15 Tonnen. Pro Liter Harz, das unter anderem als Klebstoff, Beigabe zu Wein oder zur Behandlung von Streichinstrumenten verwendet wird, erhält er 30 Cent vom Staat, 25 Cent pro Liter zahlt ihm der Großhändler. Sein Jahreseinkommen beträgt so etwa 8.000 Euro. Nicht viel, doch für Papadimitriou reichte das, um in Milies über die Runden zu kommen.

Das Harz fließt nicht mehr

Nun steht Papadimitrious vor einem seiner Pinienbäume. Die Kiefer ist verkohlt. Der stolze Harzsammler ist jetzt auf Staatshilfe angewiesen, nachdem der Staat beim Brand völlig versagt habe, wie er betont. Papadimitriou sieht für sich und seine Familie schwarz. „Das wars. Die nächsten fünfzig Jahre kann hier kein Harz mehr gesammelt werden.“ Er könne seinen drei Enkelkindern kein Taschengeld mehr geben, sagt er mit Tränen in den Augen.

In Milies lebt das halbe Dorf von der Harzgewinnung. Nordeuböa avancierte mit seinen mehreren Hundert Sammlern zum größten griechischen Produzenten von Harz, das in die ganze Welt exportiert wurde. Bisher.

Auch das Metier von Stathis Albanis steckt wenige Wochen nach der großen Brandkatastrophe in einer Krise. Der 62-Jährige mit grauem Wuschelhaar und Schnauzer biegt mit seinem alten Mitsubishi-Pickup unweit der Stadt Istiaia, 14 Kilometer westlich von Milies, von der Asphaltstraße rechts ab und bleibt vor einem offenen Gelände stehen. „Sehen Sie, dort ist mein Olivenhain.“

Albanis ist Imker. Eigentlich produziert er Pinienhonig. Doch nun schwirren seine Bienen zwischen Olivenbäumen. „Eigentlich haben die Bienen im Olivenhain nichts zu suchen“, sagt er. Doch Stathis Albanis hat keine andere Wahl. Seine Magazinbeuten, die künstlichen Netzhöhlen, in denen die Honigbienen leben, habe er noch aus den Pinienwäldern retten können, bevor das Feuer kam.

Euböa war vor dem Feuer einer der größten Produzentenregionen griechischen Honigs. Albanis, Präsident der Imkervereinigung von Istiaia, zeigt seine Magazinbeuten. Er setzt sich auf einen kleinen Holzstuhl und startet seinen Smoker, die Imkerpfeife. Sie pustet Rauch in die Magazinbeute, um seine Bienen ruhigzustellen. Dann zieht er einen der Rahmen mit den Honigwaben heraus, um sie zu überprüfen. Albanis ist frustriert: „Pinienhonig ohne Pinien? Das geht nicht.“

127.867 Hektar Land sind verbrannt

Die Feuerkatastrophe ist für Nord­euböa nicht nur eine ökonomische Katastrophe. Sie ist ein ökologischer Super-Gau. Laut Schätzungen der griechischen Behörden sind bei dem Inferno in Nordeuböa 51.203 Hektar Land dem Feuer zum Opfer gefallen. In Agia Anna und Istiaia, den beiden betroffenen Gemeinden mit ihren jeweils 18 Ortschaften, verbrannten 77,11 beziehungsweise 62,24 Prozent der Gesamtfläche. Davon waren 74,1 Prozent Wälder.

Griechenland erlebt einen Kata­strophensommer. Laut dem Europäischen Informationssystem für Waldbrände (EFFIS) sind in dem Land im laufenden Jahr insgesamt 127.867 Hektar verbrannt, davon gut 40 Prozent alleine in Nordeuböa. Dies ist landesweit sechsmal mehr als im Schnitt der Jahre 2008 bis 2020. Dabei waren es gar nicht so viel mehr Brandherde: Die Zahl der einzelnen Feuer liegt mit 69 nur etwas über dem Durchschnitt der letzten Jahre mit 46 Feuern pro Jahr. Doch es wurde deutlich mehr Land ­zerstört.

Dabei hatte die Athener Regierung unter dem konservativen Premier Kyriakos Mitsotakis noch am 15. Juni öffentlich versichert, man sei bestens für die diesjährige Waldbrandsaison vorbereitet. Die Vorsorge, das schnelle und effiziente Eingreifen im Ernstfall, sei ihre Maxime. In Euböa hat sich Premier Mitsotakis nach der Feuerkatastrophe noch nicht blicken lassen. Viele Insel­bewohner sagen, er traut sich nicht.

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1 Kommentar

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  • RS
    Ria Sauter

    Für haben hier auch griech. Verhältnisse.



    Die Flutopfer bekommen zwar eine staatstragende Veranstaltung, aber keine finanzielle Hilfe.



    Die Spendengelder liegen auf den Konten und werden nicht verteilt.



    Alles mehr als seltsam.



    Plusminus hat gestern abend darüber berichtet.