Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus: Machen wa dit Janze jetz von vorn?
Wird die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus wegen zahlreicher Pannen wiederholt? In Teilen der Stadt könnte auch der Bundestag erneut gewählt werden.
1 Was war am 26. September 2021 in Berlin los?
Viel. Zu viel, um korrekt Wahlen abzuhalten, findet der Berliner Verfassungsgerichtshof. Gleich drei Wahlen – zum Bundestag, zum Abgeordnetenhaus und zu den zwölf Bezirksparlamenten – fanden statt, dazu ein Volksentscheid, parallel zum Großereignis Berlin-Marathon, der weite Teile der Innenstadt verstopfte. Und das Ganze unter Coronabedingungen. Die Folge: Vor vielen Wahllokalen bildeten sich teils stundenlange Schlangen, Stimmzettel fehlten oder waren fehlerhaft. Bereits wenige Tage später trat die Landeswahlleiterin zurück. In diesem Sommer attestierte eine vom Berliner Senat eingesetzte Expert*innenkommission, der damals zuständige Innen- und heutige Bausenator Andreas Geisel (SPD) habe die „logistische Hausforderung der Vierfachwahl massiv unterschätzt“. Für 10 Prozent der Wahllokale sind Pannen belegt.
2 Und darum soll gleich die ganze Abgeordnetenhauswahl wiederholt werden?
Damit rechnen in Berlin alle Parteien. Das Berliner Verfassungsgericht muss über mehr als 30 Einsprüche gegen die Wahl entscheiden. Bei einer Anhörung Ende September hatten die neun Richter*innen klar gemacht, dass sie die bekannten Fehler nur für „die Spitze des Eisbergs“ halten, entsprechend von einer hohen Dunkelziffer ausgehen, und dass zudem viele Fehler bei besserer Vorbereitung vermeidbar gewesen wären. Sie schlossen sich damit weitgehend der Analyse der Senatskommission an. Die Schlussfolgerung von Gerichtspräsidentin Ludgera Selting: „Nur die vollständige Wiederholung der Wahlen kann deren Verfassungskonformität wieder herstellen.“ Am 16. November will das Gericht sein Urteil verkünden.
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3 Berlin hat ja schon vieles gegen die Wand gefahren. Da dürften die Parteien ja auf so eine harte Einschätzung gefasst gewesen sein.
Überhaupt nicht. Das Bundesverfassungsgericht hatte bisher zu weniger schwerwiegenden Fällen strenge Vorgaben gemacht, wann eine Wahl wiederholt werden müsse. Die Pannen müssten konkret benannt werden und zudem „mandatsrelevant“ sein, also Auswirkungen auf die Verteilung der Sitze haben. Sprich: Es muss sich um sehr knappe Ergebnisse in einzelnen Wahlkreisen handeln. Die gibt es aber nur in drei der zwölf Wahlkreise. Das Verfassungsgericht in Karlsruhe und der Berliner Verfassungsgerichtshof vertreten somit juristisch sehr unterschiedliche Auffassungen.
4 Und die Politik in Berlin will das akzeptieren?
Laut Gesetz ist der Verfassungsgerichtshof in Berlin dafür zuständig, eine mögliche Ungültigkeit einer Wahl zu erklären. Der Senat hat daher angekündigt, ein entsprechendes Urteil zu akzeptieren – alles andere würde dessen Legitimität unterminieren. Auch bei den Parteien geht man davon aus, dass am 16. November der Wahlkampf beginnt. Die Kampagne sei fertig, heißt es etwa aus der SPD, die 2021 stärkste Partei wurde und seitdem zusammen mit Grünen und Linken regiert.
Kritischer zeigt sich die Senatsverwaltung für Inneres. In einem Schreiben von Mitte Oktober fordert sie die neun Richter*innen deutlich auf, die vorläufige, also in der Anhörung geäußerte Rechtsauffassung noch einmal zu „überdenken“. Einzelne Abgeordnete erwägen nach taz-Informationen zudem, im Falle einer Entscheidung für die Wahlwiederholung von sich aus Karlsruhe anzurufen. Dann müsste das Bundesverfassungsgericht entscheiden, ob es sich des Falls annimmt.
5 Wann würde erneut gewählt?
Spätestens drei Monate nach dem Urteil muss die Wahl stattfinden, den Termin legt der neue Landeswahlleiter fest. Er hat schon signalisiert, dass es der 12. Februar 2023 wäre. Das gilt aber nur, sofern Karlsruhe nicht ins Spiel kommt.
6 Und was ist mit der Bundestagswahl in Berlin? Die fand doch parallel statt.
Hier kommt ziemlich sicher das Bundesverfassungsgericht ins Spiel. Zwar ist für die Überprüfung der Gültigkeit erst mal das höchste deutsche Parlament selbst zuständig. Am Donnerstag hat die Ampelkoalition mit ihrer Mehrheit einem Beschluss zugestimmt, dass auch die Bundestagswahl in Berlin wiederholt werden muss – aber lediglich in 431 von 2.256 Wahlbezirken. Der Opposition geht das nicht weit genug, auch der Bundeswahlleiter hatte mehr Handlungsbedarf gefordert. Deswegen wird davon ausgegangen, dass eine Fraktion gegen diesen Beschluss vor dem Verfassungsgericht vorgeht. Dahinter steckt auch politisches Kalkül: Die Linkspartei sitzt nur deshalb in Fraktionsstärke im Bundestag, weil sie drei Direktmandate gewinnen konnte, davon zwei in Berlin.
7 Wann würde die Bundestagswahl in Berlin wiederholt?
Das ist offen. In Berlin geht man derzeit jedenfalls von zwei Wahlterminen aus.
8 Wie will die Berliner Landesregierung verhindern, dass es erneut ein Chaos vor den Wahlurnen gibt?
Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) lässt keinen Anlass aus, zu betonen, man wolle das verlorene Vertrauen der Wähler*innen zurückgewinnen: „Berlin kann Wahlen.“ Dafür wurden erste Rechtsgrundlagen geändert – so dürfen Stimmzettel jetzt nicht erst am Wahltag auf Korrektheit kontrolliert werden, das „Erfrischungsgeld“, also die Entschädigung für Wahlhelfer*innen, wurde auf bis zu 240 Euro mehr als verdreifacht, um deutlich mehr als die 38.000 Helfer*innen von 2021 für die Aufgabe zu gewinnen. Außerdem findet im Februar kein Großereignis parallel statt. Allerdings könnte es zu einem Volksentscheid kommen, wenn die Initiative „Berlin 2030 klimaneutral“ die nötigen Unterschriften bis Montag zusammenbekommt.
9 Welche Partei würde eine Wiederholung der Abgeordnetenhauswahl in Berlin voraussichtlich gewinnen? Derzeit regiert Rot-Grün-Rot.
Schwer zu sagen. In Umfragen liegen SPD, Grüne und CDU knapp unter 20 Prozent. Wie die Wahl ausgeht, wird auch davon abhängen, wie dramatisch Inflation und Energiekrise im Winter werden. Und wie die Ampelregierung dann dasteht: Der Rückenwind für Olaf Scholz 2021 hatte auch Franziska Giffey entscheidende Punkte gebracht. Bei den Grünen hofft man, die knappe Niederlage gegen Giffey in einen Sieg umzuwandeln; die Linke sorgt sich, nicht zu stark für die miserable Arbeit der Bundestagsfraktion verantwortlich gemacht zu werden.
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