Wahl, Tankstellenmord, Der Dritte Weg: Lindner muss liefern

Die Entscheidung im Wahlkampf fällt wie bei der EM durch Eigentore. Und die Possierlichkeit des Sockenschusses endet bei Gewalt.

Ein Wahlplakat, das Annalena Baerbock zeigt, dahinter eines von Scholz, dahinter Laschet

„Die Grünen reagierten bemerkenswert hilflos“ Foto: Michele Tantussi

taz: Herr Küppersbusch, was war schlecht vergangene Woche?

Friedrich Küppersbuch: Unerträgliche Spannung.

Und was wird besser in dieser?

Unerträgliche Spannung.

Wahlkampf vorbei, letzte Chance für Stimmen zum Spiel: Wer kriegt den Preis für die beste Vorlage? Wer machte das schlimmste Foul?

Baerbock begründete ihre Spitzenkandidatur mit dem Grundgesetz. Bullshit, das Wort „Kanzlerkandidatur“ kommt in der Verfassung nicht vor. Dann kam die völlig erwartbare „Die Kaiserin hat ja gar keine Kleider an“-Phase, auf die die Grünen bemerkenswert hilflos reagierten. Schließlich verengten sie den mühselig aufgebauten Volksparteianspruch der Grünen auf heftigste Klimabesserwisserei. EM-Style, die Entscheidung fällt durch Eigentore. Die beste Flanke kam von Merkel: Unter Klimawandel, Corona, Globalisierung und ihrem Abschied suchen viele etwas Kontinuität. Sogar, wenn sie aussieht wie Olaf Scholz.

Wie lautet Ihre Prognose für die Koalitionsverhandlungen? Regierung vor oder nach Weihnachten?

Kanzlerin Merkel sprach „aller Voraussicht nach das letzte Mal“ ihre Neujahrsansprache, zur UN-Generalversammlung sandte sie jetzt den Bundespräsidenten; sie meint es echt ernst. Und weiß auch nicht, was die Lausebengels sich je nach Kommazahlen zusammenkaspern werden. Eben weil FDP-Chef Lindner es voriges Mal vergeigt hat, muss er diesmal liefern. Wenn er darf. Das spricht für Tempo.

Vor einer Woche hat ein Mann einen jungen Tankstellenangestellten erschossen, nachdem dieser ihn aufgefordert hatte, eine Maske zu tragen. Die Politik über- und unterbietet sich im Schockiertsein. Und Sie?

Wer noch einen Beweis braucht, hat ihn hier: Die Possierlichkeit des Sockenschusses endet bei Gewalt. Die selbsternannten Sektenführer und Wiedergänger der Wiedertäufer möchten manche jetzt gern für den Mörder in die Verantwortung nehmen. Aber, hey… in aller Regel sind die Standpunkte an sich bescheuert genug, euch zu kritisieren.

Ungeimpfte sollen bald keinen Lohnersatz mehr erhalten, wenn sie in Quarantäne müssen. Sind die Bratwurstprämienzeiten vorbei?

Noch irrer: Die Arbeitgeber bleiben zur „Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall“ verpflichtet – können sich die Kohle jedoch nicht mehr, wie bisher, bei den Gesundheitsämtern zurückholen. So kann Minister Spahn prahlen, das Arztgeheimnis sei ein besonderer Vorzug des deutschen Gesundheitswesens. Und es gleichzeitig ruinieren. Denn – geht der Mitarbeiter in Quarantäne, ist er offensichtlich nicht geimpft. Ergebnis: Chefs werden Mitarbeiter zur Impfung agitieren – das spart Geld. Und Mitarbeiter sind verführt zu lügen, wenn sie ungeimpft sind und zur Arbeit kommen, obwohl sie in Quarantäne müssten. Unter vielen seltsamen Maßnahmen ist diese rekordverstümpert, oder sagen wir mal 9,7 von 10 Spahn.

In Sachsen-Anhalt ist eine Polizistin beurlaubt worden, weil sie eine Brieffreundschaft mit Stephan B., dem rechtsextremen Attentäter von Halle geführt haben soll. Mit wem in den Sicherheitsbehörden unterhalten Sie denn derzeit Korrespondenz?

Man könnte blind an Kriminalpsychologinnen schreiben: „Hybristophilie, also ‚Übeltäterzuneigung‘, warum verlieben sich bevorzugt Frauen in Mörder?“ Die korrekte Antwort wäre circa 1. Keine Ahnung, kaum Forschung, 2. Also Voooorsicht und 3. Egal! Spannender ist doch, wie jemand mit offenbaren Sympathien für Gewalt, Rassismus und Antisemitismus in den sachsen-anhaltinischen Polizeidienst kommen konnte. Das könnte man CDU-Innenministerin Zieschang schreiben.

Die rechtsextreme Kleinstpartei Der Dritte Weg musste ihre Wahlplakate mit der Aufschrift „Hängt die Grünen“ nun doch abhängen. Warum hat das so lange gedauert?

Das Oberverwaltungsgericht musste sich von dem Lachflash erholen über das erstinstanzliche Urteil: Danach durften die Nazis ihre Plakate jeweils 100 Meter vom letzten Grünen-Plakat aufhängen. Hübsch absurd sich vorzustellen, wie Polizisten Plakatabstände ausmetern müssen wie Schiris Strafstoßmauern. Das Gericht hätte salomonischer entscheiden können: Neben jedes Dritter-Weg-Plakat sei eines der „Partei“ zu pappen: „Hier könnte ein Nazi hängen.“ Das wäre so false balancing, dass es schon wieder right wäre.

Und was machen die Borussen?

Spielten so konfus, dass ich in Ruhe alle Spruchbänder der Gladbacher Ultras lesen konnte: „Mut zur Normalität – volle Auslastung jetzt!“ – „Kapazitätseinschränkungen aufheben“.

Fragen: Emeli Glaser, Rieke Wiemann

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Jahrgang: gut. Deutscher Journalist, Autor und Fernsehproduzent. Seit 2003 schreibt Friedrich Küppersbusch die wöchentliche Interview-Kolumne der taz „Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?".

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.