Wahlkampf in Schleswig-Holstein: Wohin geht’s nach Jamaika?
Themen der Weltpolitik bestimmen den Wahlkampf in Schleswig-Holstein. 80 Prozent der Wahlberechtigten sind mit der Ampel-Koalition zufrieden.
„Ich habe die Power, auch für die nächsten fünf Jahre Ministerpräsident zu sein“, sagte Daniel Günther, nachdem die CDU ihn Anfang März erneut zum Spitzenkandidaten machte. Seit 2017 regiert der 48-Jährige mit Grünen und FDP – und dieses Jamaika-Bündnis funktioniert unerwartet reibungslos.
Wenn die Regierungsparteien verschiedener Meinung sind, kommunizieren sie das offen. Abgestimmt wird getreu dem Koalitionsvertrag. Versuche der Opposition, Keile in das Bündnis zu treiben, ignorierten die Jamaikaner:innen fünf Jahre lang einigermaßen gelassen.
Das gefällt der Bevölkerung offenbar: Fast 80 Prozent der Wahlberechtigten sind laut einer Umfrage von Infratest Dimap zufrieden mit der Regierung. Die CDU landet in diesem Trend mit 33 Prozent vorn, Grüne und SPD stehen bei je 20 Prozent, gefolgt von der FDP mit neun und der AfD mit sechs Prozent.
Die Partei der Dänischen und Friesischen Minderheit (SSW), die von der Fünf-Prozent-Klausel befreit ist, würde mit rund vier Prozent in den Landtag einziehen. Die Linke, die zeitweise bei vier Prozent stand, hat nach neueren Umfragen wohl keine großen Chancen. Die AfD bleibt stabil, trotz des Streits in der Partei, dem Ausschluss und Austritt von Abgeordneten der Landtagsfraktion.
Die SPD könnte hinter den Grünen landen
Würden sich die Trends bestätigen, hätten im Vergleich zu 2017 vor allem die Grünen gewonnen. Die CDU, die traditionell in Schleswig-Holstein stark ist, baut ihren Vorsprung leicht aus. Die FDP lag in Schleswig-Holstein meist über dem Bundesschnitt, unter anderem wegen der Beliebtheit des langjährigen Fraktionschefs Wolfgang Kubicki. Der sitzt inzwischen im Bundestag und machte Schlagzeilen, weil er gegen Coronaregeln verstieß.
In Schleswig-Holstein rutscht die Partei in den Umfragen ab. Der FDP-Spitzenkandidat und heutige Wirtschaftsminister Bernd Buchholz bezeichnete beim liberalen Landesparteitag die neun Prozent für seine Partei als „ausbaufähige Position“. Sein Ziel ist klar: „Wir würden gerne mit Daniel Günther weiterregieren.“
Doch regieren wollen auch andere. Die heutige Finanzministerin Monika Heinold (Grüne) will Ministerpräsidentin werden. Auch Thomas Losse-Müller, Spitzenkandidat der SPD, setzt auf Sieg. „Mit den aktuellen Umfragen sind wir natürlich nicht zufrieden“, sagte er der taz. Seine Partei, die 2017 auf 27 Prozent kam, hätte nach jetzigem Stand am stärksten verloren und könnte hinter den Grünen landen.
Losse-Müller sieht es gelassen: Der Krieg lenke von Landesthemen ab, viele Wähler*innen würden sich vermutlich erst kurzfristig entscheiden, sagt der Neu-Sozialdemokrat, der früher den Grünen angehörte und unter dem SPD-Ministerpräsidenten Torsten Albig Chef der Staatskanzlei war. Die Nähe zwischen SPD und Grünen dürfte Daniel Günther beschäftigen. Denn auch zu Albigs Regierungszeit war die CDU die stärkste Kraft, es half ihr nur nichts gegen die Mehrheit aus SPD, Grünen und SSW.
Die stärkste Partei erhalte nicht automatisch den Ministerpräsident*innenposten, sagte Christoph Vogt, Fraktionsvorsitzender der Liberalen im Landtag, dem Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlag. Dank des SSW seien in Schleswig-Holstein „so viele Bündnisse denkbar wie wohl nirgendwo anders in der Republik“.
Die Debatten um die Ressourcen verschärfen sich
In den vergangenen Jahren bestimmte Corona die Politik. Schleswig-Holstein überstand die Pandemie vergleichsweise gut und lockert ab dem 20. März viele Einschränkungen. Unter dem Eindruck des russischen Angriffs auf die Ukraine entwickelt sich die Frage nach der Energieversorgung zum heißesten Thema des Wahlkampfs.
Allerdings drehten sich im Wind-Export-Land Schleswig-Holstein schon länger viele Debatten um den Konflikt zwischen fossiler und erneuerbarer Energie, und inzwischen wetteifern CDU, SPD, Grüne und FDP darum, wer am meisten und schnellsten Windkraft ausbauen will.
Doch weil auch in Schleswig-Holstein der Boden knapp wird, verschärfen sich die Debatten um die Ressourcen: Wohngebiete oder Felder, Wälder oder Moore? Sollen Einfamilienhäuser auf dem Land oder Wohnungen in der Stadt entstehen? Wie sieht der Verkehr der Zukunft aus?
Der Ukraine-Krieg befeuert einen innerparteilichen Zwist der Grünen um ein Terminal für Flüssiggas in Brunsbüttel: Der grüne Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat sich darüber mit dem CDU-Ministerpräsidenten Günther verständigt, die grüne Parteibasis stimmte gegen das Terminal, und Monika Heinold sucht nach Kompromissen zwischen beiden Positionen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Wirkung der Russlandsanktionen
Der Rubel rollt abwärts
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Rauchverbot in der Europäischen Union
Die EU qualmt weiter
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“