Wahlen in Ägypten: Gottes Wort in Volkes Ohr
Die Salafisten werden zweitstärkste Kraft im ägyptischen Parlament sein. Nach außen geben sie sich moderat, doch bei den Wählern punkten sie radikalen Sprüchen.
KAIRO taz | "Ein Antibiotikum kann viele Krankheiten und viele Menschen heilen. Es ist eines der wundersamen Dinge, die Gott der Menschheit geschenkt hat." Der Kandidat der salafistischen Al-Nur-Partei legt eine rhetorische Pause ein und lässt seine Worte auf das Publikum im Arbeiterviertel Schubra al-Chaima im Norden Kairos wirken.
Dann lässt er keinen Zweifel daran, welches Allheilmittel er Ägypten verschreiben will. "Die islamische Gemeinde wird nicht vorankommen, wenn nicht das Wort Gottes umgesetzt wird, so wie es früher zur Zeit des Propheten und seiner Nachfolger geschehen ist", hallt es in dreifach verstärktem Echo im Predigerstil über den Platz. "Der Koran ist unsere Verfassung", ruft er.
Drei andere Kandidaten nicken zustimmend und zwirbeln an ihren Bärten, dem Markenzeichen der Vertreter der radikalen Islamisten-Partei. Das Podium der Wahlveranstaltung erinnert an eine Kostümprobe, bei der man noch einmal die Zeiten des Propheten nachzuspielen versucht.
Vom Rauschebart über die dreiviertellangen Hosen bis hin zu den Galabijas, den weißen hemdartigen Gewändern, versuchen die Vertreter der radikalen Islamisten den Flair von Mekka und Medina von einst ins heutige Ägypten zu retten.
Auch im Publikum sitzen einige dieser orientalisch-mittelalterlichen Folklorevertreter. Aber die meisten tragen die typische Kleidung der ägyptischen Armenviertel, verschlissene Jogginganzüge und trotz des kühlen Winterabends Plastiklatschen oder bestenfalls abgetragene Turnschuhe. Es sind genau diese Viertel der Hoffnungslosigkeit sowie die ländlichen Gebiete, in denen die Salafisten bei den Parlamentswahlen besonders gut abgeschnitten haben. Dort, wo die vier von zehn Ägyptern leben, die mit etwas mehr als einem Euro am Tag auskommen müssen. Landesweit bekam die Al-Nur-Partei ein Fünftel bis ein Viertel der Wählerstimmen.
Die Wohltätigen
"Ich habe die Al-Nur-Partei gewählt, weil ich religiös bin und weil ich die Kandidaten aus der Moschee kenne. Die haben uns Armen in all den Jahren weitergeholfen, wenn wir Probleme hatten, etwa wenn wir Krankenhausrechnungen bezahlen mussten", erklärt der Metallarbeiter Sameh Zakariya, warum er seine Stimme den Salafisten gibt. "Die Liberalen haben sich hier nie blicken lassen", fügt er hinzu. Ein anderer Al-Nur-Wähler hat sich einfach vom Parteinamen inspirieren lassen, der übersetzt "das Licht" bedeutet. "Die Al-Nur-Partei erleuchtet das Land und weist uns den Pfad zu Gott", sagt er.
Sameh Seif al-Yazal, ein ehemaliger hochrangiger Geheimdienstoffizier, der heute das Al-Dschumhurija-Zentrum für Strategische Studien leitet, hatte erwartet, dass die Salafisten bei den laufenden Parlamentswahlen gut abschneiden. Aber dass sie so erfolgreich sind, kommt auch für ihn überraschend, besonders weil sie erst seit weniger als einem halben Jahr als Partei existieren. "Sie haben eine Menge Geld, sind gut organisiert und haben effiziente Kader", beschreibt er die Grundvoraussetzungen für ihren Erfolg. "Und sie nutzen die fromme Mentalität der Ägypter aus. Sie haben ihnen gesagt: ,Ihr habt schon jede politische Strömung ausprobiert und niemand hat etwas für euch getan. Versucht es doch einfach einmal mit uns.'"
Dabei haben die Salafisten den Menschen oft handfest unter die Arme gegriffen. Sie stellten günstig medizinische Versorgung zur Verfügung oder verkauften im Fastenmonat Ramadan Fleisch unter dem Marktwert. Seit Wochen herrscht im Land ein Mangel an Kochgasflaschen. Lange Schlangen bilden sich an den Verteilungszentren. Die Preise sind nach oben geschnellt. "Die Salafisten haben Tausende von Gasflaschen besorgt und für ein Fünftel des Preises verkauft. Die Menschen waren dankbar für diese Hilfe und sahen sie in anderem Licht. Die Salafisten haben effektiv die Schwachstellen ausgenutzt", erklärt al-Yazal und weist darauf hin, dass die Salafisten massive finanzielle Unterstützung aus den Golfstaaten erhalten haben.
Nach Presseberichten, die eine Studie des Justizministeriums zitieren, soll die salafistische Gruppierung Ansar al-Sunna in den letzten zwei Jahren fast 37 Millionen Euro aus dem Emirat Katar und aus Kuwait erhalten haben. Es sei die größte finanzielle Zuwendung aus dem Ausland für eine nichtstaatliche Organisation in den letzten zwei Jahren gewesen. Die Salafisten beteuern, dass sie das Geld nur für wohltätige Zwecke ausgegeben haben. Auch aus Kuwait verlautet, man habe keine politischen, sondern nur soziale Projekte unterstützt. Doch das Beispiel der Kochgasflaschen zeigt, wie verschwommen die Grenzen zwischen Politik und Wohlfahrtsarbeit verlaufen.
Die politische Führung der Al-Nur-Partei gibt ihre Interviews in einem der Hochhäuser im vornehmen Stadtteil Maadi, mit Blick auf den Nil. Unten am Aufzug wird deutlich, dass nicht jeder Hausbewohner mit ihnen sympathisiert. Dort hängt ein handgeschriebener Aufruf, doch bitte alle parteipolitischen Aktivitäten in diesem Gebäude zu unterlassen. Elf Stockwerke weiter oben scheint das niemanden zu bekümmern. Aber hier wird ganz anders geredet als bei den Wahlveranstaltungen in den Armenvierteln.
Die Weichspüler
Hier hat man für die Außenwirkung das diplomatische Weichspülprogramm eingelegt. "Wir fordern eine ägyptische Gesetzgebung, die mit der Scharia, dem islamischen Recht, einhergeht und die nicht dem Koran und den Überlieferungen des Propheten widerspricht", fasst Bassam Zarqa, eines der Führungsmitglieder der Al-Nur-Partei das Programm zusammen. "Aber wenn eine Mehrheit des Parlaments das anders sieht, dann werden wir uns dem beugen. Ich kann der Mehrheit des Landes nicht meine Sicht der Dinge aufzwingen", schränkt er ein. "Wir sind keine Taliban", sagt er. Das Trinken von Alkohol müsse mit Drogenkonsum gleichgesetzt werden. Das aber gelte nur für Muslime, sagt er. Und Frauen sollten am besten einen kompletten Gesichtsschleier tragen, wenngleich: Aufzwingen wolle er das freilich niemandem.
So besorgt sind die Salafisten über ihr internationales Image, dass einer ihrer Sprecher, Yusri Hamad, sogar dem israelischen Militärradio ein Interview gegeben hat, in dem er erklärte, dass seine Partei auf jeden Fall den Friedensvertrag mit Israel und alle von der alten Regierung unterschriebenen internationalen Verträge anerkenne.
In ihren eigenen Fernsehsendern und an der Heimatfront schlagen die Salafisten dagegen andere Töne an. Dort fordert Abdel Monem al-Shahat, eines der hochrangigen Parteimitglieder, dass an den Stränden Frauen und Männer getrennt baden müssen und Hotels gemäß der Scharia keinen Alkohol ausschenken dürfen. Und altägyptische pharaonische Statuen sollten verhüllt werden, weil sie aus einer verrotteten Kultur stammten. Ein anderer Parteisprecher, Nader Bakar, möchte den Strandtourismus gleich ganz abschaffen, weil er zu "unmoralischen Lastern" führe.
Auch bei den Wahlplakaten selbst outen die Salafisten ihr Frauenbild. Anstelle der einzigen Kandidatin prangt dort das Parteienlogo oder ein weißer Fleck. Frauen sollen nicht öffentlich im Bild für sich werben.
Die Gottgläubigen
Emad Eddin Abdel Ghafour, der Chef der Al-Nur-Partei, der ebenfalls im Maadi-Büro im elften Stock Audienzen gibt, will das nicht kommentieren. Die Frauen hätten selber entschieden, auf den Wahlplakaten nicht zu erscheinen, und bei den anderen Dingen handle es sich nicht um die Parteilinie, sondern die privaten Aussagen einzelner Parteimitglieder, sagt er. Er redet lieber allgemein über das Verhältnis von Religion und Staat.
"Ein Staat, getrennt von der Religion, ist nicht akzeptabel. Manche sagen, sie wollen einen modernen, institutionellen und demokratischen Staat - mit all dem habe ich keine Probleme. Aber ein Staat ohne Religion, das geht mit uns nicht", gibt er klar zu verstehen. Auf die Frage, wie er es damit halte, wenn eine Parlamentsmehrheit eine seiner Meinung nach unislamische, aber demokratische Entscheidung treffe, spricht er davon, dass jede Demokratie ein Referenzsystem brauche, und das sei in Ägypten eben islamisch.
Zusammen mit den moderaten islamischen Muslimbrüdern und deren Freiheit- und Gerechtigkeitspartei, die etwa die Hälfte der Abgeordnetensitze gewonnen hat, wären die Salafisten, zumindest mathematisch gesehen, Teil einer ideologisch islamistischen Mehrheit. Gemeinsam könnten die beiden Gruppierungen jedes konservativ-religiös gefärbte Gesetz durchbringen.
Doch die Muslimbrüder, seit acht Jahrzehnten politisch existent und die weltweit älteste islamistische Gruppierung, und die Salafisten als vollkommen neuer Faktor in der Politik sind sich alles andere als - die Prophetenfarbe! - grün. Die Muslimbrüder werfen den Salafisten Welt- und Politikferne vor. Die Salafisten sehen die Muslimbrüder dagegen als Opportunisten. "Die Al-Nur-Partei ist in die Politik gegangen, um der Religion zu dienen. Wir instrumentalisieren nicht die Religion für die Politik. Sondern genau umgekehrt", meint der Salafisten-Wähler Said Salem dazu, in deutlicher Abgrenzung von der islamistischen Konkurrenz der Muslimbrüder.
"Die Beziehungen zwischen Salafisten und Muslimbrüdern sind ausgesprochen schlecht. Sie haben viele Differenzen. Daher glaube ich, dass es im neuen Parlament nicht zu einer großen islamistischen Koalition zwischen den beiden kommen wird", erläutert der Strategieexperte al-Yazal. Auch der Chef der Salafisten-Partei schließt ein solches Bündnis schon jetzt praktisch aus. "Ich glaube, dass uns die Muslimbrüder aus einer möglichen Regierungsbeteiligung ausschließen und dass wir in der Opposition bleiben werden", prophezeit Abdel Ghafour.
Die Stimmungsmacher
Nichtsdestotrotz könnten die Freiheits- und Gerechtigkeitspartei und al-Nur in Sachthemen zusammenarbeiten. Zumindest können die Salafisten die Muslimbrüder als Konkurrenten unter Druck setzen. Und eines ist sicher: Die Salafisten werden sich gesellschaftlich zu Wort melden. In Tunesien, wo sie wesentlich schwächer sind als in Ägypten, haben sie beispielsweise an den Universitäten eine Kampagne für geschlechtergetrennten Unterricht und das Recht der Studentinnen auf einen Vollschleier gestartet.
Mit Worten machen die Salafisten in Ägypten schon lange Stimmung. Seien es die 10 Prozent ägyptischer Christen oder die Frauen, die vergangenes Jahr ins politische Geschehen katapultiert wurden, oder seien es einfach liberale und weltoffene Ägypter: Der Gedanke an einen starken politischen Block der Bärtigen im Parlament, wenngleich nur in der Opposition, macht vielen Angst.
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