piwik no script img

Wahlkampf und KlimaIn der Freiheitsfalle

Heike Holdinghausen
Kommentar von Heike Holdinghausen

Es waren Minister von FDP und Union, die mit Verboten erfolgreiche Umweltpolitik anstießen. Daran sollten die Parteien heute wieder anknüpfen.

Schwefel kommt immerhin kaum noch aus den Schornsteinen der Stahlwerke in Duisburg Foto: Frank Augstein/ap

D as wird die entscheidende und giftigste politische Auseinandersetzung der nächsten Jahre: Wie weit darf und muss der Staat für die ökologisch notwendige „große Transformation“ in Wirtschaft und Gesellschaft eingreifen? Wird es reichen, wenn der Gesetzgeber in grüne Infrastruktur investiert, Bürokratie um ihre Errichtung abbaut und Forschung fördert? SPD, Union und FDP sehen das so, Linke und Grüne nicht. Sie wollen auch zum Mittel des Ordnungsrechts greifen – also zu Verboten.

Die Aufregung, die die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock mit ihrer Feststellung im Triell auslöste, jedes Verbot sei auch ein Innovationstreiber, zeigt, wie oberflächlich die Debatte geführt zu werden droht, in Texten à la „Warum Verbote ein Irrweg sind(Welt) oder Twitter-Botschaften wie „#Freiheit ist der #Innovationstreiber“ von FDP-Chef Christian Lindner. Dabei ist Baerbock natürlich nicht in eine „Verbotsfalle“ getappt.

Sie hat nur ein wichtiges Instrument aufgezählt, ohne das Klima- und Artenschutz nicht zu machen ist. Erinnern wir uns: Was tat Hans-Dietrich Genscher, Innenminister der sozialliberalen Koalition, als Fabriken in den 70er Jahren Menschen und Umwelt krank machten? Ließ er die Unternehmen „einfach mal machen“, damit sie weniger Schadstoffe emittieren? Entfesselte er ihre Innovationskraft durch Steuererleichterungen oder siedelte er am Waldrand innovative Firmen an?

Nein. Er hat den Unternehmen verboten, weiter Schwefel durch ihre Schlote zu pusten. Genscher brachte das Bundes-Immissionsschutzgesetz auf den Weg, als BImSchG heute noch lebendig. Vor 50 Jahren wurde der Liberale für sein Gesetz ordentlich verprügelt, von der Umweltbewegung, die es für zu lasch hielt, vor allem aber von der Industrie. Sie ist dann aber nicht wie angekündigt untergegangen, sie hat Filter in ihre Schornsteine eingebaut – das entscheidende Mittel gegen das Waldsterben der 80er.

Filter und Recylingverfahren

Und die deutsche Anlagentechnik ist auch infolge des BImSchG heute ein Exportschlager. In den 90er Jahren sah sich Umweltminister Klaus Töpfer (CDU) einer Müllkrise gegenüber. Auf Gift und Gestank in Böden und Gewässern reagierte er: mit einem Verbot. Mit seiner „Technischen Anweisung“ legte er die Grundlage für das spätere deutsche und dann auch europäische Deponieverbot. Die Unternehmen der Abfallbeseitigung konnten ihren Müll nicht mehr einfach ins nächste freie Tal kippen.

Die Branche reagierte mit innovativen Techniken und Dienstleistungen. Heute bieten Sammel-, Sortier- und Verbrennungsanlagen im Inland Arbeit und sind Exportschlager. Dass der Sektor heute nicht mehr funktioniert, weil er nicht klug politisch gesteuert wurde, steht auf einem anderen Blatt. Die Recyclingbranche ist auch Beweis dafür, dass Freiheit, Erfindergeist und der Markt allein Innovationen eben nicht durchsetzen.

Das zeigt etwa der Umgang mit kritischen Rohstoffen wie Seltenen Erden oder Indium: Als die Europäer vor einigen Jahren merkten, dass die günstige und sichere Versorgung mit diesen Rohstoffen für Zukunftstechnologien nicht gewährleistet ist, starteten zahlreiche politische Initiativen; in Forschungsprojekten wurden Recyclingverfahren entwickelt und Konzepte für geschlossene Lithium-Ionen-Batteriekreisläufe, Rohstoffpartnerschaften abgeschlossen etc. Geblieben ist davon wenig.

Primäre Rohstoffe aus China oder Afrika einkaufen, sie verwenden und anschließend wegschmeißen ist besser für die Unternehmensbilanz als nachhaltige Konzepte. Weil es der Großen Koalition an Mut fehlte, den Umgang mit Rohstoffen klar zu regeln, ist das Problem „kritische Rohstoffe“ heute so groß wie ehedem. Erfolgreiche Umweltpolitik – und erst recht die notwendige große Transformation – braucht „Push- und Pull-Faktoren“, Anreize und Verbote. Für die Verkehrspolitik etwa heißt das:

Verbote und Anreize

Die Bür­ge­r:in­nen brauchen gute neue Angebote, damit sie mit privaten, öffentlichen und geteilten Verkehrsmitteln schnell und bequem ihr Ziel erreichen. Das ist der Push-Faktor. Und Verbrennungsmotoren müssen verboten werden – mit langen Übergangszeiten. Schon ein fernes Verbot weist den Unternehmen den Weg. Das ist der Pull-Faktor.

So könnten wir daran teilhaben, wie neue Dienstleistungsangebote, Technologien und Konzepte entstehen, und wie die Autoindustrie auf ein für den Standort gesundes Maß zurückschrumpft und klimaneutrale Fahrzeuge herstellt. Nur eines von beiden – nur Anreize oder nur Verbote – reicht nicht. Wieweit die SPD bereit ist, für den notwendigen Klimaschutz auch Verbote einzusetzen, ist schwer abzusehen, weil der Ich-tu-niemandem-weh-Kurs von Olaf Scholz außerhalb des Wahlkampfs in der Partei nicht unbedingt mehrheitsfähig ist.

Mit Christian Lindner, der in den Hochzeiten des Dieselskandals ein „Moratorium zur Aussetzung der EU-Luftqualitätsrichtlinie“ forderte – Motto: Hält die Industrie die Gesetze nicht ein, schaffen wir halt die Gesetze ab –, ist kaum ein Staat der Zukunft zu machen, genauso wenig wie mit einer CDU, deren starker wirtschaftsliberaler Flügel „Klimakrise“ für Geschwätz hält. Aber jeder kann dazulernen.

Union und FDP müssten sich nicht einmal neu erfinden, sondern sich nur an die eigenen umweltpolitischen Vorbilder Genscher und Töpfer erinnern und an deren Erfahrung, dass Umweltkrisen das Ordnungsrecht erfordern. Die Erzählung von der „grünen Verbotspartei“ behindert diesen Erkenntnisprozess. Solange es SPD, Konservativen und Liberalen gelingt, Verbote als „grüne Zumutung“ darzustellen und damit die Konkurrenz einzustampfen, versperren sie sich die Sicht auf ihre eigene Geschichte.

Das ökologisch interessierte Publikum sollte ihnen das nicht durchgehen lassen. An eigene umweltpolitische Erfolge gilt es für SPD, Union und FDP anzuknüpfen, wenn sie wirksame Klimapolitik machen wollen. Und das, so war den Fernsehdebatten zu entnehmen, wollen sie doch.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Heike Holdinghausen
Redakteurin für Wirtschaft und Umwelt
Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • Den Anspruch: "Daran sollten die Partein wieder anknüpfen" ... halt ich selbst für etwas naiv und oberflächlich.

    Klar sollten sie das, nicht erst seit heute oder morgen ...



    Ich finde, manche Leute sehen nicht die bewusste inkonsequenz ud heuschelei die von den reaktionären ideologien ausgeht!



    Die reaktionäre haltung in der wirtschaftsfrage und leitkultur zwingt die parteien von cdu - spd sich eben sozial inkonseuqent, ja sogar undemokratisch zu verhalten, wenn es um gewisse themen und ganzheitliche politik geht und die bevorzugung des allgemeinwohls vor dem wohl der führenden wirtschaftsmächte.

    anstatt also über mögliche verbote und innerparteiliche veränderungen zu diskutieren, sollte man NOCH MEHR die inkonsequente haltung bestimmter ideologien herausstellen, um endlich die leute und zwar alle leute dazu zu bewegen, sich etwas mehr zu bewegen und andere ideologien, sozialere, demokratischere und wissenschaftlichere ideologien als alternative zu sehen.



    durch ein schönreden der permanenten inkonsequenz und einen gutgemeinten anspruch an jene, die eben alles dafür tun, die soziale und erkenntnistheoretische bewegung auszubremsen, wird nicht viel passieren was ohnehin schon passiert.

    und es passierte vor allem, weil wissenschaftler und aktivisten wie greenpeace in den letzten jahrzehnten mit blut und schweiß dafür gekämpft und gearbeitet haben, im gegensatz zu den reaktionären, das die masse endlich weiß, welchen schaden die neoklassische ökonomie und andere reaktionäre ideologien der gesellschaft antut.

    vor allem daraufhin, auf not und verderb, wurden die politiker aktiv!



    nich weil sie plötzlich jemand, einer von millionen, dazu überredet hat!



    sondern durch unleugbare mindbombs und unwiederlegbare wahrheit, die sie nicht mehr unterdrücken konnten.

    und das betrifft nicht nur das klima. ein unding, das erst die welt an den rand des kollpases getrieben wird und selbst dann, weigern sich manche die wahrheit zu sehen ... auch aus inkomptenz!

  • "An eigene umweltpolitische Erfolge gilt es für SPD, Union und FDP anzuknüpfen, wenn sie wirksame Klimapolitik machen wollen. Und das, so war den Fernsehdebatten zu entnehmen, wollen sie doch." - Also ich hab den Fernsehdebatten keinesfalls entnehmen können, dass "sie" (insbesondere Union und FDP) wirksame Klimapolitik machen wollen. Sie glauben lediglich, das "ökologisch interessierte" Publikum mit schwammigem Geschwurbel verschaukeln zu können. Schlimm ist nur: Das Geschwurbel zieht die Ansprüche runter auf ein schier unerträgliches Maß.

  • Letzter Satz "Und das, so war den Fernsehdebatten zu entnehmen, wollen sie doch."



    Daran müsste man halt noch glauben... anstatt neben Verbotspartei-Anwürfen übergangslos den Umschwung auf glorreiche eigene Akteure der eigenen Partei CDU gefallen zu lassen, weil bspw. Moderator geschickt das Thema wechselt.

    Der Artikel ist wirklich gut. Würde sich für Frau Baerbock gut als Argumentationshilfe gegen die politischen Kontrahenten im Wahlkampf eignen.

  • Wieder einmal ein gelungener Artikel - mir gefällt zudem sehr, dass vom "Arten- und Klimaschutz" die Rede ist. Erst genanntes Thema ist nämlich ebenfalls eines, was für uns Menschen brandgefährlich ist. Es wird Zeit, dass das auch vermehrt erklärt und benannt wird.

  • "Und die deutsche Anlagentechnik ist auch infolge des BImSchG heute ein Exportschlager."

    Blöd nur, nicht bei uns! schon vor über 10 Jahren war mal einer von Mühlheim im TV der sagte, schaun sie, wir haben 200LKW für Müll und 200 für Grüner Punkt und jeweils 2 zu 90% baugleiche Sortieranlagen. Technisch benötigen wir das duale System schon lange nicht mehr. Alles in eine Tonne, einen LKW, eine Sortieranlage!

    Aber das alte System kostet den Bürger jährlich Milliarden! Dafür kann man da schön altgediente Parteisoldaten Endlagern.

    Was mal progressiv begonnen haben mag, ist heute eine korrupte, verbürokratesierte Halbstaatliche Industrie, an der niemand ein Interesse hat was zu ändern.

    Wenn wir mal weltweit führend waren, sind wir das heute sicher nicht mehr.

  • Die FDP ist heute nicht viel mehr als der parlamentarische Arm der oberen 1%. Bezeichnend ist, dass diese Partei die paar Kröten, die ein Hartz-IV-Empfänger erhält, für "Leistungslosen Wohlstand" hält (und Erhöhungen immer bekämpft hat), aber leistungslosen REICHTUM durch eine möglichst niedrige oder gar abgeschaffte Erbschaftssteuer nach Kräften fördert.



    Und der genannte Klaus Töpfer hat einen Lernprozess durchlaufen, der hatte schließlich vorher mal - im Ganzkörper- Neopren - den Rhein durchquert, um zu "beweisen", dass der Fluss sauber ist