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Wahlexperte über AfD-Liste in Sachsen„Hätte nicht gekürzt werden dürfen“

In Sachsen dürfen viele AfDler bei der Landtagswahl nicht antreten. Wahlrechtsexperte Wilko Zicht hält das für falsch. Warum?

Ernste Blicke: Haben die Schriftführer des sächsischen Landeswahlausschusses einen Fehler gemacht? Foto: dpa
Jean-Philipp Baeck
Interview von Jean-Philipp Baeck

taz: Herr Zicht, warum ergreifen Sie als Grüner nun Partei für die sächsische AfD?

Wilko Zicht: Es geht nicht um eine politische Frage, sondern um eine Rechtsfrage. Nach allem, was wir wissen, hätte die AfD-Liste zur sächsischen Landtagswahl nicht gekürzt werden dürfen.

Der Landeswahlausschuss hatte das Anfang Juli aber mehrheitlich so entschieden und nur 18 der 61 KandidatInnen zugelassen.

Die AfD hat sich ungeschickt angestellt und war ersichtlich überfordert. Aber letztlich hat sich der Landeswahlausschuss recht engstirnig in formalen Fragen verheddert, die sich so gar nicht stellen.

Wieso? Die AfD hatte ihre KandidatInnen auf zwei verschiedenen Versammlungen im Februar und März aufgestellt – mit unterschiedlichen Voraussetzungen.

Es ist nicht verboten, eine Liste auf mehreren Versammlungen zu wählen. Zulässig ist sowohl eine bloße Fortsetzung der ersten Versammlung als auch eine neue Versammlung zur Änderung oder Ergänzung der auf der ersten Versammlung beschlossenen Liste. Es muss sich dann nur insofern um die gleiche Versammlung handeln, als man nicht von Mitglieder- auf Delegiertenversammlung wechseln oder die Delegierten zwischendurch neu wählen darf.

Im Interview: Wilko Zicht

Wilko Zicht, 43, ist Wahlrechts­experte und in Bremen Grünen-Parlamentsreferent für Inneres, Recht und Gesundheit. Er ist Autor bei Wahlrecht.de.

Aber durfte die AfD einen anderen Versammlungsleiter bestellen?

Ja, das ist kein Problem. Der potenziell kritischere Punkt ist, dass das Wahlverfahren zwischendurch geändert wurde. Allerdings gab es dafür Gründe: Die AfD wollte zunächst alle 61 Plätze in Einzelwahl besetzen. Nach dem ersten Wochenende war man nur bis Platz 18 gekommen, also wäre man wohl auch am zweiten Wochenende nicht fertig geworden. Weshalb ab Platz 30 dann im Gruppenwahlverfahren weitergemacht wurde. Das halte ich für ein legitimes Vorgehen.

Verletzt das nicht die Chancengleichheit?

Im konkreten Fall sehe ich das nicht, zumal die Änderung wohl vor Platz 19 beschlossen wurde, sich also alle KandidatInnen mit ordentlich Vorlauf auf den Wechsel einstellen konnten. Bei den Grünen haben wir sogar einen Ad-hoc-Wechsel des Wahlverfahrens in unserer Satzung vorgesehen.

Inwiefern?

Da heißt es, dass auf Wahllisten mindestens die ungeraden Plätze Frauen zustehen. Wenn keine Frau kandidiert, kann die Versammlung ein abweichendes Verfahren beschließen.

Bei den Grünen ist das von vornherein klar. Das Wahlrecht ist da doch sehr streng …

taz ost

Sechs Wochen im Osten: Vor der Landtagswahl in Sachsen am 1. September 2019 war die taz in Dresden. Seit dem 22. Juli waren wir mit einer eigenen Redaktion vor Ort. Auch in Brandenburg und Thüringen sind bzw. waren wir vor den Landtagswahlen mit unserem #tazost-Schwerpunkt ganz nah dran – auf taz.de, bei Instagram, Facebook und Periscope. Über ihre neuesten Erlebnisse schreiben und sprechen unsere Journalist*innen im Ostblog und im Ostcast. Begleitend zur Berichterstattung gibt es taz Gespräche in Frankfurt (Oder), Dresden, Wurzen und Grimma. Alle Infos zur taz Ost finden Sie auf taz.de/ost.

Ja, es gibt teilweise formale Regeln, die knallhart eingehalten werden müssen. In einem Wahlkreis in Brandenburg ist zum Beispiel ein AfD-Kandidat nicht zugelassen worden, nur weil eine Unterschrift fehlte. Derartige Mängel hatte die Sachsen-AfD aber noch fristgerecht ausgebessert. Am Ende hätte der Landeswahlausschuss darum nur noch zu beurteilen gehabt, ob die AfD gegen elementare Mindestregeln einer demokratischen Kandidatenaufstellung verstoßen hat. Wovon keine Rede sein kann.

Ist durch die Kürzung der Liste denn irgendein ein Schaden für die Demokratie entstanden?

Manche beklagen, dass sich die AfD als Opfer gerieren kann – aber das tut sie sowieso immer. Schlimmer ist, dass die AfD nun gute Aussichten hat, eine erfolgreiche Wahlprüfungsbeschwerde einzureichen. In letzter Konsequenz könnte das bedeuten, dass der Landtag neu gewählt werden muss.

Das Bundesverfassungsgericht hat nun am Mittwoch eine Klage der Sächsischen AfD wegen der gekürzten Liste abgewiesen. Was bedeutet das?

Das Gericht hat die Klagen aus formellen Gründen abgelehnt. Damit war zu rechnen, weil Karlsruhe sich in Länderwahlsachen nicht für zuständig hält. Die entscheidenden Verfahren laufen am sächsischen Verfassungsgerichtshof in Leipzig.

Dort findet nun am heutigen Donnerstag eine mündliche Verhandlung über mehrere Verfassungsbeschwerden der AfD statt.

Die Klagen sind meines Erachtens auch unzulässig, da Verfassung und Wahlgesetz bewusst in Kauf nehmen, eine fehlerhafte Wahl abzuhalten und dies erst im Nachhinein zu korrigieren. Man will damit der Gefahr begegnen, dass sich eine Wahl wegen Streitigkeiten verschiebt. Die Fristen sind eng, in wenigen Tagen soll die Briefwahl beginnen.

Sie meinen, die Verfassungsrichter werden vor der Wahl keine Entscheidung treffen?

Das würde mich zumindest sehr wundern. Vor fünf Jahren gab es einen vergleichbaren Fall, bei dem ein sächsischer AfD-Kandidat gestrichen wurde. Der Verfassungsgerichtshof gab ihm nach Jahren Recht – hatte aber seine Klage vor der Wahl noch abgewiesen.

Was ändert sich dadurch, wenn die AfD-Liste kurz bleibt?

Es kommt dann auf die Direktmandate an. Sobald ein AfD-Mensch ohne Listenplatz einen Wahlkreis gewinnt und nicht unter den 18 KandidatInnen auf der Liste ist, bekommt die AfD mehr Sitze im Landtag. In 25 solcher Wahlkreise lag die AfD bei der Europawahl am 26. Mai vorne, meist sehr knapp. Bislang scheinen die anderen Parteien darauf aber strategisch nicht einzugehen.

Meinen Sie, das bleibt so?

Ich denke, es wird die Runde machen, in welchen Wahlkreisen man der AfD durch strategische Wahl eines aussichtsreichen Gegenkandidaten einen Sitz wegnehmen kann. Der Haken daran ist, dass es der CDU Überhangmandate bescheren könnte. Die werden in Sachsen nicht voll ausgeglichen. Wer eine Regierung ohne CDU und AfD will, der nähert sich dem Ziel dann nur minimal. Es gibt nur wenige potenzielle AfD-Wahlkreise, in denen Grüne oder Linke eine Chance haben.

Wie sähe der Landtag aus, wenn die AfD wegen der kurzen Wahlliste weniger Sitze bekommt, als ihr zustünden?

Die Sitze blieben leer. Nehmen wir an, der AfD stünden nach der Wahl 30 Sitze zu, während sie nur die 18 Plätze durch die Liste besetzen kann. Kämen keine Direktmandate oder Überhang- und Ausgleichsmandate hinzu, würden im Landtag eben 12 Abgeordnete weniger sitzen: 108 statt 120.

Was bedeutet das?

Für eine Mehrheit wären in unserem Beispiel nur noch die Stimmen von 55 Abgeordneten nötig, nicht von 61.

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18 Kommentare

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  • Zitat: „Im konkreten Fall sehe ich das nicht, zumal die Änderung wohl vor Platz 19 beschlossen wurde, sich also alle KandidatInnen mit ordentlich Vorlauf auf den Wechsel einstellen konnten.“

    Woher weiß Hr. Zilch das? Hatte er Einsicht in die Protokolle?

  • Na hat sich jetzt ja erledigt. Ein, wie soll es anders sein, sächsisches Gericht setzt sich über Bundesgerichte hinweg und kassiert deren Entscheid. Zumindest erst mal 30 sind zugelassen. Mich überrascht es nicht. Und ehrlich, ich sehe inzwischen keinen Grund mehr, warum ich politisch korrekt über dieses Bundesland sprechen sollte.

    • @sachmah:

      Das Sächsische Verfassungsgericht hat sich nicht über "Bundesgerichte" (Sie meinen wohl das Bundesverfassungsgericht) hinweggesetzt, im Gegenteil: Das Bundesverfassungsgericht hat über die Verfassungsbeschwerde der AfD gar nicht in der Sache entschieden, sondern diese nicht zur Entscheidung angenommen und in der Begründung u. a. ausgeführt, dass für den Rechtsschutz bei Wahlen in den Ländern allein die (Verfassungs-)Gerichte der Länder zuständig sind. Nur das Sächsische Verfassungsgericht ist also nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts dazu berechtigt, in der Sache zu entscheiden.

      Und: Ein Landesverfassungsgericht kann keine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts "kassieren", was auch nicht geschehen ist.

      • @Budzylein:

        Stimmt, ich war und bin nur ungeheuer genervt mittlerweile. Sachsen ist ein Biotop für sich geworden, Nazis lässt man alles durchgehen, und sogar eine rechte Partei bekommt Sonderstatus wenn sie es nicht fertig bringt, Unterlagen korrekt einzureichen.



        Ostdeutschland ist Scheisse dran, dass liegt aber nicht an den Ausländern. Das liegt an der Treuhand, westdeutschen Heuschrecken und auch an der völligen unselbständigkeit eines nicht geringen Teils der Bevölkerung. Hätten nicht jahrelang CDU wählen sollen.

  • Ich bin der Meinung, der Wahlausschuss hat richtig gehandelt. Bei der letzten Landtagswahl hat die AfD schon Mist gebaut und einfach einen Kandidaten von der Liste gestrichen.



    Das ließ der Wahlausschuss durchgehen und es war nicht korrekt.



    Wenn die AfD zu blöd ist einen Antrag auszufüllen, ist es ihre Schuld.



    Wenn ich bei einem Antrag einen Fehler mache, kommt auch keiner und sagt: "Och ames Tuffel, warte ich mach dir das mal richtig." sondern ich verliere Geld das mir zusteht oder noch schlimmer, muss welches zahlen.

    Liebe AfD mit "wir haben nischt gewusst" kommt ihr nicht mehr lange durch...

  • Auch aus diesen Überlegungen stellt sich doch die Frage, welchen Fehler der Landeswahlausschuss denn hier nun gemacht haben soll. Aus meiner Sicht kann man dem Ausschuss doch auf dem Hintergrund der Unzulänglichkeiten des AfD-Vorgehens allenfalls vorwerfen, nicht die ganze Liste verworfen zu haben.

    • @Rainer B.:

      Haben Sie den Artikel eigentlich gelesen und zumindest die Meinung von H. Zicht (ich vermute, ein ausgebildeter Jurist) nachvollzogen?

      • @Sonntagssegler:

        Aus der Meinung von Herrn Zicht lässt sich nicht ersehen, welchen Fehler man dem Landeswahlausschuss hier konkret vorwerfen könnte. Dass ein Wahlausschuss genau prüft, ob die formalen Voraussetzungen gegeben sind oder nicht, kann schwerlich ein vorzuwerfender Fehler sein - ganz im Gegenteil.



        Zu Ihrer Vermutung: Herr Zicht hat ein Jurastudium begonnen, dann aber abgebrochen.

        siehe hier: de.wikipedia.org/wiki/Wilko_Zicht

        • @Rainer B.:

          Doch kann man ersehen. Der Ausschuss hat zu engstirnig entschieden und sogar fehlerhaft! Ob das in der allgemeinen Angst vor der AfD passiert ist, in vorauseilendem Gehorsam oder aber in AfD-Phobie, das sind ja die Bösen, es ist ein ganz schlimme und falsche Entscheidung. Die Entscheidung hat der Souverän, das Volk zu treffen, nicht ein Ausschuss. Und: Herr Zicht ist mitnichten der einzige Jurist, der diese Entscheidung für falsch hält! Professorin Sophie Schönberger hält die Entscheidung für politisch falsch und juristisch nicht überzeugend. Schönberger, 39, ist Direktorin am Institut für Deutsches und Internationales Parteienrecht und Parteienforschung der Universität Düsseldorf. www.spiegel.de/plu...-0000-000164871532

          • @Wilfried Bergmann:

            Seit wann soll „Engstirnigkeit“ denn ein juristisch anwendbarer Terminus sein?



            Wie Wahlen abzuhalten sind, wird durch den Gesetzgeber (der wurde übrigens vom „Souverän“ eingesetzt!) im Gesetz geregelt. Die Bildung eines Wahlausschusses ist in der Landeswahlordnung (§52 des sächsischen Wahlgesetzes) neben den anderen Wahlorganen vorgegeben.

            www.revosax.sachse...hes-Wahlgesetz#p52

        • @Rainer B.:

          Wer den Fehler nicht erkennt, der hat keinen Sinn für Demokratie.

          AFD hin oder her... Am Ende besteht der Wahlausschuss aus Parteien die um Macht fürchten.

          Das Mittel, dass sie einsetzen, ist für mich eine Manipulation einer Wahl. Die AFD hat, aus welchen Gründen immer, einen kleinen formellen Fehler begangen, welcher die besagte Liste vermutlich nicht mal beeinflusst hat.

          Wegen dieses Fehlers werden nun wahrscheinlich 10% der Wählerstimmen ungültig und noch mehr Wähler zweifeln an unserer Demokratie....

          Ist es richtig, dieses Risiko einzugehen?

          Unsere Verfassung lässt hier wörtlich die Hose runter und zeigt erneut auf, dass sie nicht alle schützen soll.

          Man stelle sich vor, die CSU hätte diese Mittel in Bayern genutzt...

          Ein perfektes Instrument zum Aushebeln der demokratischen Verhältnisse....

          • @EsIstWieEsIst:

            Wer schon ein Problem mit Wahlausschüssen hat, sollte anderen nicht Demokratiedefizite unterschieben wollen.

  • Selbst wenn die Kürzung der AfD-Liste formaljuristisch korrekt ist, ist das deswegen noch lange keine kluge Entscheidung.



    Es verschafft der AfD einen Märtyrerstatus und kann bei den Wahlen zu einer enormen Mobilisierung ihrer Anhängerschaft führen. Die Anhängerschaft wird sich "betrogen" fühlen und Vergleiche mit Wahlfälschungen in der DDR werden naheliegen.

    Ich fürchte das wird nicht gut ausgehen.

    • @Poseidon:

      Die Kürzung der AfD-Liste ist formaljuristisch gerade eben nicht korrekt.

      Dennoch hätten die Klagen unzulässig sein können, da tatsächlich das Wahlgesetz, fehlerhafte Wahl abzuhalten, in Kauf nimmt und eine Korrekturmöglichkeit erst im Nachhinein vorsieht. Deshalb hatte sich die AfD zugleich auf an das BVerfG gewandt. Nachdem aber der Sächsische Verfassungsgerichtshof den AfD-Antrag angenommen, die Gegenseite zur Stellungnahme aufgefordert hat und jetzt eine mündliche Verhandlung durchführt, hat es ihn für zulässig erklärt. Damit war klar, dass das BVerfG die Sache nicht annehmen werde, womit es sich erübrigte, die Sache dort weiter zu erfolgen.

      Der Sächsische VerfGhof hat nun darüber zu entscheiden, ob die Fehlentscheidung des Wahlausschusses derart offenkundig und gravierend in die Recht der AfD und ihrer Kandidaten eingreift, dass die Demokratie insgesamt beschädigt wird, so dass eine Korrektur geboten erscheint.

  • Inzwischen ist es sowieso egal, da die Union bereits so gut wie alles macht, was die afd sagt.

    • @Duckunwech:

      Naja momentan basteln sie eher an einem grüneren Image🤣

  • weder mit derartigen formalistischen manipulationen noch mit massenmedialer manipulationsmacht wird man die "a"fd aufhalten können.dass sind nur kurzfristig und oberflächlich wirksame mittel.



    der aufstieg der rechtspopulist*innen wird weitergehen solange die neoliberalen nicht gestürzt werden.wenn es weder eine soziale revolution in europa gibt noch einen reformistischen graduellen aber nichtsdestoweniger paradigmatischen abschied vom neoliberalismus können die rechtspopulist*innen nicht besiegt werden



    die "a"fd profitiert davon das andere parteien eine für allzuviele allzuschlechte politik machen



    mit einer linken die sich dem brd-establishment anbiedert statt es zu bekämpfen ist die "a"fd nicht zu besiegen.



    nur wenn es gelänge aus europa eine nicht marktkonforme demokratie zu machen würde der rechtspopulismus



    relativ schnell wieder verschwinden

  • 9G
    90857 (Profil gelöscht)

    Bin kein Freund der AfD, schließe mich dennoch dem Tenor dieses grünen Wahlrechtserxperten weitgehend an.

    Viel schlimmer noch, sollte es auch am Donnerstag vor dem sächsischen Verfassungsgerichtshof keine andere Entscheidung geben, ist die dann folgende, möglicherweise sehr erfolgreiche Erststimmenkampagne der AfD; dergestalt, dass Görlitz kein Einzelfall bleibt, gerade die Linke dann beinahe überall in Sachsen Arm in Arm mit CDU & Co. marschieren muß;

    ihr das Feindbild einfach mal getauscht wurde.