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Wahlkampf in BrasilienAuf der Zielgeraden

Im brasilianischen Wahlkampf sichert sich Präsident Bolsonaros Herausforderer Lula prominente Unterstützung. Aktuell liegt er vorn.

Präsidentschaftskandidat Luiz Inacio Lula da Silva am 24. September in Sao Paulo Foto: Amanda Perobelli/reuters

São Paulo taz | Für Patricia Navarro gibt es nur zwei Seiten: Gut und Böse. „Bolsonaro steht für das Gute, Lula für das Böse.“ Navarro – 50 Jahre, kurze graue Haare, Camouflage-Shirt – steht auf der Avenida Paulista, São Paulos Prachtmeile, und verteilt Flyer. Navarro macht seit Wochen Werbung für den ultrarechten Präsidenten Jair Bolsonaro.

Dieser will am 2. Oktober wiedergewählt werden, liegt in allen Umfragen aber klar hinter Ex-Präsident Luiz Inácio „Lula“ da Silva. Kommt kei­n*e Kan­di­da­t*in in der ersten Runde auf über 50 Prozent, gibt es am 30. Oktober eine Stichwahl.

Viele An­hän­ge­r*in­nen Bolsonaros misstrauen den Umfragen, so auch Navarro. „Alles gefälscht“, sagt sie knapp. Als eine Gruppe Po­li­zis­t*in­nen an ihr vorbei läuft, unterbricht Navarro das Interview und salutiert mit ernster Miene. Viele Rechte betrachten die für Gewalt berüchtigte Polizei als Helden, viele Po­li­zis­t*in­nen stehen wiederum Bolsonaro nahe.

Der Präsident verbreitet seit Monaten Lügen über das Wahlsystem – obwohl es erst im Oktober einen Sicherheitstest ohne Probleme bestanden hatte. Viele befürchten, dass Bolsonaro im Stile von Donald Trump die Ergebnisse anzweifeln wird. Bei einer Veranstaltung in der Stadt Campinas rief er einer jubelnden Menschenmasse zu, er werde in der ersten Wahlrunde gewinnen.

Lula schmiedet breites Bündnis

Auch Bolsonaros großer Widersacher Lula verkündete selbstbewusst, einen Wahlsieg in der ersten Runde anzustreben. Und ganz so unwahrscheinlich ist das tatsächlich nicht mehr: In den letzten Tagen hat der Ex-Gewerkschafter deutlich zugelegt.

Der für sein Charisma und Verhandlungsgeschick berühmte Lula hat ein breites Bündnis geschmiedet, um an die Spitze des größten Landes Lateinamerikas zurückzukehren. Sein Vize ist der konservative Ex-Gouverneur von São Paulo, Geraldo Alckmin. Zuletzt sagte der Ex-Präsident der Zentralbank, Henrique Meirelles, ebenfalls Lula seine Unterstützung zu.

Während die Finanzmärkte erfreut auf den Schulterschluss reagierten, schrillen bei Linken die Alarmglocken. Die Befürchtungen sind groß, dass Lulas Amtszeit von einer orthodoxen Finanzpolitik geprägt sein könnte. Doch allzu große interne Kritik wird im Wahlkampf zurückgehalten.

Lula konnte sich kürzlich weitere prominente Unterstützung sichern. Die prominente Umweltschützerin und ehemalige Ministerin Marina Silva erklärte ihren Schulterschluss mit Lula. „Bolsonaro wird ein Vermächtnis der Zerstörung hinterlassen“, sagt Silva der taz. „Mehr als 40.000 Quadratkilometer des Amazonas-Regenwaldes wurden während seiner Amtszeit zerstört.“

Korruption, Krise und Arbeitslosigkeit

Neben seiner Umweltpolitik steht Bolsonaro auch wegen anderer Dinge in der Kritik. Zwei Jour­na­lis­t*in­nen des Onlinemediums UOL deckten kürzlich auf, dass die Bolsonaro-Familie 51 ihrer 107 Immobilien mit Bargeld gezahlt haben soll. Gegen den Präsidenten, der sich gerne als Kämpfer gegen Korruption und Vetternwirtschaft inszeniert, steht nun der Vorwurf der Geldwäsche im Raum.

Auch die schwere Wirtschaftskrise und die wachsende Armut werden immer mehr zum Problem für Bolsonaro. Die Inflation ist hoch, die Energiepreise steigen, und die Arbeitslosigkeit klettert auf immer neue Rekordwerte. 31 Millionen Bra­si­lia­ne­r*in­nen hungern inzwischen – 15 Prozent der Bevölkerung.

„Bolsonaro wird ein Brasilien des Elends und des Hungers hinterlassen“, sagt Symmy Larrat der taz. Die 44-Jährige ist eine von zahlreichen trans Kandidat*innen. Larrat will für die Arbeiterpartei PT in das Bundesparlament einziehen und als erste Maßnahme eine neoliberale Schuldenbremse rückgängig machen.

Doch die Politikerin gibt zu, dass es nicht einfach wird. Denn vermutlich wird die Linke keine Mehrheit im Parlament haben. Jetzt müsse es aber erst einmal darum gehen, Bolsonaro abzuwählen. Dann könne man weitersehen.

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3 Kommentare

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  • Ich bin endgültig genervt über die Lateinamerikanische Politik inklusive der Berichterstattung in Deutschland.



    Pintoreske Polarisierung, sehr personalisiert und viel Emotion.



    Lateinamerika ist in den letzten 15 Jahren gegenüber anderen Regionen mit Ländern aus dem Einkommens-Mittelfeld wie Mittel-Osteuropa oder Ostasien weiter deutlich zurückgefallen. Das erfolgreichste lateinamerikanische Land ist durch einen nüchterneren Politik-Stil geprägt: Uruguay.



    Die Selbstdarsteller langweilen mich. Mich würde viel mehr interessieren, welche Vorstellungen die wahrscheinliche da Silva Regierung in so Feldern wie Fiskal, Wettbewerb, Innere Sicherheit, Bildung, Außen, Sozial denn nun hat.

  • Hin oder her in diesem Moment ist Lula



    DIE Chance!



    Für Brasilien und die Welt.

  • Eine absolut spannende Situation. Bolsonaro hat eine sehr aggresive Anhängerschaft, Millionen gehen für ihn auf die Straße. Es sind zwar nur 35% der Wähler, aber die Bilder sind derart beeindruckend, dass seine Anhänger sich sicher sind, dass sie in der Mehrheit sind und das Wahlergebnis gefälscht wird.

    Lula wird ein schweres Erbe antreten. Vor allem die Umweltbehörden wurden kaputtgespart und die illegale Abholzung zur Schaffung für Viehweiden ist unumkehrbar. Auch die Goldförderung mit Quecksilber im Amazonas wird nur sehr schwer zu bremsen sein, da stecken millionschwere Interessen dahinter.

    Das schlimmste ist die Macht der Mehrheit im Parlament. Egal, wer regiert, im Tausch für ihre Unterstützung kassiert die Gruppe des sogenannten "großen Zentrums" Milliarden für dubiöse Projekte ab.