Wahlkampf in Frankreich: Ein linker Held der Freiheit
Jean-Luc Mélenchon könnte es bis in in die Stichwahl schaffen. In Toulouse versammeln sich Zehntausende bei seinem Wahlkampfauftritt.
An den Eingängen des Areals, das mit Plastikbändern abgesperrt ist, sind die Kontrollen eher lax. „Was die Frauen immer so alles dabei haben, das ist ja ein Wahnsinn“, sagt ein Ordner, wirft einen kurzen Blick in die Tasche und winkt dann durch. Die Männer, Rucksäcke hin oder her, dürfen so hinein.
Kurz darauf nimmt es Mélenchons Vortänzer auf der Bühne mit der Sicherheit etwas genauer. „Ich möchte alle, die auf den Bäumen sitzen, bitten herunterzukommen“, ruft er ins Mikrophon. Auf dem Rasen gibt es kaum noch einen freien Platz, auf den Wegen auch nicht. Doch noch immer kommen weitere Neugierige hinzu und versuchen, sich in Richtung Bühne vorzuarbeiten. Später werden die Organisatoren von rund 70.000 Teilnehmern sprechen.
Umtriebige Wahlkampfhelfer versorgen die Ankommenden mit Flugblättern. Darin wird erklärt, „was die Wahl von Jean-Luc Mélenchon in meinem Leben verändern wird“. Drei Millionen zusätzliche Arbeitsplätze als Folge eines ökologischen Umbaus. Eine garantierte Rente von mindestens 1.000 Euro mit 60 für alle, die 40 Jahre eingezahlt haben. 173 Euro mehr im Monat für diejenigen, die Mindestlohn bekommen, besser bezahlte Überstunden. Das klingt vielversprechend und scheint anzukommen.
Die Menge rast
Plötzlich ist er da, Jean-Luc Mélenchon – wie aus dem Nichts aufgetaucht. Tausende Trikoloren werden in die Höhe gereckt, die Menge rast, Applaus brandet auf, minutenlang Rufe „Präsident, Präsident, Präsident!“
Jean-Luc Mélenchon lässt sich feiern und kostet den Empfang in vollen Zügen aus. Wie immer bei seinen Auftritten bleibt er nicht an einer Stelle stehen, sondern ist in ständiger Bewegung. „Teilen Sie heute mit mir die Emotionen, die Wahlkampage ist zu etwas anderem geworden, eine neue Zeit ist angebrochen“, ruft er. Dann beschwört Mélenchon das schöne und großmütige Frankreich, das jeden Tag wie ein neuer Morgen beginne unter der Devise: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Jetzt ist für den ehemaligen Trotzkisten zum ersten mal der Zeitpunkt gekommen, an dem er sich an seiner Konkurrenz abarbeitet. Frankreich, sagt er, werde keine Pfarrgemeinde des 19. Jahrhunderts sein, wie François Fillon das wolle. Auch keine Spielwiese von Chipherstellern à la Emmanuel Macron. Und erst recht keine Maschine des Hasses, wie sie Marine Le Pen propagiere. „Widerstand, Widerstand!“, grölt die Menge.
Nach 20 Minuten ist Mélenchon bei einem seiner zentralen Themen angekommen: Liberté, Freiheit. Zunächst knöpft er sich die Presse vor. Frankreich sei, was die Pressefreiheit betreffe, auf dem 45. Platz, zitiert er die Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen. Da könne man besser werden. Aber neun Milliardäre hätten die Medien unter sich aufgeteilt. „Die Stunde eurer Befreiung naht“, ruft der Ex-Senator. Sollte er Präsident werden, werde er mit den prekären Verhältnissen in den Medien aufräumen, wo die Angst sich in den Hirnen der Chefredakteure und Mitarbeiter festgesetzt habe.
Dann gleitet Mélenchon geschmeidig zur Freiheit des Gewissens über. „Als Präsident dieser Republik werde ich dafür sorgen, dass sich der Laizismus in diesem Land komplett durchsetzt, angefangen beim öffentlichen Dienst.“
Hymne der Freiheit
Dieser Grundgedanke der Freiheit, der wie eine „Hymne“ zelebriert wird, durchzieht das ganze Programm: das verfassungsmässige Recht auf Abtreibung, unabhängige finanzielle Unterstützungszahlungen für die Jugend, eine Umverteilung der Arbeitszeit sowie die Möglichkeit, einen Abgeordneten während der laufenden Legislaturperiode abzuberufen. „Wir sind das Lager, die Bewegung derjenigen, die die Freiheit möglich machen“, sagt Mélenchon und spaziert in konzentrischen Kreisen über die Bühne. „Dégagez, Dégagez!“-Rufe ertönen aus der Menge, was soviel meint wie: Sich von dem Alten zu befreien, es hinweg zu fegen. Oder wie Mélenchon, auch an diesem Nachmittag wiederholt zu Protokoll gibt: Eine neue Seite aufschlagen.
Der „Star“ ist abgetreten, die Menge zerstreut sich. „Ich bin wirklich erstaunt, dass so viele, ganz verschiedene Leute da sind“, sagt ein junger Mann aus der Nähe von Toulouse, der ein Restaurant betreibt. Mélenchon verbreite eine positive Botschaft und offensichtlich gebe es ein gemeinsames Projekt. Er werde Mélenchon wählen. Ist er von François Hollande enttäuscht? „Wirtschaftlich ja, sozial nicht“, sagt er und lacht. Immerhin habe er seinen Freund heiraten können.
Ein paar Meter weiter macht sich eine kleine Gruppe auf den Weg nach Hause. Eine Frau trägt eine Fahne der Kommunistischen Partei über der Schulter. An ihrem T-Shirt sind mehrere Buttons angesteckt. Darauf steht: „Ich liebe den Frieden“ und „Der große humane Friede ist möglich – Jean Jaures“. Um Mélenchon live zuzuhören, ist sie 200 Kilometer weit gereist. „Wir haben viele Gemeinsamkeiten mit dem Programm von Mélenchon.“ Wichtig seien ihr Arbeitsplätze, Löhne und eine Gleichheit der Geschlechter. Europa? Europäische Union ja, aber die Verträge müssten neu ausgehandelt werden. „Ein Europa der Völker“, sagt sie und: „Ich habe wieder ein wenig Hoffnung.“
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Doch neue Hoffnung zu verbreiten kostet auch Geld. An einem der Ausgänge stehen zwei Wahlkampfhelfer, die ein Tuch zwischen sich aufgespannt haben. „Wir sammeln für die Kampagne“, sagt einer. Offensichtlich mit Erfolg. In dem Tuch liegen bereits etliche Scheine und Münzen. Ja, er werde für Mélenchon stimmen, sagt er. Es müsse mehr Öko geben, Menschen, die die Natur respektieren. Stattdessen zerstöre die Wirtschaft das natürliche Umfeld. „Die Menschen dienen der Wirtschaft. Das muss umgekehrt sein.“ Für diese Änderungen stehe Mélenchon. „Umfragen sind immer fehlerhaft“; sagt er dann noch und zwinkert mit dem linken Auge. „Mélenchon kommt in die zweite Runde. Wir werden das erleben.“
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