piwik no script img

Wahltag in LibyenNach der Stimmabgabe erschossen

Unbekannte töten am Tag der Parlamentswahl eine Anwältin und Frauenrechtlerin. Salwa Bughaighis war eine wichtige Stimme der Zivilgesellschaft.

Salwa Bughaighis bei einem Besuch in Tripolis. Bild: AP

TRIPOLIS taz | Nach der Parlamentswahl in Libyen ist am Mittwochabend die bekannte Anwältin Salwa Bugaighis erschossen worden. Sie war gerade von ihrem Wahlbüro in einer ruhigen Villengegend in Bengasi nach Hause zurückgekehrt und hatte ihre Stimmenabgabe auf Facebook gepostet. „Für ein demokratisches Libyen“, schrieb sie, als fünf Maskierte in Militärjeeps vorfuhren, in das Haus eindrangen und Bughaighis in den Kopf schossen. Sie starb kurz darauf im Krankenhaus; ihr Mann wurde entführt.

Bughaigis hatte sich 2011 an der Revolution gegen Muammar al-Gaddafi beteiligt. Wegen ihres Eintretens für Frauenrechte und einen Rechtsstaat sowie ihrer Kritik an der Willkür der Milizen war sie eine der Galionsfiguren der libyschen Zivilgesellschaft. Bugaighis hatte sich auch jahrelang für die von Gaddafi eingesperrten Islamisten eingesetzt und bereits mehrere Morddrohungen erhalten.

„Nach dem Mord an dem Anwalt Abdulsalam Mismari und dem Chefredakeur Muftha Bu-Zeid ist damit die dritte Stimme für einen zivilen Staat verstummt, die Extremisten haben gewonnen“, sagt ein sichtlich erschütterter Wahlhelfer in Tripolis.

Dabei hatte der Wahltag ruhig begonnen. Trotz Boykottdrohungen, Unruhen in der Wüstenmetropole Sebha und Kämpfen in Bengasi gelang es der Wahlkommission HNEC, fast alle Wahlbüros zu öffnen. Eine Ausnahme war die 200 Kilometer östlich von Bengasi gelegene Stadt Derna, die seit vergangenem Jahr von Islamisten kontrolliert wird.

Trotz einer SMS-Registrierung hatten sich allerdings nur wenige Bürger auf die Wahllisten setzen lassen. Die Frustration über die Machtspiele der Milizen und Politiker war zu groß. 650.000 von 1,5 Millionen Registrierten gaben bis zum Abend ihre Stimme ab.

In Bengasi versuchte das Militär, mit Patrouillen den Bürgern das Gefühl von Sicherheit zu geben. Als sich ein Armeekonvoi der Miliz Raf Allah Sahati näherte, vermuteten die Islamisten einen Angriff. Mindestens drei Tote und 20 Verletzte wurden nach dem anschließenden Gefecht in das Jalal-Krankenhaus eingeliefert. Noch während die Bomben der Luftwaffe von Exgenerals Chalifa Hafter auf die Kaserne der Miliz fielen, stoppten die Attentäter ihre Jeeps vor dem Haus von Salwa Bugaighis.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Die Zivilgesellschaft in Libyen hat kaum noch Atemfreiheit, für die libysche Bevölkerung ist heute bereits ein Einkauf lebensgefährlich. Verschleppung, Folter und Mord grassieren, das Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Human Rights Watch) gegen die von Schwarzen bewohnte Stadt Tawergha geht weiter, Tag für Tag. Nun wurde eine weitere Stimme der Zivilgesellschaft ausgelöscht.

     

    Wie bizarr wirkt da das folgende Zitat der grünen Spitzenpolitikerin Marieluise Beck, mit dem sie den NATO Einsatz in Libyen feierte:

     

    " Ich bin erleichtert, dass die Weltgemeinschaft aus der Geschichte von Ruanda und Srebrenica gelernt hat und ihre Schutzverantwortung im Falle von Verbrechen gegen die Menschlichkeit wahrnimmt. Selbst Länder wie Russland und China stellten sich dem nicht mehr entgegen. Damit folgen die Vereinten Nationen ihrem eigentlichen Gründungskonsens, nämlich der Schutzverantwortung für bedrohte Völker als Lehren des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust. "

     

    Seither haben alle bekannten Menschenrechtskrieger und -kriegerinnen, auch Marieluise Beck, die Menschen in Libyen in ihrer täglichen Todesangst allein gelassen. Niemand von ihnen ließ sich in Tawergha blicken (siehe hier HRW zur aktuellen Menschenrechtskatastrophe in Libyen und dem Verbrechen in Tawergha: http://www.hrw.org/world-report/2014/country-chapters/libya)

     

    Das Beispiel Libyen zeigt (zusammen mit den Beispielen des Irak und Syriens), dass die auch von den Grünen angenommene Politik des Regime-Wechsels durch Krieg verfehlt ist. Das einzige, was diese Politik für die Menschenrechte "erreicht", ist mehr Leid und mehr Tod. Gleichzeitig geht man dann hier ausgerechnet gegen diejenigen Menschen vor, die sich zum Schutz ihres Lebens zu uns flüchteten ( siehe aktuelle Vorgänge in Berlin). Bomben werfen in anderen Ländern, aber die Besetzung einer Schule hier nicht aushalten? Dies sind falsche Prioritäten.