Wahl der Stadträte in Berlins Bezirken: Blockade gegen die AfD
In vier Bezirken darf die AfD einen Stadtratskandidaten vorschlagen. Doch die wenigsten werden von den demokratischen Parteien gewählt.
Ab einem bestimmten Stimmenanteil steht einer Fraktion in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) das Vorschlagsrecht für einen (oder auch mehrere) der sechs Stadträte inklusive Bürgermeister zu. Doch das heißt selbst in den wenig auf Konkurrenz ausgelegten BVV nicht, dass diese Person gewählt wird: Der Vorschlag muss eine Mehrheit in der BVV erhalten. Das war in der neuen Legislaturperiode bisher in keinem Bezirk der Fall. Aus verschiedenen Gründen.
In Lichtenberg kamen die Bezirksamtswahlen aufgrund von Unstimmigkeiten zwischen den Parteien noch nicht zustande. In Spandau und Treptow-Köpenick wurden die Bezirksämter zwar gewählt, allerdings fielen die von der AfD nominierten Kandidaten bei der Wahl jeweils durch. In Treptow-Köpenick findet gerade ein weiterer Wahlakt für einen AfD-Stadtrat pandemiebedingt per Briefwahl statt. Das Ergebnis steht noch nicht fest.
In Marzahn-Hellersdorf stellte sich die AfD bei der Wahl selbst ein Bein. Die von ihr nominierte Stadtratskandidatin zog ihre Kandidatur kurzfristig zurück. Ein neuer Kandidat wurde zwar wenige Tage vor dem Wahltag aus dem Hut gezaubert. Doch der ist parteiintern umstritten, zudem war die Zeit für die anderen Fraktionen zu kurz, ihn kennenzulernen. Die Wahl wurde darum verschoben. Deshalb arbeitet das neue Bezirksamt in reduzierter Besetzung, so wie in Spandau und Treptow-Köpenick derzeit auch.
Wie die demokratischen Parteien mit den Vorschlägen der AfD umgehen, ist unterschiedlich. In Spandau und Lichtenberg sieht es danach aus, dass ein AfD-Kandidat dauerhaft nicht gewählt wird und das Bezirksamt darum fünf Jahre lang mit fünf statt sechs Stadträten arbeiten wird.
„Für uns nicht wählbar“
In der vergangenen Legislaturperiode stellte die AfD in insgesamt sieben Bezirken Stadträte. Das waren zusätzlich zu den vier Bezirken, in denen sie derzeit einen Wahlvorschlag machen darf, Pankow, Reinickendorf und Neukölln. In Neukölln trat der ursprünglich von der AfD nominierte parteilose Stadtrat allerdings 2018 in die CDU ein. Die demokratischen Parteien hatten den AfD-Stadträten in der Regel Ressorts zugewiesen, in denen diese wenig Gestaltungsspielräume und die Verantwortung über wenige Mitarbeiter und öffentliche Gelder hatten, beispielsweise das Ordnungsamt oder die Bereiche Gesundheit oder Naturschutz. (mai)
Für Spandau sagte die grüne Fraktionsvorsitzende Dara Kossok-Spieß der taz, ihre Fraktion werde nicht nur den gegenwärtigen Personalvorschlag der AfD, Andreas Otti, nicht unterstützen. „Herr Otti war als Stadtrat eine Vollkatastrophe. Aber auch wenn die AfD jemand anderen nominiert, werden wir Grüne den immer ablehnen, denn ein Vertreter einer Partei, die man faschistisch nennen darf, ist für uns nicht wählbar.“
Laut Kossok-Spieß gibt es dieses Problembewusstsein auch in den anderen demokratischen Parteien in Spandau. „Ich gehe davon aus, dass ein Stadtratsposten dauerhaft frei bleibt und die SPD wie bisher dieses Ressort mit verwaltet.“
Auf eine solche Lösung könnte es auch in Lichtenberg hinauslaufen. SPD-Bezirkschef Erik Gührs sagt, dass seine Partei bundesweit ein klares Bekenntnis abgegeben hat, der AfD für Ihre Wahlvorschläge keine Stimmen zu geben. „So wurde es in der Vergangenheit gehalten und so gilt es auch für die Zukunft. Wir sind hierzu in Gesprächen mit den anderen demokratischen Parteien.“ Norman Wolf von der Linken sagt der taz: „Unsere Fraktion wird mit Nein stimmen. Ein fehlender AfD-Stadtrat wäre kein Verlust für das Bezirksamt.“
Kleineres Übel?
Anders hingegen in Treptow-Köpenick. Hier ist es denkbar, dass Bernd Geschanowski, der bereits in der zurückliegenden Wahlperiode AfD-Stadtrat war, erneut gewählt werden könnte. Der linke Fraktionsvorsitzende Philipp Wohlfeil spricht gegenüber der taz von einem differenzierten Meinungsbild zwischen und innerhalb der demokratischen Fraktionen: „Die einen halten ihn für völlig unwählbar. Die anderen sagen, er wäre das kleinere Übel gegenüber anderen Kandidaten, die uns die AfD möglicherweise noch präsentieren könnte.“
Wohlfeil hält es für das falsche Vorgehen im Umgang mit der AfD, ihr einen Stadtratsposten vorzuenthalten. „Das verstärkt nur ihre Opferrolle. Man kann sein Missfallen auch beispielsweise durch Stimmenthaltung ausdrücken.“
In Marzahn-Hellersdorf ist noch offen, ob ein AfD-Stadtrat gewählt wird, auch weil unklar ist, ob die AfD überhaupt an ihrem Personalvorschlag festhält. Der linke Fraktionsvorsitzende Björn Tielebein sagt der taz, dass seine Fraktion keinem AfD-Wahlvorschlag ihre Stimmen geben werde. „In den letzten fünf Jahren schürte die AfD Hass und stand nicht für ein demokratisches Miteinander. Warum sollten wir ihrem Kandidaten da unsere Stimme geben?“ Eine parteiübergreifende Absprache, keinen AfD-Kandidaten zu wählen, gäbe es allerdings in Marzahn-Hellersdorf nicht, so Tielebein.
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