Wal-Schützer Watson über Gott und Würmer: „Meine Mission ist einfach“
Paul Watsons Leben ist eine Suche. Er fahndet mit einer Flotte auf hoher See nach Walfängern. Wenn er sie findet, macht er ihnen das Leben zur Hölle.
Captain Paul Watson ist kinderleicht zu finden, obwohl ihn Interpol zur Fahndung ausgeschrieben hat. Er befindet sich an Bord seines Flaggschiffs, der „SSS Steve Irwin“, irgendwo vor der neuseeländischen Küste, in internationalen Gewässern. Irgendwie hat er es geschafft, ohne Pass von Deutschland aus den Globus zu umschippern. Für seine Mission: Wale retten. Man kann ihn anskypen, dann ruft er zurück.
taz: Mr. Watson, wie ist die Lage an Bord?
Paul Watson: Sehr gut, ich habe einen ruhigen Morgen. Die japanische Walfangflotte liegt noch in ihren Häfen vor Anker. Wir erwarten sie nicht vor Ende Dezember.
Was machen Sie bis dahin?
Wir halten noch ein paar Manöver ab und üben verschiedene Taktiken. Unsere großen Schiffe liegen noch im Hafen, um Treibstoff zu sparen.
Weihnachten ist nicht so Ihr Ding?
Die letzten neun Jahre war ich um diese Jahreszeit immer hier im Südpolarmeer. Genau genommen habe ich mehr Expeditionen hinter mir als Scott und Amundsen zusammen.
Haben Sie wenigstens einen Truthahn an Bord?
Geboren: 1950, Toronto, Kanada
Leben: Greenpeace-Mitglied Nummer 007, 1977 Gründung von Sea Shepherd (Organisation geht radikal gegen Walfänger vor )
Titel: "Umweltheld des 20. Jahrhunderts" (Time Magazine), eine von "50 Personen, die die Welt retten können" (Guardian), "Ökoterrorist" (Greenpeace)
Flucht: Auf Gesuch Costa Ricas im Mai in Frankfurt festgenommen. Kaution gezahlt, untergetaucht.
Natürlich nicht, wir sind alle Veganer.
Was genau suchen Sie eigentlich da draußen noch?
Meine Mission ist einfach: Wenn der Ozean stirbt, dann sterben wir auch. Wir versuchen die Menschheit vor ihren eigenen Exzessen zu beschützen. Wir überfischen die Ozeane und zerstören unsere eigene Lebensgrundlage.
Sie wollen den Menschen etwa die Augen öffnen?
Wir versuchen einfach, nur so viele Wale wie möglich zu retten. Meine Crew besteht aus 120 Menschen aus 26 Nationen, fast nur Freiwillige. Man kann niemanden für das, was wir hier tun, in Geld bezahlen.
Kann man sich bei Ihnen bewerben?
Klar. Unsere entscheidende Frage lautet: Würden Sie Ihr Leben riskieren, um einen Wal zu schützen? Das müssen die Leute unterschreiben. Wir leben in einer Gesellschaft, in der sich Menschen für alles Mögliche opfern: für Öl im Nahen Osten, für Patriotismus, für die Heimat. Es gibt edlere Gründe.
Haben Sie jemals jemanden verloren?
In 35 Jahren nicht eine einzige Person. Wir hatten nie ernsthaft Verletzte und haben nie jemanden verletzt.
Wann hatten Sie Ihren Moment der Erleuchtung?
1975, bei meinem ersten Einsatz mit Greenpeace. Wir haben eine sowjetische Walfangflotte entdeckt und versucht, sie in Schlauchbooten aufzuhalten. Als sie einen großen, männlichen Pottwal abgeschossen haben, bäumte er sich im Wasser auf. Direkt vor mir. Er hätte mich ohne Probleme umbringen können. Aber er hat sich bewusst dafür entschieden, es nicht zu tun. Er glitt neben uns ins Wasser, und ich blickte ihm in die Augen, kurz bevor er starb. Was ich gesehen habe, war Verständnis. Er hat verstanden, dass wir ihn schützen wollen. Und ich sah Mitleid, nicht für sich selbst, sondern für uns. Dass wir Leben einfach so nehmen, ohne Gründe. Seitdem schulde ich den Walen etwas.
Sie haben diese Geschichte schon oft erzählt. Gehört das zum Marketing, zum Mythos Sea Shepherd?
Das ist nicht einfach nur eine Geschichte. Das ist meine Erfahrung, die mich tief verändert hat.
Sie sind der gute Pirat, der die bösen Jungs jagt, der Rockstar der Ökobewegung.
Ich habe die Rolle nicht gesucht, es ist einfach passiert, weil ich mein ganzes Leben Wale geschützt habe.
Glauben Sie an Gott?
Ich glaube an die prinzipiellen Gesetze der Ökologie. An das Gesetz, nach dem alle Spezies voneinander abhängig sind. Und an das Gesetz der endlichen Ressourcen. Wir brechen jede dieser Regeln jeden einzelnen Tag. Was ich glaube, ist, dass alle Spezies auf diesem Planeten gleich sind.
Sie schocken gerne mit dem Satz: Würmer sind wichtiger als Menschen.
Ja, da werden dann immer alle wütend. Aber Würmer können auf diesem Planeten ohne Menschen leben, aber Menschen nicht ohne Würmer. Wir brauchen Fische, wir brauchen Bienen, die brauchen uns nicht.
Würden Sie eher einen Regenwurm oder einen Menschen retten?
Lassen Sie es mich so ausdrücken: Wenn ich die Wahl zwischen der Ausrottung der Würmer und einem Menschenleben hätte, dann würde ich die Würmer unterstützen.
Retten Sie einen Wal, wenn dafür ein Mensch sterben muss?
Sie können kein Leben retten, indem sie ein anderes nehmen. Ich sehe keinen Vorteil darin, ein Lebewesen zu töten. Ich sehe nur einen Vorteil darin, eines zu beschützen.
Sie hatten in Ihrem Leben wenig Zeit, sich um Ihre Familie zu kümmern. Bereuen Sie das manchmal?
Ich habe eine wunderbare Tochter. Sie ist stolz auf mich, ich bin stolz auf sie.
Aber so eine richtige Heimat haben Sie nicht?
Der ganze Planet ist meine Heimat. Als ich in Frankfurt war, war Frankfurt meine Heimat, jetzt ist es gerade der Ozean hier um mich herum. Ich fühl mich überall wohl.
Und das war schon immer so?
Ich habe nie eine bewusste Entscheidung dazu getroffen. Ich bin in einem kleinen Fischerdorf in Kanada aufgewachsen und habe mit zehn Jahren angefangen, Biber aus Fallen zu befreien. Ich hatte immer Berührung mit dem Ozeanen, mit Walen, Delfinen, mit der Wildnis. Als ich 18 Jahre alt war, hab ich Greenpeace mit gegründet. Da kam einfach alles zusammen.
Können Sie eigentlich noch nach Deutschland zurück?
Schwer. Deutschland hat immer noch meine Pässe beschlagnahmt, einen kanadischen und einen US-amerikanischen.
Sie sind ja auch einfach untergetaucht.
Ich musste mich nach meiner Verhaftung täglich zwei Mal bei der Polizei in Frankfurt melden, weil Costa Rica einen Haftbefehl gegen mich hatte. Im Juli hab ich einen Anruf von einem Unterstützer aus einem deutschen Ministerium erhalten. Der hat gesagt: Wenn du dich am Montag bei der Polizei meldest, wird man dich festnehmen und nach Japan ausliefern. Also bin ich untergetaucht.
Sie saßen eine Woche in einem deutschen Gefängnis. Wie war’s?
Die haben mich gut behandelt, die Aufseher wollten sogar Autogramme haben. Jeder, der in der Geschichte bedeutende Veränderungen bewirkt hat, war im Gefängnis, Gandhi, Mandela …
Sie wollen eine Woche U-Haft mit 27 Jahren Gefängnis in Südafrika vergleichen?
Ich vergleich mich nicht mit Mandela. Aber jemand, der versucht, was zu ändern, muss solche Konsequenzen fürchten.
Wie konnten Sie entkommen?
Wie ich 9.000 Kilometer ohne meinen Pass gereist bin, bleibt meine Sache. Vielleicht muss ich es ja wieder mal machen. Aber ich hatte die Wahl: entweder 250.000 Euro verlieren oder den Rest meiner Tage im japanischen Knast verbringen. Jetzt hat Deutschland das Geld. Sollen die das doch zum Schutz der Wale ausgeben!
Oder in Zeiten der Energiewende wie in Deutschland für Windmühlen?
Von mir aus. Aber vermutlich werden sie es nach Griechenland oder so überweisen.
Sie waren bei Ihrer Festnahme auf dem Weg zu einem Star-Trek-Treffen. Was wollten Sie denn da?
Die Convention war vor der Verhaftung. Jedenfalls waren wir schon auf einer Menge solcher Star-Trek-Treffen. Wir gehen auf diese Veranstaltungen, um Geld zu sammeln. Die letzte hat uns eine Viertelmillion Dollar eingebracht. Aus ganz Hollywood kriegen wir viel Unterstützung.
Sind Sie selbst ein Trekkie?
Meine Tochter ist eine. Sie arbeitet für Microsoft und produziert das Spiel Halo 4.
So ein Ballerspiel?
Ja, die steckt ziemlich drin in diesen Science-Fiction-Sachen. Ach, und William Shatner will übrigens auf einem unserer Schiffe anheuern.
James T. Kirk von der „Enterprise“ auf einem der Sea-Shepherd-Schiffe?
Ja, er würde gerne Kapitän werden.
Na dann: Live long and prosper!
Danke schön. Sie auch!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Rücktrittsforderungen gegen Lindner
Der FDP-Chef wünscht sich Disruption
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht