„Wahlarena“ in der ARD: Merkeln mit Merkel
Die freundliche Kindergärtnerin: Im Dialog mit Bürgern gab sich die Kanzlerin souverän. Leider immer dabei: Seehofers Obergrenze.
Das Leben ist kein Ponyhof, und der Wahlkampf ist leider kein Chemielabor. Die Physikerin Dr. Angela Merkel ist Expertin für so hochkomplexe Dinge wie „bimolekulare Elementarreaktionen“. Die Politikerin Angela Merkel verzweifelt seit Ewigkeiten an einem simplen Naturgesetz: Das Seehofer-Paradoxon oder auch „Schrödingers Horst“.
Es besagt folgendes: Der CSU-Vorsitzende kann noch so weit weg sein – die Kanzlerin wird ihn nicht mal dann los, wenn sie als einzige Politikerin in einem Raum voller ganz normaler Leute steht und sich einfach mal nett unterhalten will.
So war’s gedacht am Montagabend in der „Wahlarena“ der ARD: 150 handverlesene Zuschauer aus allen politischen Spektren und Schichten sind zugegen, um Merkel Fragen zu stellen. Die lächelt in ihrer aparten Mischung aus aufrichtiger Neugier und geduldiger Pflichtschuldigkeit, als der erste Fragesteller das Mikro greift: Ein bayerischer Erstwähler mit weißem T-Shirt und Gelfrisur.
Der ist allerdings nicht so harmlos, wie Kanzlerin und Moderatoren vermutlich gehofft hatten. Er wolle ja gerne für Merkel stimmen, aber in Bayern ginge das nun mal nicht, erklärt er einer zunehmend schmallippig lauschenden Kanzlerin. CSU wählen – unmöglich. Was also tun? Merkel quittiert das mit einem freundlichen Lob für das Interesse – immer eine gute Strategie, um Zeit zu gewinnen – und einem Verweis auf das gemeinsame Wahlprogramm.
Ein Erstwähler grillt Merkel
Aber der junge Mann lässt nicht locker. Und grillt Merkel besser, als es sämtliche Moderatoren der bisherigen TV-Duelle hinbekamen: Wie die Kanzlerin ihm denn versprechen wolle, dass die Obergrenze nicht doch käme? Merkel, jetzt auf der Hut: „Meine Haltung zur Obergrenze ist bekannt, also, dass ich sie nicht will“. Der Erstwähler: „Das haben Sie damals bei der Maut auch gesagt.“
Das sitzt. Für die CDU-Spitzenkandidatin – denn in dieser Funktion war Merkel hier eingeladen, was auch lobenswerterweise von der ARD immer wieder eingeblendet wird – ist diese Erinnerung ein denkbar unsanfter Einstieg in die Fragerunde. Umso besser für Studiopublikum und Zuschauer: Die erleben eine wache und reaktionsfreudige Kanzlerin, wie man sie sonst selten bekommt.
Dass die Seehofer-CSU Merkel im Wahlkampf aber nicht nur im unpassendsten Moment ins Date mit dem Wähler platzt, sondern tatsächlich einen Job bei ihr hat, den man in der Münchner Zentrale sehr ernst nimmt, zeigt sich wenig später, als ein besorgter Bürger wie aus dem Bilderbuch an die Reihe kommt: Ein Thüringer aus Apolda, dessen Angst vor „Überfremdung“ durch „Asylanten“ ihm schier den Verstand aufzufressen scheint, sonst hätte er sich kaum zu dem Vergleich hinreißen lassen, Syrer flüchteten vorm Wehrdienst ihrem Heimatland – „hätten unsere Großeltern das 1945 gemacht, dann würde es Deutschland gar nicht mehr geben.“
Unionsinterne Arbeitsteilung
Anders als Teile des Publikums („Pfui!“) bleibt die Kanzlerin bemerkenswert ruhig und sachlich, keine Selbstverständlichkeit angesichts ihrer Begegnungen mit merkelhassenden Geiferern in Ostdeutschland in den vergangenen Wochen. Zeitgleich twittert die CSU: „Damit Deutschland Deutschland bleibt #integration“, dazu ein Video, für dessen Bildsprache eigentlich die AfD das Copyright hält: Zum Beispiel ein Foto von einer Frau in Burka, rot durchgestrichen.
So funktioniert die unionsinterne Arbeitsteilung: Die CSU nutzt Merkel, weil sie jene Wähler anflirtet, die schon halb bei der AfD hängen und die die Kanzlerin mit vernünftigen Gesprächen wie in der Wahlarena niemals mehr erreichen wird. Dass Merkel selbst das nicht eben gut gefällt, lässt sich nur ahnen. Sie kann dafür jedenfalls in Ruhe vor sich hin merkeln und, einer freundlichen Kindergärtnerin gleich, auch die politische Mitte an die Hand nehmen wie den bayerischen Erstwähler.
Im Falle der Wahlarena ist das Merkeln für sie, die gerne weiß, was und wer auf sie zukommt, eine ziemliche Herausforderung. Von Tierversuchen über Rente und Kitagebühren bis hin zur Ehe für alle muss sie antworten, teils sogar auf harte Nachfragen – aber irgendeine Antwort hat sie ja immer.
Merkels Art, nie unehrlich zu sein, sich aber auch nie zu klaren Bekenntnissen oder gar politischer Leidenschaft herausfordern zu lassen, dazu eine ausgewogene Mischung aus Ernsthaftigkeit und Schalk – all das verhilft ihr zu soliden 75 Minuten. Ein besonders starker Moment: Die Frage einer jungen Frau mit Down-Syndrom, warum Spätabtreibungen in Deutschland erlaubt seien.
Für Martin Schulz wird es schwer
Einmal wird es Merkel zur Falle, dass sie gelegentlich fehlende Empathie mit Sachlichkeit verwechselt. Einem jungen Münchner, Sohn iranischer Eltern, rät sie, bei rassistischen Anfeindungen solle er sich „seinen Schneid nicht abkaufen lassen“ und zum Beispiel mit dem Mann aus Apolda doch mal ein Wort wechseln. „Hä?“, signalisieren die Publikumsgesichter.
Aber dann ist es auch schon vorbei. Merkel ist noch einmal davongekommen. Und prompt so gelöst, als könne sie noch mal 75 Minuten dranhängen. Man glaubt es ihr sogar. Eine derart motivierte Kanzlerin zu toppen wird nicht leicht werden für den bedauernswerten Martin Schulz, der nächste Woche an der Reihe ist.
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