Waffenverbot in Berliner S-Bahn: Gefährliches Partypublikum
Die Bundespolizei will S-Bahnfahrer*innen auf gefährliche Gegenstände kontrollieren. Ziel sei vor allem das Partypublikum.
Dabei geht es einerseits um Waffen, die ohnehin verboten sind, aber auch um Gegenstände, deren Mitführen eigentlich erlaubt ist, wie Pfefferspray, kleine Messer, Werkzeug oder gar Korkenzieher. Das Verbot umfasst alle S-Bahn-, Regional- und Fernbahnhöfe zwischen den Stationen Zoologischer Garten und Lichtenberg – also einmal quer durch die Berliner Innenstadt.
Der Grund dafür sei, dass es „immer wieder zu strafrechtlich relevanten Ereignissen unter Anwendung gefährlicher Werkzeuge gekommen ist“, teilte die Bundespolizei mit. Durch das Verbot wolle man Gewaltdelikte verhindern, erklärte deren Sprecher Matthias Lehmann.
In den Nächten von Freitag auf Samstag und von Samstag auf Sonntag würden dafür zwischen 20 Uhr abends und 6 Uhr morgens Beamt*innen an den Bahnhöfen und in Zügen patroullieren, Personalien aufnehmen, Durchsuchungen durchführen und gegebenenfalls auch Zwangsgelder verhängen. 250 Euro kann es kosten, mit einem „gefährlichen Gegenstand“ unterwegs zu sein.
Zur Zielgruppe zählt jeder
Es gelten jedoch das Augenmaß und der gesunde Menschenverstand, sagte Lehmann. Zur Zielgruppe zähle zwar grundsätzlicher jeder, allerdings sollen die Beamt*innen ein verstärktes Augenmerk auf Jugendliche, junge Erwachsene und das Partypublikum richten. Unter dem Einfluss von Alkohol würden oft schon kleinste Auseinandersetzungen zu schweren Gewaltdelikten führen – dem wolle man entgegenwirken. Die rechtliche Grundlage für das Verbot ist eine Allgemeinverfügung im Rahmen des Bundespolizeigesetzes.
Es handele sich jedoch immer um Einzelfallentscheidungen. „Wenn Sie ein berechtigtes Interesse haben, können Sie Ihren Korkenzieher eventuell behalten“, sagte Lehmann.
Genau diese Abwägung nach Augenmaß aber kritisieren Kriminologen. Das Problem sei, dass sich polizeiliches Eingreifen weit ins Vorfeld möglicher Straftaten verlagere, kommentierte der Kriminologie-Professor Tobias Singelnstein auf Twitter. Die Schwelle entferne sich immer weiter von realen Anhaltspunkten und hänge nur noch von Einschätzungen und Prognosen der einzelnen Beamt*innen ab.
Das passt in einen bundesweiten Trend, der sich auch in den Neuerungen der Polizeigesetze in mehreren Bundesländern spiegelt. So ist im Bayrischen Polizeiaufgabengesetz von einer „drohenden Gefahr“ die Rede.
Kriminalistischer Sachverstand ist nicht gefragt
Der Polizeiprofessor Rafael Behr warnte vor den Nebenwirkungen solcher pauschalen Kontrollmaßnahmen. Zwar könne es durchaus sinnvoll sein, auf Prävention statt Repression zu setzen. Allerdings richte sich der Blick der Beamt*innen dabei schnell auf die „üblichen Verdächtigen“ wie migrantische Jugendliche, die unter einen Generalverdacht fallen könnten.
Behr kritisierte zudem einen anderen Aspekt: Die Arbeit der Polizei entwickelte sich durch solche Maßnahmen hin zu einem Kontrollregime, bei dem kriminalistischer Sachverstand zunehmend in den Hintergrund gerate. Je formalistischer die Polizei agiere, desto weniger müsse sie ihr Handeln legitimieren. „Und wenn man keinen Verdacht mehr begründen muss, wozu sollte man dann Profis ausbilden?“ Einfach in einen Rucksack zu gucken, weil man es eben darf, das könne schließlich jeder.
Bei den S-Bahn-Kontrollen handelt sich um die zweite Runde eines Testlaufs: Im Juni hatte die Bundespolizei in zwei Wochenendnächten 870 S-Bahn-Fahrer*innen kontrolliert, damals auf einem kürzeren Streckenabschnitt. Die Ausbeute hielt sich in Grenzen:Lediglich 24 Menschen hatten gegen das erweiterte Waffenverbot verstoßen. 91 Straftaten stellte die Polizei insgesamt fest, davon waren die meisten Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz.
Aus Sicht der Bundespolizei ist das ein Erfolg. Auch in anderen Bundesländern wurden temporäre Waffenverbotszonen an Bahnhöfen eingerichtet: Im Mai traf es Passant*innen des Hamburger Hauptbahnhofs, im Juli und September Reisende an mehreren Bahnhöfen in Nordrhein Westfalen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands