Waldbrände in Brasilien: Endlich Feuer unterm Arsch
Brasiliens Präsident Bolsonaro gerät mit seiner umstrittenen Umweltpolitik immer mehr unter Druck. Sogar die Agrarlobby rückt von ihm ab.
Am Dienstag konnte er sich in einem Interview mit der Tageszeitung Folha de São Paulo nicht mehr daran erinnern: „Das habe ich gesagt?“, fragte er und schob hinterher: „Erst soll er [Macron] seine Worte zurücknehmen, dann sein Angebot machen und darauf antworte ich dann“, diktierte er seine Bedingungen. Macron hatte den Brasilianer*innen zuvor öffentlich einen Präsidenten gewünscht, „der dem Amt auch gewachsen ist“. Daraufhin hatte Bolsonaro einen beleidigenden Facebook-Post über Macrons Gattin Brigitte gelikt. Auf die Frage der Journalisten, ob er sich auch bei der Première dame entschuldigen wolle, brach er das Interview brüsk ab.
Soweit die diplomatischen Verwerfungen. Brasilien selbst befindet sich derzeit aus anderen Gründen im Schockzustand: Rauchwolken, die vergangene Woche aus dem Amazonasbecken bis nach São Paulo gezogen waren und dort am helllichten Tag die Sonne verdunkelt hatten, Satellitenaufnahmen von Tausenden von Feuersbrünsten in mehreren Bundesstaaten, Hilferufe der Indigenen, deren Lebensraum in Flammen aufgeht.
Am vergangenen Wochenende gingen in São Paulo, Rio de Janeiro, Brasilia und anderen Großstädten Tausende gegen die Regierung und für die Rettung der Wälder auf die Straße. Dieses Mal sprachen nicht nur bekannte Oppositionelle wie der Sänger Caetano Veloso sich gegen Bolsonaros Umweltignoranz aus, der noch im Juni verkündet hatte, Umweltschutz interessiere doch nur Veganer. Kritik kam auch von konservativen Politikern.
Christine Wollowski ist Mitglied bei weltreporter.net und berichtet seit April 2000 aus Brasilien
João Doria, Gouverneur von São Paulo von der gemäßigt rechten Sozialdemokratischen Partei (PSDB), hatte Bolsonaro noch vor der Stichwahl unterstützt. Jetzt rückt er von ihm ab: „Ich habe in London von europäischen Investoren harte Kritik an der brasilianischen Umweltpolitik gehört. Radikalismus ist kein guter Weg!“ Er und seine Partei stünden stattdessen für Ausgewogenheit. Doria riet dem Präsidenten, sich dem Dialog zu öffnen.
Politischer Dialog ist nichts, womit Bolsonaro sich auskennt. Er zieht es vor, einfache Lösungen anzubieten. Amazonien hatte er als Goldgrube gepriesen, die das Land aus der Krise führen sollte, würde sie nur radikal wirtschaftlich erschlossen. Konsequent hatte er etwa das Budget des Umweltbundesamts Ibama um fast die Hälfte gekürzt und verkündet, die Indigenen wollten nicht wie Tiere im Zoo, sondern in der Stadt mit Zugang zu Internet und Zahnarzt leben. Bergbauunternehmen sollten in indigenen Gebieten operieren dürfen und Schutzgebiete nach Belieben verkauft werden.
Holzhändler, Goldgräber und Großfarmer verstanden die Signale – und das Institut für Weltraumforschung (Inpe) verzeichnete erhöhte Waldrodungsquoten. Der Präsident tat die unbequemen Zahlen als Fälschung ab. Den Leiter des international anerkannten Instituts entließ er. Doch Bolsonaro hatte nicht mit den internationalen Märkten gerechnet, die längst mit Umweltstandards operieren. Die Aktien von Fleischproduzenten fielen in Folge der Brände ebenso wie die Landeswährung: Rindfleisch von Rodungsflächen ist kein Exportschlager.
Die Wirtschaftseinbußen missfallen der Agrarlobby, die den Präsidenten bislang unterstützt hat. Blair Maggi, einer der größten Sojaproduzenten der Welt, warnte im Interview mit der Finanzzeitschrift Valor Económico: „Das brasilianische Agrobusiness hat über Jahre daran gearbeitet, erfolgreich Produktion und Umweltschutz zu vereinen, und damit das Vertrauen der Märkte gewonnen – die Rhetorik von Bolsonaro kann uns auf den Nullpunkt zurückwerfen und das Inkrafttreten des Handelsabkommens zwischen EU und Merosul um Jahre verzögern.“ Marcello Brito, Vorsitzender der Brasilianischen Vereinigung des Agrobusiness (ABA), hält es nur für eine Frage der Zeit, bis Brasilien Ziel internationaler Boykotts wird.
Militäreinsatz gegen Waldbrände
Derzeit zeigen Brasiliens TV-Sender, wie Freiwillige, Militärs und Feuerwehrleute gemeinsam gegen die Flammen vorgehen. Laut Minister Salles befinden sich 44.000 Militärs ständig im Amazonasgebiet und können zu Löscharbeiten eingesetzt werden.
Die eben noch amputierten Umweltinstitute Ibama und ICMBio sollen ebenfalls Hilfe leisten. Finanzminister Paulo Guedes hat Geld für Rettungsmaßnahmen freigegeben. Zwei Löschflugzeuge und ein Hubschrauber sind im Einsatz. Am Dienstag wollte sich der Staatschef mit den neun Regierungschefs der Amazonasstaaten treffen, um die Lage zu besprechen.
Sein Umweltminister Ricardo Salles wurde derweil bei einem Auftritt bei einer Unesco-Veranstaltung zum Klimawandel im brasilianischen Bundesstaat Bahia vom Publikum so nachhaltig ausgebuht, dass er nur wenige Minuten sprechen konnte. Sogar seine Partei distanzierte sich öffentlich von ihm und verkündete, sie habe mit seinen Entscheidungen und Handlungen nichts zu tun.
Eine Meinungsumfrage des Instituts MDA ergab, dass 39,5 Prozent der Befragten die Regierungspolitik für schlecht oder sehr schlecht halten – im Februar waren es noch 19 Prozent. Der Präsident behauptet, er sorge sich nicht um seine Wiederwahl. Er ziehe es vor, vier Jahre lang eine gute Regierung zu machen, als acht Jahre eine schlechte.
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