Wahlkampf in der Türkei: Ehestifter und Uhrenbremser

Um die Wahl zu gewinnen, verspricht die türkische Regierung Liebe und hält die Zeitumstellung zurück. Kann das funktionieren?

Zahlreiche Bräute und Bräutigame sitzen an Tischen

Unterstützung für heiratswillige Singles: Massenhochzeit in Ankara, organisiert von der Stadt Ankara. Foto: reuters

Kurz vor Wahlen kommen Politiker auf die abstrusesten Ideen, um Wähler auf sich aufmerksam zu machen. Meistens geht es um Steuern. Oder potenzielle Koalitionspartner. Man denke an eine hessische SPD-Spitzenkandidatin, die eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei öffentlich ablehnte, sich aber dann irgendwie doch von ihr wählen lassen wollte.

Viel schräger, aber womöglich erfolgreicher macht man es in der Türkei. Dort kündigte Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu kürzlich an, seine Partei werde im Falle eines Wahlsieges am 1. November berufstätigen Singles bei der Suche nach einem Ehepartner helfen. Zudem wolle man 20 Prozent auf den Betrag, den Eltern für die Hochzeit ihrer Kinder sparten, drauflegen.

Davutoğlu, Vorsitzender der konservativ-islamischen Regierungspartei AKP, ging abschließend voll auf Schmusekurs: „Kann man so einen Staat nicht nur lieben? Ist es nicht eine Ehre, Bürger eines solchen Staates zu sein?“

Oh ja. Vom Staat derart perfekt organisierte Vereinbarkeit von Beruf und Familie, davon können wir rückständigen Europäer nur träumen. Tatsächlich hat die AKP, die Frauen auch schon mal das Lachen verbieten wollte, solch familienpolitische Innovationen inzwischen bitter nötig. Umfragen deuten darauf hin, dass sie die absolute Mehrheit wieder verfehlen könnte.

Das ist insofern ärgerlich, als sie extra Neuwahlen organisiert hatte, nachdem es bei der letzten Parlamentswahl im Frühsommer auch schon nicht geklappt hatte mit der Alleinherrschaft in der Nationalversammlung – was Präsident Erdoğan seinerzeit als „Fehler“ bezeichnet hatte, den die Wähler nun „korrigieren“ sollten.

Zwei Stunden schneller als die anderen

Nun kommt ein weiterer Coup aus Ankara: Einfach mal die Zeit anhalten. Anstatt wie üblich auf die Winterzeit umzustellen, verschob die türkische Regierung die Zeitumstellung um zwei Wochen – bis nach der Wahl. Hat Erdoğan jetzt auch Superkräfte? Energieminister Ali Rıza Alaboyun erklärte, auch das sei nur zum Besten der Wähler: Gerade im (derzeit von Unruhen erschütterten) Südosten des Landes werde es früh dunkel. Bei Tageslicht könne man die Sicherheit der Wahlen besser gewährleisten.

Alles für das Volk, kein politisches Kalkül? Bestimmt nicht. Dass die Türkei den EU-Ländern nun nicht mehr eine, sondern sogar zwei Stunden voraus ist, dürfte gerade ihrem Präsidenten diebische Freude bereiten. So kann er Berlin und Brüssel noch mal so richtig zeigen, wo der Hammer hängt – in seinem schicken Palast in Ankara (1.100 Zimmer, eine halbe Milliarde Euro teuer – und kürzlich zum Schwarzbau erklärt, aber wen interessiert das schon?).

Man stelle sich das kurz vor: Während Europa noch friedlich schlummert, macht Erdoğan auf seinem Hubschrauberlandeplatz zackig ein bisschen Morgengymnastik. Dann lässt er sich in seinen Thronsessel plumpsen, ein Telefon reichen und ruft in Brüssel an: „Huch, hab ich euch geweckt? Das tut mir aber leid. Ich wollte nur kurz ein paar Kontodaten durchgeben.“

Während Europa noch schlummert, macht Erdoğan zackig ein bisschen Morgengymnastik.

Die Türkei verlangt nämlich drei Milliarden Euro von der EU, wenn sie ihr die Flüchtlingskrise vom Hals schaffen soll, indem sie die aus Syrien fliehenden Menschen weiterhin zu einem Großteil selbst versorgt. Die EU überlegt offiziell noch, bedankt sich bei Erdoğan für seine freundliche Bereitschaft aber schon mal, indem sie einen kritischen Bericht über seinen Umgang mit Freiheits- und Menschenrechten bis nach den Wahlen unter Verschluss hält. Auch die Beitrittsverhandlungen will man fix wieder aufnehmen, nachdem Merkel und ihre Verbündeten in der EU die Türkei seinerzeit gar nicht schnell genug von der Fußmatte schubsen konnten.

Die plötzliche Beliebtheit im Westen könnte der AKP auch bei den Wahlen einen Vorteil verschaffen. Mit den neuesten Spinnereien ist sie aber vielleicht zu weit gegangen: Unter dem Hashtag #saatkac (Wie spät ist es?) macht sich die twitternde Türkei über Uhrenbremser Erdoğan lustig.

Sofern sie noch die technischen Möglichkeiten zur freien Meinungsäußerung im Netz hat: Bei manchen Smartphones funktioniert offenbar unter anderem diese App nicht mehr, stellt man sie auf die neue Regierungszeit ein. Das ist natürlich ein Versehen.

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