Wahlkampf in Frankreich: Die falsche Strategie
Mit Argumenten lässt sich der Rassemblement National nicht bekämpfen. In der Opferrolle fühlen sich die Rechtsextremen pudelwohl.
Dank seiner längeren Erfahrung und seiner Bildung in den Kaderschmieden der Republik konnte Emmanuel Macrons Regierungschef davon ausgehen, dass er die Schwächen und mangelnden Sachkenntnisse seines jüngeren Gegners bloßlegen würde.
Das war dann auch tatsächlich der Fall, und am Tag danach beglückwünschte sich Attal selber zu einem rhetorischen Sieg nach Punkten: „Die Masken sind gefallen“, denn Bardella sei außerstande gewesen, in plausibler Weise zu erklären, wie denn im EU-Binnenmarkt die vom RN geforderte „nationale Präferenz“ funktionieren könnte, ohne den französischen Unternehmen im Gegenzug Nachteile zu bringen.
Ebenso wenig sei es dem RN-Sprecher gelungen, zu erklären, wie die von ihm verlangte „doppelte Grenze“ mit Kontrollen konkret funktionieren solle. Bardellas lückenhafte Kenntnisse und seine ungenügende Vorbereitung waren offensichtlich. Doch gewonnen hat Attal damit gar nichts.
Falsche Strategie im Wahlkampfduell
Im Gegenteil: Die intellektuelle Selbstsicherheit, mit der er – ganz nach dem Vorbild des Präsidentschaftskandidaten Macron, der 2017 und 2022 seine Gegnerin vom RN, Marine Le Pen, in lehrerhafter Weise korrigierte –, konnte von den mit Bardella sympathisierenden Zuschauer*innen durchaus als Süffisanz interpretiert werden.
In den Tagen nach der Fernsehdebatte stieg laut Umfragen der voraussichtliche Wähleranteil der Liste Bardella von bisher 32 auf 33 oder sogar 34 Prozent. Der Schluss liegt also nahe, dass Attals Auftritt kontraproduktiv war. Das hinderte Präsident Macron nicht daran, Marine Le Pen erneut zu einem Wahlkampfduell einzuladen. Die hat seine Einladung pariert und erwidert, sie komme nicht „wie ein Hund, bloß weil Macron pfeift“.
Sie setzt auf das Image ihres Vizes Bardella, das komplementär zu ihrem ist und neue Wählerschichten, namentlich jüngere Stimmberechtigte, anzieht. Am 9. Juni könnte der RN rund 10 Prozentpunkte hinzugewinnen und mit Abstand am meisten Abgeordnetensitze erringen.
Skeptische Wähler*innen
Will man sich das ganze Bild vom Vormarsch der extremen Rechten machen, müssen die 5 bis 6 Prozent der rechtsradikalen Liste mit Marine Le Pens Nichte Marion Maréchal noch dazugerechnet werden!
Noch so stichhaltig und überzeugend erscheinende Argumente richten bei diesen 30 bis 40 Prozent Wahlberechtigten nichts aus. Denn erstens glauben sie Leuten wie Macron oder Attal, aber auch den Schönrednern der anderen traditionellen Parteien von links und rechts a priori nicht.
Und zweitens geht es um etwas anderes beim Erfolg der Rechtsextremisten, die noch unlängst wie politisch unberührbare Parias marginalisiert und von Macht und Ämtern ausgeschlossen waren. Ihr Erfolg erklärt sich gerade damit, dass sie nie an der Macht waren. Dass sie als Gefahr für die Demokratie bezeichnet und von ihr ferngehalten wurden.
Aufbegehren gegen Macron
Der absehbare Wahlerfolg des RN ist ein Plebiszit gegen den Präsidenten und die Regierung. Andere Oppositionsparteien, die linken wie die liberalen und konservativen, sind im Unterschied zum RN Teil des bisherigen Systems.
Es sind die Parteien der ungehaltenen Versprechen von gestern und vorgestern. Und wenn sie heute die extreme Rechte so heftig als Gefahr angreifen, bestärkt das die RN-Sympathisant*innen nur in ihren Wahlabsichten. Keine andere Kategorie ist laut Umfragen so stark entschlossen, an den EU-Wahlen teilzunehmen, wie sie.
Wenn die Macronisten, aber auch die Sozialisten, Grünen oder Konservativen über die EU-Politik, Richtlinien, Subventionen oder den Green Deal diskutieren, reden sie wahrscheinlich weitgehend an jenen Mitbürger*innen vorbei, für die die rechtsextremen Favoriten der Europawahl gerade darum glaubwürdig sind, weil sie versprechen, sie würden sich quer stellen.
Eine Erfolgsbilanz in dieser Hinsicht haben sie nicht vorzuweisen. Im Gegenteil glänzte Bardella in der zu Ende gehenden Legislaturperiode als EU-Abgeordneter vor allem durch seine Abwesenheit in Straßburg.
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