Wahlkampf nach dem TV-Duell: Ein verletzter Mann
Offiziell lobt die SPD Martin Schulz über den grünen Klee, doch in der Partei kursieren bereits Notfallpläne. Welche Chancen hat er noch?
Das Video, das die bayerische SPD auf Facebook gepostet hat, zeigt einen verletzten Mann. Schulz, die Hemdsärmel hochgekrempelt, wirkt, als rede er sich eine hübsche Portion Frust von der Seele. Er weiß, dass sein Auftritt bei dem von vier TV-Sendern übertragenen Duell hinter den riesigen Erwartungen zurückblieb. Schulz wirkte in dem Korsett des minutiös geplanten Formats unsicher und angespannt. Manchmal verhaspelte er sich, suchte sekundenlang nach Wörtern. Das berühmte Momentum, der magische Augenblick zugunsten der SPD, blieb aus.
War’s das jetzt mit seinen Ambitionen fürs Kanzleramt? Und was hat die SPD für die entscheidenden Wochen bis zur Wahl am 24. September noch in petto?
Nach den 90 Minuten am Sonntagabend war klar: Schulz ist der erste SPD-Kandidat, der gegen die rhetorisch untalentierte Merkel nicht als Gewinner gilt. In Blitzumfragen von ARD und ZDF lag Merkel am Sonntagabend vorn – allerdings maßen die Forschungsinstitute Infratest Dimap (ARD) und Forschungsgruppe Wahlen (ZDF) sehr unterschiedliche Werte. Nach ARD-Angaben fanden 55 Prozent der Befragten Merkel überzeugender, nur 35 Prozent sagten das über Schulz. Im ZDF war es viel knapper: Hier fanden 32 Prozent der Befragten, dass Merkel sich besser geschlagen habe; 29 Prozent sagten das von Schulz. Für 39 Prozent der Befragten gab es keinen Unterschied.
„Meinungskorridor der Großen Koalition nie verlassen“
Doch selbst eine knappe Niederlage ist für die SPD fürchterlich. Die Parteistrategen im Willy-Brandt-Haus hatten sich von dem Duell eine neue Dynamik im Wahlkampf erhofft. Schließlich schwächelt die Sozialdemokratie seit Monaten, sie liegt in Umfragen gut 14 Prozentpunkte hinter Merkels Union. Schulz musste also gewinnen, während im Merkel-Lager auch ein Unentschieden als Erfolg gegolten hätte. Die SPD-Träume sind nun perdu.
Martin Schulz habe während des TV-Duells den Meinungskorridor der Großen Koalition nie wirklich verlassen, sagt Bernd Gäbler, Professor für Journalistik und Ex-Chef des Grimme-Instituts. Statt das Publikum zu überzeugen, habe er sich detailreich an der Kanzlerin abzuarbeiten versucht. „Sein realistisches Ziel konnte nur lauten, die eigenen Reihen davon zu überzeugen, dass das Rennen noch nicht gelaufen ist.“ Das habe er verfehlt, er habe die Basis nicht neu für einen energischen Schlussspurt entflammt.
Andere Rückmeldung vom Straßenwahlkampf
Die gesamte SPD, das gehört zum Spiel, lobte am Montag ihren Kanzlerkandidaten über den Klee. „Bärenstarker Martin Schulz!“, twittern die SPD-Rechten vom Seeheimer Kreis euphorisch. „Martin Schulz war inhaltlich stark, authentisch und leidenschaftlich“, sagt der linke SPD-Bundesvize Ralf Stegner. Heiko Maas, der Justizminister, betont, das Duell werde Schulz und der gesamten SPD Rückenwind geben. Ein schlichtes „Weiter so“ der Kanzlerin reiche nicht. Auf Facebook verbreitet die SPD ein Foto von einem lächelnden Schulz mit erhobenem Daumen. „Das war Kanzlerformat!“
Doch hinter dem verzweifelten Selbstlob stellen sich auch Sozialdemokraten bange Fragen: Hat Schulz überhaupt noch eine Chance, den Trend zu drehen? Das TV-Duell war ein bedeutender Termin, das einzige direkte Aufeinandertreffen von Merkel und Schulz. Ein solches Highlight gibt es nicht mehr in den verbleibenden 19 Tagen. Fast dramatisch für den SPD Wahlkampf ist eine Zahl, die auch Infratest Dimap ermittelte. Bei jenen, die noch nicht wissen, wen sie wählen, neigten 48 Prozent zur Kanzlerin, nur 36 Prozent zu Schulz. Die Unentschlossenen sind eigentlich die letzte Hoffnung der SPD.
Das Verrückte ist, dass viele SPDler, die täglich an Ständen stehen oder an Haustüren klingeln, eine ganz andere Rückmeldung bekommen, als es die miesen Umfragewerte nahelegen. Ihre Veranstaltungen sind voll, die Leute fragen interessiert nach, sogar im traditionell für die SPD problematischen Osten, berichtet eine Wahlkämpferin. „Wir müssen in unserem Wahlkampf nichts ändern“, sagt der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach. Auf der Straße und an der Haustür zeige sich, „dass die Leute Gerechtigkeit interessiert“. Auch Schulz spricht bei seiner Deutschland-Tour oft vor berstend vollen Marktplätzen. Allein, der Zuspruch auf der Straße zahlt sich bisher nicht aus. Viele SPDler lässt diese Kluft ratlos zurück.
Die Strategie der SPD: die einen so, die anderen so
Nun müsse man sich auf eigene Schwerpunkte fokussieren, sagen SPD-Strategen. Bildung, Rente, Arbeit, bezahlbare Wohnungen, all das, was normale Leute wirklich interessiert. Dass wichtige SPD-Themen bei dem Duell komplett fehlten, ärgert viele Sozialdemokraten. „Leider kamen unsere Themen zu kurz“, sagt Bundesvize Stegner. „Schon seltsam, dass Bildungs- und Sozialpolitik keine Rolle spielten.“ Das Problem an der geplanten Zuspitzung ist: Genau das erzählen Sozialdemokraten schon seit Wochen, der Erfolg ist überschaubar.
Auch taktische Rettungspläne kursieren. In Umfragen schimmert immer deutlicher die Möglichkeit einer schwarz-gelben Koalition auf. Schwarz-Gelb sei das Gegenteil sozialer Politik, sagt ein wichtiger Sozialdemokrat – viele Leute erinnerten sich noch an das Desaster zwischen 2009 und 2013. Vor dieser Koalition müsse man die Leute warnen. Das Problem sei aber, dass eine Anti-Schwarz-Gelb-Strategie schnell verzagt wirke, weil es dann nicht mehr um eigene Stärken gehe. „Die Warnung vor Schwarz-Gelb müssen wir fein dosieren.“ Lauterbach wiederum rät von dem Plan ab. „Die Leute interessieren sich nicht für Koalitionsspekulationen.“
Die einen sagen so, die anderen so. Das beschreibt die Strategie der SPD im Moment ganz gut.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren