Waffenstillstand in Berg-Karabach: Auf Druck aus Russland
Armenien und Aserbaidschan einigen sich in Moskau auf einen Waffenstillstand. Der ist brüchig, die Kämpfe um Berg-Karabach gehen weiter.
Zunächst sollen Kriegsgefangene ausgetauscht und gefallene Soldaten übergeben werden. Die Logistik des Austauschs übernimmt das Internationale Rote Kreuz. Beide Kriegsparteien hielten sich am Samstag über längere Zeit jedoch noch nicht an die Vereinbarungen. Stattdessen beschuldigten sie sich gegenseitig, die Übereinkunft nicht einzuhalten.
Die Fortführung der Friedensverhandlungen soll die Minsker Gruppe im Rahmen der OSZE übernehmen, die seit 26 Jahren den Konflikt begleitet. Neben Russland und den USA gehört auch Frankreich der Vermittlergruppe an. Sie hat in den letzten Jahren jedoch keine entscheidende Mittlertätigkeit mehr übernommen.
Der Konflikt um Berg-Karabach schwelte, von der internationalen Gemeinschaft kaum beachtet, vor sich hin. 2018, 2016 und auch 2015 kam es zu kurzen blutigen Ausbrüchen, die Dutzende Opfer forderten. Das grundlegende Problem des territorialen Streits zwischen Aserbaidschan und Armenien um die Bergregion wurde jedoch nicht aufgegriffen.
Beide Seiten betrachten Berg-Karabach als ihr Gebiet
Der letzte Angriff Aserbaidschans von Ende September 2020 kostete bislang mehr als 320 armenische Soldaten das Leben. Tausende Einwohner wurden aus Karabach in die Flucht getrieben. Aserbaidschan hält die eigenen Verluste unter Verschluss, beklagte aber den Tod von 30 Zivilisten.
Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew sah in dem Moskauer Treffen eine „letzte Chance“ für eine friedliche Lösung des Konflikts. Gegenüber dem Sender RBK sagte er, Aserbaidschan sei bereit, sich „schon morgen“ an den Verhandlungstisch unter Leitung der Minsker Gruppe zu setzen.
Armenien müsse sich aber damit abfinden, dass es die aserbaidschanischen Gebiete Karabachs „niemals wiedersieht und keine Versuche unternimmt, sie militärisch loszuschlagen“, meinte Alijew. Schon die aggressive Sprachwahl dürfte in Jerewan als ein erneuter Angriff gewertet werden.
Beide Seiten betrachten Berg-Karabach als ihr Gebiet. In den 1920er Jahren hatte die Sowjetunion das Bergland der Sowjetrepublik Aserbaidschan zugeschlagen, damals war das nur ein Verwaltungsakt. Der Anteil der aserischen Bevölkerung stieg danach von 5 auf 23 Prozent. Seit Ende des Krieges um Karabach 1994, den die Armenier für sich entscheiden konnten, kommt die Region nicht mehr zur Ruhe. Aserbaidschan beharrt zu Recht darauf, dass Karabach völkerrechtlich Teil des eigenen Staatsgebietes ist.
Die Türkei stützt Aserbaidschan
Bislang hat auch Armenien die Existenz Berg-Karabachs als unabhängiger Staat nicht anerkannt. Armeniens Premierminister Nikol Paschinjan brachte dies vor den Verhandlungen in Moskau öffentlich an.
Aserbaidschan dürfte dies nicht ausreichen. Baku besteht auf Rückgabe der besetzten Territorien. Auch die Türkei unterstützt Aserbaidschan. Bislang hatte Ankara die turksprachigen Aseris zur Zurückhaltung aufgerufen und für eine friedliche Lösung des Konflikts votiert. Das geopolitische Gleichgewicht um den territorialen Streit hat sich jedoch verschoben.
Moskau hatte mit der Intervention zum Waffenstillstand lange gewartet. Gewöhnlich schaltete es sich bei früheren Übergriffen schon nach ein paar Tagen ein. Womöglich haben Ankaras Aktivitäten den Kreml zum Warten veranlasst. Moskau wollte die Partnerschaft mit der Türkei gegen den Westen wohl nicht aufs Spiel setzen.
Die Vermittlung der Moskauer Feuerpause verlief trotz des verzögertes Beginns recht schnell. Am Ende hinterließ der Kreml sogar noch den Eindruck eines neutralen Vermittlers. Daran zweifelten sowohl Armenien als auch Aserbaidschan. Baku misstraut dem Militärbündnis zwischen Moskau und Jerewan. Armenien hingegen ist enttäuscht, weil Moskau seinen Bündnisverpflichtungen angeblich nicht nachkommt. Moskau zögert indes, da es weder die Beziehungen zu Baku noch zu Jerewan gefährden möchte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt